Sophienlust Classic 55 – Familienroman. Aliza KortenЧитать онлайн книгу.
schlankes bildhübsches Mädchen mit halblangem braunem Haar und blitzenden dunklen Augen stand in der Tür des alten Bauernhauses, in dem sich Roland Gerhardt, siebenundzwanzig Jahre alt, seines Zeichens freischaffender Maler, recht gemütlich eingerichtet hatte, wie er fand.
»Komm erst einmal herein, Barb.« Roland zog das Mädchen in die Stube, die gegen den hellen Sommersonnenschein draußen etwas düster wirkte. Die Wände waren neu getüncht, die Möbel aus hellem Holz geschnitzt. Alles wirkte einfach, aber stilgerecht und sehr sauber.
Barb schüttelte sich trotzdem. »Du bist verrückt, Roland.«
Roland Gerhardt, groß, blond und mit verträumt blickenden blauen Augen, ließ sich nicht beirren. Er öffnete eine Tür. »Da schlafe ich«, erklärte er im Ton eines versierten Schlossführers. »Wenn du mich heiraten willst, passt bestimmt ein zweites Bett hinein.«
Barb machte eine Grimasse, obwohl das Zimmer hell und freundlich wirkte. Auch hier standen bäuerliche Holzmöbel.
In der Küche waren Elektroherd und Kühlschrank gewisse Zugeständnisse an den modernen Komfort. Rolands Atelier aber befand sich im Dachgeschoss auf dem ehemaligen Speicher des Bauernhauses, von außen über eine Leiter zu erreichen. Hier war einiges grundlegend verändert worden, so dass ein großes Westfenster gutes Licht
für die Arbeit des Künstlers einfallen ließ.
»Das meiste hab ich selbst gemacht«, berichtete Roland, nachdem er Barb über die Leiter nach oben geführt hatte. »Doch viel Geld hatte ich leider nicht zur Verfügung.«
Barb betrachtete ein paar Bilder, die an den Wänden lehnten. Das Holzgebälk des alten Hauses duftete. Aber Barb, ein Stadtkind durch und durch, spürte nichts vom Reiz dieses einfachen Gebäudes, nichts von der charmanten Ursprünglichkeit, die hier regierte.
Roland breitete die Arme aus. Barb schmiegte sich an ihn und sträubte sich nicht, als er sie auf die niedrige Couch zog, die mitten im Raum stand.
»Ich liebe dich, Barb. Hier bin ich fast vollkommen glücklich. Wenn du dich entschließen könntest, bei mir zu bleiben und mich zu heiraten, bliebe kein einziger Wunsch mehr offen.«
Barb ließ sich küssen. Das Blut klopfte in ihren Schläfen. Roland war ein Mann, dessen Werbung sich eine Frau nicht so ohne Weiteres entziehen konnte.
Für eine Weile vergaßen die beiden jungen Menschen ihre Umwelt. Es schien nur den Maler und das Mädchen mit dem seidigen braunen Haar zu geben, die Leidenschaft der beiden und die Glut ihrer Umarmung.
»Glaubst du immer noch nicht, dass wir zusammengehören?«, fragte Roland später lächelnd, ihren Kopf mit beiden Händen umspannend. »Man braucht nicht viel, um wirklich glücklich zu sein. Hier lebt man bescheiden und ländlich. Milch und Gemüse kann ich bei den Bauern kaufen oder auf dem Gut.«
Barb küsste ihn und lachte. »Du bist tatsächlich verrückt, Roland. Auf die Dauer muss man hier doch den Verstand verlieren. Ich brauche auch mal was anderes als Milch und Eier vom Bauern.«
»Nun, bis Bachenau ist es nicht weit. Ich habe immerhin ein Auto.«
»Für das du dir bald das Benzin nicht mehr wirst leisten können«, spottete sie.
»Ich werde Bilder verkaufen. Es wird mir bestimmt gelingen. Ein paar feste Aufträge habe ich schon.«
Barb schob die volle Unterlippe nach vorn. »Es ist ein Spleen, und du kannst nicht verlangen, dass ich das mitmache. Ich brauche Stadtluft, Bars, Parties, Musik. Zum Einkaufen mag ich große Kaufhäuser und keine Ramschläden in irgendeiner vergessenen Kleinstadt. Wenn du entschlossen bist, in dieser Bruchbude zu bleiben, wirst du mich kaum wiedersehen.«
»Barb! Ich habe geglaubt, du liebst mich!« Das klang sehr enttäuscht. »In Hamburg hast du doch bloß ein winziges Zimmer und sonst nichts. Hier haben wir viel mehr Platz.«
Das Mädchen schwieg trotzig.
