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Das Gewicht von Schnee. Christian Guay-PoliquinЧитать онлайн книгу.

Das Gewicht von Schnee - Christian Guay-Poliquin


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Alter ist so ein kleiner Selbstbetrug nicht weiter schlimm. Phantasie zu haben, ist eine große Stärke. Sieh dich um, sieh dich noch mal um, sieh dich ganz genau um, es schneit, und wir merken nicht, wie die Zeit vergeht. Bald, und ich sage »bald«, um nicht »später« sagen zu müssen, »sehr viel später«, wirst du wieder stehen können. Du wirst dich an mir festhalten, wirst einen Fuß vor den anderen setzen, und irgendwann wirst du allein vom Bett zum Sofa gehen. Vom Sofa zum Stuhl. Vom Stuhl zum Ofen. Du wirst die Tür im Blick haben und ihr jeden Tag ein Stück näher kommen. Du wirst deine Worte abwägen, ohne sie auszusprechen. Du wirst die Härte des Winters spüren und den Zauber des Neuschnees verfluchen. Du wirst deine Wunden, das Ausmaß unserer Einsamkeit, die Trägheit des Frühlings und unsere Lebensmittelvorräte miteinander verrechnen. Du wirst mir zuhören, ohne dass ich es merke, und nicht verstehen, wie du es geschafft hast, dem Tod zu entrinnen. Bald, und ich sage »bald«, um nicht »jetzt« sagen zu müssen, bald werde ich nicht mehr die Kraft haben, für zwei zu kämpfen. Ich werde mich nicht mehr hinter meiner Langsamkeit oder irgendwelchen zusammengeklaubten Hoffnungen verstecken können. Aber ich werde so tun als ob. Und ich werde weiterhin daran glauben, dass du gesund wirst, dass die Tage länger werden und dass der Schnee irgendwann schmilzt. Ich werde weiterhin den Funkenschlag der Schmiede heraufbeschwören, die aus dem Boden schießende Stadt, das Lachen meiner Frau. Ich werde dir noch viele Geschichten erzählen und mir notfalls welche ausdenken. Wir haben keine Wahl, denn nur so können wir bewältigen, was auf uns zukommt. Mach dir keine Sorgen. Ich werde hierbleiben und mich weiter um dich kümmern. Alles wird gut. Mach dir keine Sorgen, ich werde so tun als ob. Nur so können wir überleben.

      2 Dädalus

      Entweder wir warten, bis die Tage und Nächte uns den Rest geben. Oder wir bauen uns Flügel und fliegen davon. Wir brauchen uns bloß mit Wachs Federn an die Arme zu kleben. Um abzuheben, müssen wir nur genug Anlauf nehmen. Dann kann uns nichts aufhalten. Aber hör mir gut zu. Fliegst du zu niedrig, beschwert Feuchtigkeit deine Flügel, und du zerschellst am Boden. Fliegst du zu hoch, schmilzt die Hitze der Sonne deine Flügel, und du stürzt ins Nichts.

      Zweiundsechzig

      Seit gestern regt sich kein Hauch, nur große schwere Flocken sinken zu Boden. Ein dichter Vorhang aus senkrecht fallenden Schneekristallen. Die Messlatte ist kaum noch zu sehen. Die Fußspuren, die Matthias in den letzten Tagen hinterlassen hat, sind vollkommen bedeckt. Alles versinkt in watteweicher Stille. Ich höre nichts als die Flammen, die über die Ofenwände züngeln, und Matthias, der auf der Küchenplatte einen Mürbeteig auswalzt.

      Es klopft.

      Matthias fährt herum, streicht sich eilig das Mehl von Hemd und Hose und geht zur Tür. Ein über und über mit Schnee bedeckter Mann kommt herein. Er stellt seinen Rucksack ab und setzt sich auf den Hocker am Eingang. Zieht schnaufend die Jacke aus. Ich erkenne das Gesicht, den Bart, die Geheimratsecken. Es ist Joseph.

      Matthias freut sich. Das ist offensichtlich. Er bietet dem Besucher Kaffee an und lädt ihn ein, sich an den Ofen zu setzen. Joseph bedankt sich, schiebt die Ärmel seines Wollpullovers hoch, holt ein Päckchen Tabak hervor. Als er die Zigarette anzündet, steigt eine dichte Rauchwolke auf. Dann sieht er uns nacheinander an. Matthias setzt Wasser auf und schielt hinüber zu dem Rucksack, den unser Besucher mitgebracht hat. Ich richte mich mühsam im Bett auf.

      Und, sagt Joseph und unterdrückt ein schiefes Grinsen, kommt ihr miteinander klar?

      Zu seinen Füßen bildet der schmelzende Schnee eine Lache. Er sieht aus, als säße er auf einem Felsen und schaue in die Ferne. Hinüber zu unserer einsamen Insel.

      Dreiundsechzig

      Im Dorf, beginnt Joseph, meinen manche, dass es noch ein paar Tage schneien wird. Wie sie das an den Wolken ablesen können, weiß ich nicht, aber sie sagen es. Sie sagen auch, dass der Winter lang wird. Aber dafür muss man kein Hellseher sein. Schon jetzt liegt viel Schnee für die Jahreszeit. Selbst mit Schneeschuhen ist der Weg hier rauf beschwerlich. Wisst ihr, mir kommt es vor, als würde sich euer Haus jeden Tag weiter vom Dorf entfernen.

