Wir bauen eine Krise. Rainer RunzerЧитать онлайн книгу.
Kellnerin rauscht davon. An der Stelle der Bulldogge würde ich mir gut überlegen, ob ich hier bleiben soll oder nicht.
Jetzt scheint es ihm jedoch ums Prinzip zu gehen. Der Mann stapft zum Tisch bei der Kuchenvitrine, die direkt neben dem Haupteingang steht, den er erfolglos zu stürmen versuchte. Er sitzt mir schräg gegenüber. Seine Augen tasten die Tische ab, als wolle er sich ein Opfer suchen.
Absichtlich langsam nehme ich die Zeitung vom Tisch und verschanze mich dahinter. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, bis er seine Bestellung bekommen hat.
Wieder überfliege ich die zerknitterten Seiten. Allerdings bin ich so darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, dass ich mich auf nichts konzentrieren kann. Automatisch blättere ich bis zum Feuilleton. Die Rätsel- und Witzseite grinst mir bunt entgegen.
Ein Comic zeigt drei Ameisen, die hinter einander herlaufen. Unter dem Comic steht:
„Drei Ameisen gehen in der Reihenfolge A, B und C durch die Wüste von Oase 1 zu Oase 2. Immer hintereinander her. Ameise A sagt: Vor mir läuft keine Ameise und hinter mir 2 Ameisen. B sagt: Vor mir läuft eine Ameise und hinter mir eine Ameise. C sagt: Vor mir läuft keine, hinter mir 2. Wie ist das möglich, wenn die Ameise hintereinander in die gleiche Richtung laufen?“
Hm, mal überlegen: Die Ameise C sagt als einzige etwas, das nicht passt. Ich könnte das Bild auf den Kopf drehen, dann ist Ameise C vorne. Aber die drei laufen dann in die andere Richtung, also ist C wieder hinten.
Auf der anderen Seite der Zeitung klirrt es. Offenbar hat die Bulldogge gerade sein Getränk bekommen.
„Ich möchte noch ein Stück Streuselkuchen dazu.“
„Gibt’s noch nicht. Wir haben nur das, was in der Vitrine steht.“
Blödsinn. Ich selbst habe vorhin Streuselkuchen gefrühstückt. In der Vitrine steht nämlich nur Rhabarberkuchen, der garantiert mehr als einen Morgen gesehen hat.
„Dann eben den.“
Das muss gerade ein kleines Hochgefühl in der Kellnerin auslösen. Wie einem eine kleine Lüge doch den Tag versüßen kann. Sie will gehen. Ich senke die Zeitung, fange ihren Blick auf und hebe die Hand.
„Noch einen Espresso bitte.“
Ich sehe kein Lächeln, kein Funkeln in den Augen. Sie nickt nur. Mehr kann ich wohl nicht erwarten. Ich spiele mit dem Gedanken, mir noch einen Streuselkuchen zu bestellen. Aber ich glaube nicht, dass sie freundlicher wird, wenn ich sie mit ihrer Lüge konfrontiere.
Da kommt mir die Idee: Ameise C lügt. Nicht die eleganteste Lösung aber dafür die einfachste. Auf Seite 9 steht die Lösung. „Ameise C lügt“. Wie einfach, doch wer wurde schon mal von einer Ameise belogen?
Ich lege die Zeitung weg und greife nach meiner Tasche auf dem Boden. Zeit, mit der Arbeit anzufangen. Ich sollte erst mal das Thema Krise mit Schlagworten einkreisen, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Den neuen Block finde ich auf Anhieb, der Stift hat sich jedoch irgendwo versteckt. Ich zucke zusammen. Etwas gleitet über meine Hand. Es ist warm und glitschig. Wie eine Schnecke, die gerade aus der Sauna kommt. Hektor sitzt vor mir und blickt mich unschuldig mit seinen geröteten Augen an.
Ein Sabberfaden hängt aus dem rechten Winkel seiner Schnauze.
Ich wische mir die Hand an der Hose ab.
„Lass das. Ich bin doch kein Putzlumpen für Kälber.“
„Hektor, Platz.“
Hektor pariert.
„Du glaubst nicht, was mir vor ein paar Tagen passiert ist.“ Sagt Andreas und setzt sich wieder an meinen Tisch.
„Du wirst es mir trotzdem erzählen.“
Wie als Bestätigung ignoriert Andreas meinen Kommentar und fängt einfach an.
