Der Malaiische Archipel. Alfred Russel WallaceЧитать онлайн книгу.
Ausdehnung von Finger- zu Fingerspitze über den Körper sechs Fuß ein Zoll. Breite des Gesichtes, die Schwielen eingerechnet, elf Zoll.« Nun ist in diesen Maßen ein handgreiflicher Irrtum; denn in jedem bis jetzt von Naturforschern gemessenen Orang entspricht eine Ausdehnung der Arme von sechs Fuß ein Zoll einer Höhe von ungefähr drei Fuß sechs Zoll, während die größten Exemplare von vier Fuß bis vier Fuß zwei Zoll Höhe immer sieben Fuß drei Zoll bis sieben Fuß acht Zoll an den ausgebreiteten Armen messen. Es ist in der Tat ein genereller Charakter, dass die Arme so lang sind, dass ein fast aufrecht stehendes Tier mit den Fingern auf dem Boden ruhen kann. Eine Höhe von vier Fuß sechs Zoll würde demnach eine Armbreite von wenigstens acht Fuß erfordern! Wenn es nur sechs Fuß wären bei jener Höhe, wie sie in den betreffenden Maßen angegeben, so würde das Tier überhaupt kein Orang sein, sondern eine neue Affenart, die wesentlich in ihren Gewohnheiten und der Manier der Fortbewegung differiert. Aber Herr Johnson, der dieses Tier schoss und der Orangs wohl kennt, sprach es für einen an; wir haben daher zu entscheiden, ob es wahrscheinlicher ist, dass er einen Fehler von zwei Fuß beim Messen der Armlänge oder einen von einem Fuß beim Messen der Höhe beging. Das Letztere ist sicherlich leichter möglich, und dann kommt sein Tier, was Proportion und Größe betrifft, in Übereinstimmung mit allen in Europa existierenden. Wie leicht man sich in der Höhe dieser Tiere täuschen kann, zeigt der Fall des sumatranischen Orangs, dessen Haut von Dr. Clarke Abel beschrieben ist. Der Kapitän und die Leute, welche dieses Tier töteten, erklärten, dass es lebend größer gewesen sei als der größte Mann und so riesenhaft ausgesehen habe, dass sie es für sieben Fuß hoch gehalten hätten; aber sie fanden, als es getötet war und auf dem Boden lag, dass es nur ungefähr sechs Fuß lang war. Nun wird man kaum glauben, dass die Haut dieses selben Tieres in dem Kalkuttaer Museum existiert und Herr Blyth, der frühere Kurator, konstatiert hat, »dass es keineswegs zu den größten gehört«, was sagen will, dass es ungefähr vier Fuß hoch war!
Nach diesen zweifellosen Beispielen von Irrtümern in den Maßen der Orangs geht man nicht zu weit, wenn man schließt, dass Herrn St. Johns Freund einen ähnlichen Irrtum beim Messen beging oder, besser, vielleicht einen Gedächtnisfehler machte; denn es wird nicht gesagt, dass die Maße notiert wurden zur Zeit, als man sie nahm. Die einzigen Angaben des Herrn St. John, auf seine eigene Autorität hin, sind, dass »der Kopf fünfzehn Zoll breit und vierzehn Zoll lang war.« Da mein größtes Männchen dreizehn und einen halben Zoll über dem Gesicht maß gleich nach dem Tod, so verstehe ich sehr wohl, wie der Kopf, als er von Batang Lupar nach Sarawak kam, nach zwei, wenn nicht drei Tagereisen, so durch Verwesung angeschwollen war, dass er einen Zoll mehr maß als im frischen Zustand. Nach all diesem aber glaube ich, ist es erlaubt zu sagen, dass wir bis jetzt nicht die geringsten zuverlässigen Beweise von der Existenz eines Orang auf Borneo von mehr als vier Fuß zwei Zoll Höhe besitzen.
8Man müsste im Deutschen vielleicht Meias schreiben, um denselben Laut hervorzubringen, allein es wurde die englische Schreibart beibehalten. A. d. Übers.
9Charles Allen, ein sechzehnjähriger junger Engländer, begleitete mich als Gehilfe.