      Beim Sprechen macht er mit den Armen ausladende Bewegungen, wobei die Asche seiner Zigarette von ihm unbemerkt auf den Boden rieselt.

      Diese Woche sind ein paar Jäger aus dem Wald zurückgekommen. Wir hatten gar nicht mehr mit ihnen gerechnet. Alle anderen sind längst zurück. Aber sie haben gewartet, bis das Eis auf den Seen dick und solide genug war, dass sie den Weg abkürzen konnten. Ich verstehe sie gut, sie mussten mehrere zerlegte Elche schleppen. Jetzt sitzen sie im Dorf, pökeln das Fleisch, machen Konserven. Ein schöner Anblick.

      Joseph drückt seine Kippe aus und neigt sich zu mir herüber.

      Von deinen Verwandten haben wir immer noch nichts gehört. Manche im Dorf sagen, ihnen wäre was passiert, und sie würden im Schnee festsitzen. Na ja. Die Leute erzählen alles Mögliche. Vielleicht wollten sie den Winter einfach lieber im Wald verbringen, weit weg vom Dorf und den Problemen, die der Stromausfall bringt. Um die mache ich mir keine Sorgen, die haben schon ganz anderes erlebt.

      Während Matthias uns Kaffee einschenkt, denke ich an die Jagdhütte meiner Onkel. Sie steht an einem Fluss zwischen zwei Bergketten. Ich erinnere mich noch gut an die Stelle, wo das Wasser laut rauschend durch eine grüne Schlucht strömt. Man muss mit dem Kanu übersetzen. Auf der anderen Seite stehen mächtige Lebensbäume, und der Boden ist mit Moos bedeckt. Die Hütte liegt etwas abseits. Man gelangt über einen von Wurzeln überwachsenen Weg dorthin. Sobald das Ofenrohr zwischen den Bäumen auftaucht, ist man da. Die Hütte ist zwar nicht groß, aber es gibt genug Schlafplätze für alle. Gut möglich, dass sie dort überwintern.

      Wisst ihr, erzählt Joseph weiter, wir haben im Dorf mehrere Versammlungen abgehalten. Trotz des Stromausfalls wollte Jude Bürgermeister bleiben. Erst hatten die Leute ihre Zweifel, aber als José sich offen für ihn ausgesprochen hat, konnten sich auch die anderen mit dem Gedanken anfreunden. Schließlich ist es Jude zu verdanken, dass wir einigermaßen zurechtkommen. Er koordiniert, was jeder zu tun hat, verwaltet das Benzin und kümmert sich um die Verteilung der im Supermarkt gelagerten Lebensmittel. Ihr müsst wissen, dass seit dem Stromausfall fast die Hälfte der Leute das Dorf verlassen hat. Sie sind in die Nachbardörfer gegangen, in die Stadt oder in den Wald, was weiß ich … Jude hat recht. Es bringt nichts, wegzugehen. Oder sich übermäßig Sorgen zu machen. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen und den Winter überstehen. Schon seltsam, mir kommt es vor, als hätte der Schnee die Gemüter beruhigt. Beim letzten Arbeitseinsatz haben fast alle mitgemacht. Wir haben Brennholz geschlagen. Ach ja, ich bringe euch demnächst welches vorbei.

      Ich verfluche mein Schicksal. Wie gerne hätte ich geholfen und auch ein paar Bäume gefällt. Stattdessen bin ich ans Bett gefesselt, gefangen zwischen meinem Kopf und meinen Schienen.

      Außerdem, berichtet Joseph weiter, behalten wir den Ortseingang im Auge, aber bei dem vielen Schnee wäre es eine große Überraschung, wenn jemand vorbeikäme. Ich bin froh, dass ich keine Wachgänge mehr machen und ständig das Gewehr mit mir herumtragen muss. Unnützes Gewicht, das dumme Ding. Falls wirklich mal was ist, läuten die Kirchenglocken Alarm. Für irgendwas muss sie ja gut sein, die Kirche. Ansonsten hat Jude gesagt, wir sollten die leer stehenden Häuser durchsuchen und alle zurückgelassenen Vorräte zum Supermarkt bringen. In einem Keller haben wir die Ernte eines ganzen Gemüsegartens gefunden, Kartoffeln, Möhren und Rüben.

      Bei diesen Worten greift Joseph zu seinem Rucksack und stellt ihn auf den Tisch. Matthias kommt sofort näher und strahlt beim Anblick der vielen Lebensmittel.

      Irgendjemand hat auch ein altes Funkgerät und mehrere Solarzellen gefunden, sagt Joseph.

      Und, habt ihr schon mit anderen Dörfern Kontakt aufgenommen?, fragt Matthias.

      Nein. Wir haben es ein paarmal versucht, aber niemand kann so richtig mit dem Ding umgehen. Mit den Solarzellen können wir immerhin unsere Akkus aufladen und müssen dafür nicht mehr die Generatoren anwerfen. Ich habe in einem Haus eine Handpumpe gefunden. Wir haben unter dem Schnee einen Schlauch verlegt und können das Wasser jetzt direkt aus dem Fluss pumpen. Außerdem haben wir alle Gasflaschen, Fondue-Brenner, Werkzeuge und Decken


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