»Na komm, jetzt machen wir uns erst mal einen Kaffee«, schlug er versöhnlich vor. »Das Haus ist übrigens in tadellosem Zustand«, erklärte er, als sie wieder in der Wohnstube angekommen waren. »Sonst hätte ich es nicht gemietet. Der Garten ist allerdings ein bisschen verwildert. Das finde ich ganz romantisch. Später kaufe ich das Anwesen vielleicht, falls es käuflich sein sollte. Es ließe sich was draus machen.«
Barb schüttelte stumm den Kopf angesichts solcher Pläne. Dann schaute sie in schöner Untätigkeit zu, wie der junge Hausherr in der Küche Kaffee braute. Dazu stellte er Bandbrot, frische Butter, Honig, aber auch Schinken und Käse auf den Tisch.
»Na?«, fragte er heiter. »So schlecht geht es mir doch wirklich nicht.«
Barb setzte sich auf die andere Seite des blank gescheuerten Tisches und langte mit gutem Appetit zu. Es schmeckte wunderbar. Die lange Fahrt im Wagen hatte sie angestrengt. Zum Einkehren unterwegs hatte außerdem ihre Reisekasse nicht ausgereicht.
»Wie heißt das Gut hier in der Nachbarschaft?«, fragte Barb, als sie sich die dritte Scheibe Brot mit Butter bestrich.
»Sophienlust. Du hättest das Herrenhaus liegen sehen müssen.«
»Es sieht wie ein Schloss aus. Ist es das?«
Er nickte. »Stimmt. In dem Schloss wenn du es so nennen willst, ist ein Kinderheim untergebracht. Interessanterweise gehört das Gut einem Jungen, der noch die Schulbank drückt.«
»Beneidenswert«, seufzte Barb.
Roland lächelte gleichmütig. Er legte offenbar auf irdische Besitztümer nur wenig Wert.
Nachdem Barb sich sattgegessen hatte, zündete ihr der Maler eine Zigarette an. Er selbst rauchte nicht.
»Hast du dir das Rauchen abgewöhnt?«, fragte Barb verwundert.
»Ja, ich finde, es ist nicht nötig. Man gibt Geld aus und schadet der Gesundheit.«
»Als ob du solche Sparsamkeit nötig hättest!«
Roland Gerhardt ging nicht auf Barbs Anspielung ein, sondern streichelte zärtlich den Arm des hübschen Mädchens. »Bleib hier, Barb«, forderte er sie noch einmal auf. »Es wird dir gefallen, wenn du erst einmal eine Woche hier bist.«
Sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf, so dass ihr braunes Haar sein Gesicht streifte. »Ich hielte es hier nicht zwei Tage lang aus. Was soll ich denn zum Beispiel tun, wenn du malst? Und malen musst du schließlich, wenn wir nicht verhungern sollen.«
»Das Haus aufräumen, Milch holen und …«
»… kochen, Wäsche waschen und im Garten Kartoffeln hacken, damit das Essen nicht zu teuer wird«, fuhr sie ironisch fort. »Roland, schlag dir das aus dem Kopf.«
Er seufzte. »Das ist unmöglich, Barb. Du sagst, malen musst du! Das stimmt genau. Ich kann nicht leben, ohne zu malen. Deshalb habe ich dies Haus hier gemietet und mich hierher zurückgezogen. In ein paar Monaten oder Jahren wirst du erkennen, dass ich recht hatte.«
»Bis dahin dauert es mir zu lange, Roland.« Sie sprang auf und rannte aus der Tür. Auf dem schmalen Weg, der am Grundstück vorüberführte, parkte ihr kleines Auto.
»Vielleicht überlegst du es dir noch, Barb«, sagte er bittend, als er sie eingeholt hatte. »Aber ich will dich nicht unglücklich machen. Daran, dass ich mein Leben lang malen werde, wird sich leider nichts ändern lassen.«
Sie waren nun bei ihrem Wagen angelangt. Auf dem Rücksitz lag ihre Reisetasche, die sie gar nicht erst herausgenommen hatte.
»Du wolltest also bleiben«, sagte Roland.
»Eigentlich wollte ich dich mitnehmen, Roland. Jetzt sehe ich, dass es besser für uns beide ist, wenn ich gleich abfahre. Es hat keinen Sinn.«
Er schwieg, wenn ihm auch anzusehen war, dass es ihm leidtat.
»Du …, Roly …«
»Hm …«
»Ich muss tanken, aber ich bin völlig blank.«