„Neulich hetze ich ins Kaufhaus und renn am Eingang fast den Pfannenfritzen um. Du kennst doch die Typen: fettige Haare, billiger Anzug und manchmal ein zarter Duft von Alkohol. So ein Verlierertyp halt, der so spannenden Krimskrams wie Pfannen, Internetverträge und Zeitungsabos verhökert.“
Du denkst ja nett von deinen Mitmenschen. „Und da quatscht mich der Kerl auf einmal an. Hallo Andreas, sagt der und ich hab gedacht ich fall vom Glauben ab: da stand wahrhaftig Klaus vor mir.“
Andreas macht eine Kunstpause und sieht mich erwartungsvoll an.
Wahrscheinlich soll ich jetzt ein fassungsloses Nein…! anstimmen. Ich aber verstehe nur Pfannenfritze.
„Klaus?“
Wenn ich ehrlich bin, hab ich eine Ahnung, von wem er redet. Und neugierig bin ich auch irgendwie, aber ich will Andreas die Aufmerksamkeit nicht geben, die er sonst mit diesen Geschichten bekommt.
„Mensch Nathan, für einen Reporter bist du heute ganz schön langsam.“
„Weißt du, wie viele Leute ich kenne, die Klaus heißen?“
„Ok, ok. Ich meine meinen super erfolgreichen Vorgänger. Klaus Zetschmann. Der Held des Verkaufs schlechthin. Unser Chef hätte ihm damals schier ein Denkmal in der Eingangshaller errichtet.“
„Zu Recht. Ein begnadeter Verkäufer. Er hat euch damals an die Spitze gebracht.“
„Und jetzt, ein abgehalfterter, speckiger, schmieriger Ramschschleuderer.“
„Jeder hat mal einen Durchhänger.“
Ich kritzle Klaus in mein Notizbuch. Klaus steckt offenbar in einer Krise. Vielleicht könnte ich ihn interviewen.
„Der konnte doch nur eins: Geschäfte aufreißen und Sonderdeals vereinbaren.“
„Und mit Erfolg.“
Andreas winkt ab.
„Wohl eher mit Glück. Er hat sich von ’nem Taiwanesischen Elektrokonzern abwerben lassen. Hat gedacht, dass er mit der gleichen Verkaufsmasche deren Elektroschrott auf den Markt bringen kann wie unsere „Made in Germany“ – Premium Produkte. Damit ist er aber ordentlich auf die Schnauze gefallen. Das läuft doch nicht. Wenn man mal ‘nen Marketing-Gag gelandet hat, ist schon bei der Wiederholung der Lack ab.“
Andreas grinst. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich ihm einen ähnlichen Niedergang wünsche. Böser Nathan, Platz. „Klar, Klaus war ein Hecht, aber unser Firmennamen hat ihm die Türen geöffnet. Bei den Taiwanern war er aber nicht mehr der Starverkäufer vom Premiuman-bieter, sondern Hauptverschleu-derer der Billigkopie. Die Kunden haben ihn abblitzen lassen und er musste sich schnell was anderes suchen.“
Wieder macht Andreas eine Kunstpause, um zur Schlussfolgerung auszuholen.
„Das kommt davon. Einmal mit einer Masche Glück gehabt und die dann tot reiten.
Das muss doch ins Auge gehen.“
Als wärst du besser, du Lackkratzer. Notiz: Wiederholung, festgefahren.
„Danach ging er zu einem Hersteller von Glühlampen und hat es fast geschafft, ihn in den Ruin zu treiben. Natürlich mit der gleichen Masche. Hat die Arroganz des Premiumverkäufers bei jedem auf den Tisch geknallt und Sonderkonditionen vereinbart. Das war bei uns vielleicht richtig, aber doch nicht bei einer Massenware wie Glühbirnen. Nach einem Jahr hatten 32.000 Kunden individuelle Konditionen. Das Chaos kannst du dir ja vorstellen. Da hat der Unternehmensgründer persönlich die Notbremse gezogen.“
Endlich kommt mein Espresso. Während ich den Zucker dazu gebe und umrühre frage ich mich, wie Andreas an all die Informationen gekommen ist. Da muss jemand geplaudert haben, denn von Klaus weiß er das alles sicher nicht.
„Klaus flog in hohem Bogen raus. War natürlich gegen seine Ehre und er hat ein Riesen Tamtam gemacht. Danach hat er drei Jahre lang jedes Angebot abgelehnt, weil’s unter seiner Würde war. Unser Konkurrent hat’s mit ihm versucht und ihn schon nach drei Monaten gefeuert.
Und