Solo für Schneidermann. Joshua CohenЧитать онлайн книгу.
PROZAC,
SELEKTIVE SEROTONIN-WIEDERAUFNAHMEHEMMER
und aß nichts als Zahnpasta (SENSODYNE COOL GEL, BREATH BOMB)
und Choco-Moccha-Eiscreme und ab und zu ein paar Becher Rocky Road, also wurde ich dick und schlief nicht mehr, dabei schluckte ich händeweise
dachte ernsthaft an Suizid und Sie,
Ihr Beethoven-Konzert, das ich letzte Woche in Los Angeles mitbekommen habe, als mein Mann, mit dem ich seit einem Jahr verheiratet bin, mich da hingeschleift hat, im Nerz über T-Shirt und Jogginghose,
es klingt vielleicht verrückt, aber seitdem will ich wieder leben, Sie haben das geschafft, und Gott segne Sie dafür.
Herrgott! wer schreibt noch Briefe? wer kann noch schreiben? wer liest noch? wer weiß noch, wie das geht? hat dafür noch Zeit? besonders wenn man im Kino sitzt, dem einzigen Ort und der einzigen Zeit, wo Schneidermann je las, und Schneidermann, er las viel, las alles, und nicht nur, aber das meiste in seinen späten Jahren in SPIELBERG-Filmen,
STEVEN-SPIELBERG-Matineefilme waren die einzigen Zeiten und Orte, wo Schneidermann in seinen letzten Jahrzehnten genug innere Ruhe fand, das stille psychische Refugium, wo er sich dem Lesen widmen konnte und zwar immer im Original:
Damaskios während des Films mit dem Archäologen mit dem Hut,
Herodot im Film mit dem Juden Dreyfuss und den Außerirdischen,
und wo er gerade dabei war, alle großen Hs des Hellenismus: Herodot, Hesiod, Hekataios, Hieronymos (und Hellanikos),
Herakleides (Pontikos), nicht zu vergessen Herakleitos und Hermesianax
(den alexandrinischen Dichter, eine Abkehr von Kosmogonisten wie Herondas, glaube ich, während der Dreifaltigkeit von Filmen über den Krieg im Weltall und eine undefinierte MACHT wie Gott, was keinen Sinn ergibt),
Hesychios im Sequel zum Film über den Krieg im Weltall und eine undefinierte MACHT wie Kunst, was keinen Sinn ergibt,
Hippolytos im Sequel zum Sequel bzw. das war dann das Prequel, oder?, zum Film über den Krieg im Weltall, zwischen den Sternen und über eine undefinierte MACHT wie die Welt, die zumindest für Schneidermann und mich keinen Sinn ergab, aber wer weiß? und Homer und Horaz las Schneidermann auch bei Matineefilmen, außerdem den attischen Redner Hypereides und Hypnos, die ihn in Ekstase versetzten, alles andere als auf die Leinwand fixiert, egal welches Empire da zurückschlug und warum,
egal was das für ein Dreck war, mit dem alles beschmiert war oder werden konnte,
egal was für unbedeutende Träume da möglicherweise auf unserem Auge abgebildet wurden,
Schneidermann, er erledigte all seine Lektüren im Lichte der SPIELBERGIGSTEN aller Feuer-/Explosionsszenen SPIELBERGS, seine Lektüren all der Hs unter den griechischen Denkern und Philosophen, den hellenistischen Dichtern und Theologen sowie Theogonen, und all das im Lichte einer Schauspielerin – einer x-beliebigen Schauspielerin, denn wenn die frisiert und geschminkt sind, sehen die doch alle gleich aus, selbst die Frau des Regisseurs –, die einem, selbst wenn das Drehbuch letzter Hand ihr auf den Knien verwelkt wäre, nicht den Unterschied zwischen Kosmologie und Kosmetik hätte erklären können,
den Unterschied zwischen Gut und Böse,
zwischen E und U,
zwischen der Matineefilmmusik, die jeden neunzigminütigen Aufstieg und Fall begleitete, all die Liebesaffären und Kidnappings, und unserem Johann Sebastian Bach, der – woran Schneidermann, er erinnerte mich daran nach der NBC-Geschichte – seiner letzten Fuge seinen Namen eingeschrieben hatte, kurz vor seinem Tod oder jedenfalls rechtzeitig für unser filmisches Verständnis, er schrieb seinen BACH mit einem B, einem A, einem C und einem H hinein, wie bei den Teutonen unser angelsächsisches B heißt, wie meine einzige deutsche einst Frau jetzt Ex, sie empfahl mir immer unmittelbar vor Interviews oder Medienauftritten, bei denen es nicht ums Musizieren ging, sondern ums Reden, Presselustbarkeiten, Interviews, sie unterrichtete mich dann in dieser Sprache, mit all dem schalen Humor, den ein gesundes Sexleben entschuldigen würde, aber ohne eine Ironie, die in der Übersetzung verloren geht, und ich lachte trotzdem, und sie sang mir den Ton, das deutsche H, sang es mir sinushoch, in ihrer vollkommensten Tonlage (sie war, ist Pianistin, so unberühmt, dass selbst sie nie von sich gehört hat, und das meinen halbherzigen Bemühungen zum Trotz)