FÜNFTES KAPITEL
BORNEO – REISE INS INNERE
(November 1855 bis Januar 1856)
Als die nasse Jahreszeit nahte, beschloss ich, nach Sarawak zurückzukehren; ich schickte alle meine Sammlungen mit Charles Allen zur See hin, während ich selbst bis zu den Quellen des Sadong-Flusses hinaufgehen wollte, und von da wieder herab durch das Sarawak-Tal. Da die Tour etwas beschwerlich war, so nahm ich so wenig Gepäck wie nur irgend möglich und nur einen Diener mit, einen malaiischen Burschen, namens Bujon, der die Sprache der Sadong-Dajaks kannte, mit denen er früher in Handelsverbindung gestanden hatte. Wir verließen am 27. November die Minen und erreichten tags darauf das malaiische Dorf Gudong, wo ich mich kurze Zeit aufhielt, um Früchte und Eier zu kaufen, und bei dem Datu Bandar oder malaiischen Gouverneur des Ortes vorsprach. Er wohnte in einem großen und gut gebauten Haus, das von außen und innen sehr schmutzig war, und verfuhr sehr inquisitorisch in Betreff meines Geschäftes und besonders in Betreff der Kohlenminen. Diese machen den Eingeborenen viel Kopfzerbrechen, da sie die ausgedehnten und kostspieligen Vorbereitungen, um nach Kohlen zu graben, nicht verstehen und nicht glauben können, dass man sie nur als Brennmaterial benutzt, wo Holz so im Überfluss vorhanden und so leicht zubekommen ist. Augenscheinlich kamen Europäer selten hierher, denn eine Menge Frauen nahmen Reißaus, als ich durch das Dorf ging, und ein Mädchen von etwa zehn oder zwölf Jahren, die gerade ein Bambusgefäß voll Wasser aus dem Fluss geholt hatte, warf es im Moment, als sie mich sah, mit einem Schrei des Entsetzens und der Angst nieder, kehrte sich um und sprang in den Strom. Sie schwamm sehr schön, sah sich fortwährend um, als ob sie erwartete, dass ich folgen würde, und schrie die ganze Zeit heftig; während eine Anzahl Männer und Knaben über ihr unwissendes Erschrecken lachten.
In Jahi, dem nächsten Dorf, wurde der Strom so reißend infolge einer Überschwemmung, dass mein schweres Boot nicht aus der Stelle kam, und ich sah mich daher genötigt, es zurückzuschicken und in einem sehr kleinen und offenen weiterzufahren. Bis hierher war der Fluss sehr monoton gewesen; die Ufer bestanden aus Reisfeldern, und nur kleine mit Stroh bedachte Hütten unterbrachen die wenig malerischen Umrisse des sumpfigen Gestades, das von hohen Gräsern besetzt und hinter dem kultivierten Land von dem Waldessaum begrenzt war. Einige Stunden jenseits Jahi überschritten wir die Grenze der Kulturen und sahen den herrlichen Urwald bis an den Rand des Wassers treten, mit seinen Palmen und Schlinggewächsen, seinen hohen Bäumen, seinen Farnkräutern und Schmarotzerpflanzen. Die Flussufer waren jedoch meist noch überschwemmt, und wir fanden nur schwierig eine trockene Schlafstelle. Früh morgens erreichten wir Empungan, ein kleines malaiisches, an dem Fuß eines alleinstehenden Berges gelegenes Dorf, der schon von der Mündung des Simunjon-Flusses an sichtbar gewesen war. Höher hinauf werden Ebbe und Flut nicht mehr gespürt, und wir betraten nun einen Hochwalddistrikt mit einer schöneren Vegetation. Große Bäume strecken ihre Zweige quer über den Fluss, und die abschüssigen, erdigen Ufer sind mit Farnen und Zingiberaceen bekleidet.
Früh am Nachmittag kamen wir in Tabokan an, dem ersten Dorf der Hügel-Dajaks. Auf einem offenen Platz nahe dem Fluss spielten etwa zwanzig Knaben ein Spiel, etwa gleich dem, was die unseren »Bar-Laufen« (»prisoner’s base«) nennen würden; ihr Schmuck von Perlen und Metalldraht und ihre hellfarbigen Kopftücher und Leibbinden standen ihnen sehr gut und brachten einen wirklich hübschen Anblick hervor. Von Bujon gerufen, ließen sie sofort ihr Spiel, um meine Sachen in das Hauptgebäude zu tragen – ein rundes Haus in fast allen Dajak-Dörfern, das als Logierhaus für Fremde dient, als Börse, als Schlafstätte für die unverheiratete Jugend und als allgemeines Versammlungslokal. Es ist an hoch gelegenen Punkten aufgebaut, hat einen großen Feuerraum in der Mitte, Fenster im Dach rundherum und bietet einen sehr angenehmen und bequemen Aufenthaltsort. Am Abend war es voll von jungen Männern und Knaben, die mich sehen wollten. Es waren meist schöne junge Burschen und ich konnte nicht umhin, die Einfachheit und Eleganz ihres Kostüms zu bewundern. Ihre einzige Bekleidung ist das lange »Chawat« oder Leibtuch, welches vorn und hinten herabhängt. Es ist gewöhnlich von blauer Baumwolle mit drei breiten Streifen von rot, blau und weiß endend. Diejenigen, welche es bestreiten können, tragen ein Tuch um den Kopf, welches entweder rot ist mit einem schmalen Streifen von Goldborte, oder dreifarbig wie der »Chawat«. Die großen glatten mondförmigen metallenen Ohrringe, die schwere Halsschnur von weißen oder schwarzen Perlen, Reihen von Metallringen an Armen und Beinen und Armringe von weißen Muscheln, alles das dient dazu, die rein rotbraune Haut und das kohlschwarze Haar abzuheben und ins rechte Licht zu setzen. Dazu der kleine Beutel mit Material zum Betelkauen, und ein langes schlankes Messer, beides unabänderlich an der Seite hängend – und man hat das tägliche Gewand des jungen Dajak.
Porträt eines jungen Dajak (nach einer Skizze und Photographien; Baines)
Der »Orang Kaya« oder reiche Mann, wie der Häuptling des Stammes genannt wird, kam