Butler Parker 191 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
Mylady sittliches Empfinden zu sehr strapaziert werde, kann man selbstverständlich sofort aufbrechen und zur Villa zurückfahren«, schlug Parker höflich vor. Er wußte natürlich genau, daß seine Herrin im Traum nicht ans Gehen dachte und ihm eine lange Nacht bevorstand.
»Ich bitte Sie, Mister Parker, geben Sie sich doch nicht immer so furchtbar puritanisch, gehen Sie auch mal aus sich heraus, das wird Ihnen guttun, nicht wahr, mein lieber Jock?!« Sie strahlte Parker förmlich an.
Der Butler zuckte kaum merklich zusammen und ließ andeutungsweise die Brauen um den Bruchteil eines Millimeters in die Höhe steilen. Er gestattete sich einen unhörbaren, weil nur innerlich gegebenen Stoßseufzer und richtete sich geistig auf weitere Anfechtungen ein.
Mylady schien sich ausgezeichnet zu amüsieren und von Mr. Jock Fullerton nachhaltig animiert zu werden.
Einige der Herren-Damen sprangen von der Bühne und näherten sich hüfteschwingend den weiter vorn im Publikum sitzenden Männern. Die angeblichen Damen waren in Kostüme der zwanziger Jahre gehüllt und sogen an langen, ebenso mondän wie verrucht aussehenden Zigarettenspitzen. Sie ließen sich auf den Schößen einiger Herren nieder und begannen, diese unter dem Kinn zu kraulen oder über die Haare zu streichen.
Lady Agatha beugte sich weiter vor, um sich nichts entgehen zu lassen. Sie war bestrebt, jede Minute in der seltsam erregenden Atmosphäre dieses Etablissements auszukosten.
Die Herren-Damen ließen von ihren Opfern ab und tänzelten zur Bühne zurück. Dazu sangen sie Lieder, die an Frivolität nicht zu überbieten waren und blieben von Zeit zu Zeit stehen, um einen Herrn im Publikum mit einem Kuß zu bedenken.
Plötzlich entdeckten sie Agatha Simpson in ihrer Loge, blieben stehen und tuschelten. Dann näherten sie sich zielstrebig der Loge und machten davor halt.
»He, altes Mädchen, du gefällst uns, echt stark siehst du aus, wirklich! Haste nicht Lust, mit uns ’ne kesse Sohle aufs Parkett zu legen?« erkundigte sich eine besonders grell geschminkte »Dame« mit beeindruckendem Gummibusen.
»Die Dame ist mein Gast, Jungs, schwirrt wieder ab.« Jock Fullerton schien das etwas peinlich zu sein und winkte die Darsteller energisch weg.
»Was will man von mir?« wollte Lady Agatha wissen und musterte die Herren-Damen wohlwollend.
»Nichts von Belang, Mylady. Man bat lediglich darum, Mylady möge sich am Geschehen auf der Bühne beteiligen«, gab Parker würdevoll zurück, der wieder mal ahnte, was jetzt kam.
»Ach, tatsächlich, Mister Parker, und warum bittet man mich darum?«
»Die Jungs finden Sie Klasse, Lady, aber das geht natürlich zu weit. Ich habe ihnen bereits gesagt, sie sollen Sie nicht weiter belästigen«, mischte sich Jock Fullerton hastig ein.
»Papperlapapp, ich hatte schon immer einen Hang zu den Brettern, die die Welt bedeuten, und ein gewisses Talent hat man mir zeit meines Lebens nachgesagt«, überlegte die ältere Dame und lächelte versonnen. »Und bekanntlich ist es ja nie zu spät, um eine neue Karriere zu starten, nicht wahr?«
Sie erhob sich entschlossen und nickte den Herren-Damen freundlich zu. »Ich werde Ihnen jetzt eine Show bieten, die Sie Ihr Leben lang nicht vergessen werden«, versprach sie, während sie die ihr hilfreich entgegengestreckten Hände der Darsteller ergriff und sich zur Bühne führen ließ.
»Das steht zu befürchten«, äußerte sich Josuah Parker leise und machte sich auf einen Kunstgenuß besonderer Art gefaßt.
*
Man hatte eine Pause eingelegt, die die Darsteller nutzten, um sich ein wenig zu erfrischen, die Garderobe zu wechseln und sich nachzuschminken. Im Zuschauersaal gingen junge Frauen durch die Reihen und boten Eis und diverse Getränke an. Josuah Parker nutzte die Gelegenheit, um mit Jock Fullerton einige Worte zu wechseln und gewisse Wünsche zu äußern.