und dann stieß ich sie unweigerlich und fast schon als glückliche Strafe, aus Schadenfreude, wenn der deutsche Begriff Ihnen was sagt, aus dem maulwurfsgrauen Gang ins nächstbeste Personaltreppenhaus des Hotels und besorgte es ihr,
was sie in ihrem besten amerikanischen Slang mit einer Kölner Färbung einen quickie nannte, oder eher einen Kwiki – besorgte es ihr nach Strich und Faden, um mich zu beruhigen, bevor ich in die Unterwelt der nikotinmanikürten Journalisten hinabstieg, der Reporter, die im FEUILLETON arbeiten, weil sie keine druckfertigen Texte abliefern können, der blitzlichtgeilen Fotografen mit dem müden Auge, und wie sie immer, kurz bevor ich zum Orgasmus gelangte, aufhörte, sich zurückzog, sich in ihren malvenfarbenen Wollschal hüllte, immer hörte sie auf,
und behauptete, sie hätte Angst, ertappt zu werden,
Was sind sie schon wert, Frauen? Und was sind sie schon wert, Männer? Musik, denn was ist sie wert? und bei der Musik noch wichtiger, was genau ist sie?
Musik, denn was kann man mit einiger Sicherheit über sie sagen, außer dass sie, ja, dass sie existiert, ist? Denn über Musik kann man nichts sagen, über Musik als Musik, Musik qua Musik, der abgeklapperte Stepptanz über den alten Architekturspruch, man kann über Musik nicht reden, über musica gratia musica, um’s so zu sagen, nein, stattdessen, und das ist von unendlich größerem Wert, kann man nur von den an ihr beteiligten Persönlichkeiten sprechen, über Menschen, die von der Musik berührt worden sind, die ihr untertan sind, Menschen in der und aus Musik, die Musikmachenden, die hoffen, nichts als hoffen können, etwas werde dabei herauskommen.
Denn wenn man anfängt – und wir haben alle angefangen –, wenn man anfängt, über Musik zu reden, dann redet man in Wirklichkeit sofort über Musiker (auch wenn man das gar nicht will, auch wenn die Persönlichkeiten einen nicht halb so interessieren wie die Kunst, die sie gestaltet haben und die von ihnen gestaltet wird),
und eine solche unbewusste sagen wir mal Modulierung oder Verschiebung der Absicht ist immer am Werk, unwiderruflich, ist unumstößlich zugegen, wird verstanden und ohne Zögern akzeptiert, ohne dass man auch nur einen Gedanken an ihr Warum oder ihre Bedeutung verschwendet, ohne Befragung,
denn eines wissen wir,
über ihre Gründe,
wenn ich an Schneidermann erinnere, wenn ich ihn spielen sollte,
und wenn die Antwort lautet, dass Werk und Mann eins sind, aus einem Guss (und hier hätte Schneidermann zugestimmt; wie alle meine Ideen war sie immer zuerst seine), dass Schneidermann seine eigene und größte Komposition war und ist. Das Monument, das er unserer Zeit erbaute. Ja, das ist möglich. Im Reich des Realen als einem Vielleicht.
Schneidermann, dessen Moral einfach Sympathie war.
Schneidermann, dessen Sympathie Empathie war.
Schneidermann, der ganz und gar transportable Mann: der keine Gewohnheiten hatte und keine Versorgung brauchte,
der Mann ohne Pläne,
der fast nichts brauchte, mit geringsten Rücklagen auskam (Schneidermann, er sagte immer, das Wort Existenzminimum hätte Walter Gropius von ihm geklaut),
der mit Konventionen (musikalischen und zwischenmenschlichen) praktisch nichts, aber auch gar nichts am Hut hatte,
am allerwenigsten in seinen Kompositionen, in seinem enormen Schaffen, seinen homogenen Arbeitserträgen, dem makellosen Werk, das seine höchste, um nicht zu sagen öffentlichste Vollkommenheit erst jetzt in diesem Konzert erreichte – und bei seiner amerikanischen Uraufführung, seiner New Yorker Premiere und dem weltweit ersten Mal, dass es in dieser Gestalt öffentlich aufgeführt wird! – nur um hier die zweifellos schlimmste Kadenz