Dann gongte es dreimal, die Lampen erloschen, und der Vorhang rauschte zur Seite, um die Bühne für die letzte halbe Stunde der Show freizugeben. Andächtiges Schweigen trat ein, als man des Ensembles ansichtig wurde. Eine gewisse Lady Agatha war zweifellos der unbestrittene Star, die Königin der Nacht und Beherrscherin der Bühne. Sie wußte das und winkte huldvoll in die Menge, die plötzlich zu toben begann und aufsprang, um frenetisch Beifall zu klatschen.
»Mein Gott, so was hab’ ich noch nie erlebt, die Leute sind ja außer Rand und Band!« flüsterte Jock Fullerton neben Parker und lächelte selig. Josuah Parker hielt auf seine Würde als Butler und zeigte die gewohnte, undurchdringliche Miene.
Mylady stand in der Mitte des Ensembles und gab offenbar letzte Anweisungen. Die Herren-Damen nickten eifrig mit den Köpfen und schwärmten aus, um Aufstellung zu nehmen.
Agatha Simpson trat an den Rand der Bühne, verbeugte sich und winkte ins Publikum. Sie warf Kußhände in die Dunkelheit vor ihr und fühlte sich sichtlich wohl. Man hatte auch an Mylady Hand angelegt und sie ein wenig zurechtgemacht.
Sie trug ein sogenanntes Etuikleid aus grellrotem Satin mit Ausschnitt. Ihre Füße steckten in Schuhen, in denen sie unsicher vor und zurück schwankte. Ihr Gesicht war mit Puder belegt worden, und nur der geschminkte Mund und die grün umrandeten Augen stachen hervor.
Weiße Cocktailhandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten, sowie ein turbanähnlicher Hut mit schillernder Pfauenfeder vervollständigten ihre Erscheinung. Ab und zu nahm sie einen Zug aus einer langen Zigarettenspitze, um sofort darauf lautstark zu husten und den Rauch mit den Händen in der Luft zu verteilen.
»Was für eine Frau!« begeisterte sich Jock Fullerton, der von Konkurrenten gelegentlich auch ›das Handtuch‹ genannt wurde, und starrte hingerissen auf Lady Agatha, die ihre Mitstreiter bei den Händen faßte und offensichtlich eine Art Tanz einleiten wollte.
Fullerton beugte sich zu Parker herüber und räusperte nervös.
»Verzeihen Sie mir eine indiskrete Frage, Mister Parker, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch ...«
»Mylady erfreut sich der Freiheit und ist ohne Gemahl, Mister Fullerton«, gab Parker würdevoll zurück. »Mylady ist bereits seit vielen Jahren verwitwet. Ich nehme an, daß dies Ihre Frage sein sollte, Sir?«
»Sie müssen Hellseher sein, Mister Parker«, gab der Besitzer des Etablissements zurück. »Aber es stimmt, genau danach wollte ich fragen.«
Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: »Wissen Sie, eigentlich trage ich ja auch einen Titel, ich darf mich mit Fug und Recht ›Herzog‹ nennen.«
»Sie handeln noch immer nebenbei mit falschen Adelstiteln, Sir?« erkundigte sich Parker höflich.
»Hin und wieder, Mister Parker. Sie wissen, besonders die Amerikaner stehen auf sowas. Aber was meinen Titel betrifft, der ist echt! Ein verarmter Herzog, der beim Pokern gegen mich verlor, hat mich zum Ausgleich seiner Schulden adoptiert.«
»Sie hatten wie immer die besseren Karten im Ärmel, wie zu vermuten ist, Mister Fullerton.«
Der Gastgeber kam nicht mehr dazu, Parker zu antworten, denn die Show begann. Das Ensemble hatte sich in Bewegung gesetzt und führte einen sogenannten ›Can Can‹ vor. Ausgelassene Rhythmen peitschten aus den mächtigen Lautsprechern, die Tänzer wirbelten über die Bühne und warfen die Beine in die Luft, die Bretter dröhnten, und das Publikum begann zu rasen.
Man stieg auf die Stühle und klatschte sich die Hände wund. Gutgekleidete, seriös wirkende Herren in Abendgarderobe benahmen sich wie Twens, Damen gesetzten Alters konnten nicht mehr an sich halten und fingen an zu kreischen, jüngere Männer und Frauen drängten in die Gänge und machten es dem Ensemble auf der Bühne nach.
Lady Agatha beherrschte die Vorstellung. Sie hob ihre stämmigen Beine, ließ sich von ihren Partnern herumschwenken und genierte sich keineswegs bei ihrem Auftritt.
Dann stieg sie von der Bühne und mischte sich unter das tobende Publikum.
Am Ausgang kam es später fast zu einem Tumult, als sich die Herren noch mal umdrehten, und keiner als erster den Saal verlassen