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Die große Pause. Bastian BielendorferЧитать онлайн книгу.

Die große Pause - Bastian Bielendorfer


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zu konsumieren, zum anderen soll es einen wirtschaftlichen Kaufanreiz darstellen. So werden Lebensmittel, die eigentlich noch genießbar sind, entsorgt und neu gekauft. Wir steigern das Bruttosozialprodukt.

      Meine Schwiegermutter ist offensichtlich keine Anhängerin meiner Theorie.

      „Wo ist der Frischkäse?“

      „Entsorgt. War abgelaufen.“

      Allein die Art, wie sie „entsorgt“ sagt, macht mich schon rasend. Das klingt, als hätte sie unseren Frischkäse per Castortransport in ein saarländisches Salzbergwerk gebracht.

      „Und die Butter?“

      „Abgelaufen.“

      Immerhin, die Eier sind noch da. Diebisch starre ich auf das MHD, noch drei Tage haltbar. Glück gehabt, sonst wären die bestimmt ebenfalls im Endlager gelandet.

      „Sekunde mal, wo ist das Salz?“

      „Abgelaufen!“

      „Salz? Das SALZ war abgelaufen?“

      „Stand auf der Packung. War sogar schon ein halbes Jahr drüber.“

      Nadja schaut mich strafend an, sie sieht die Ader an meinem Hals pochen, ich bin kurz vor einem ernsthaften Wutanfall.

      „Salz kann nicht ablaufen! Oder glaubst du, das lag vier Milliarden Jahre in einem Salzstock irgendwo unterhalb einer ostdeutschen Brachlandschaft, und zack, nachdem Aldi es in die Tüte gepackt hat, dauert es zwei Jahre, und schon ist das Salz nicht mehr verwendbar? Was soll denn damit passieren? Schimmeln? Hast du schon mal Schimmel auf Salz gesehen?“

      „Das kam aus Israel.“

      „Was?“

      „Das kam aus Israel, nicht aus Ostdeutschland.“

      Ich starre meine Schwiegermutter an. Mexican-Stand-Off. Wegen 250 Gramm Jodsalz. Nadja macht hinter dem Rücken ihrer Mutter „Kopf ab“-Bewegungen. Die oberste Geschäftsführung rät mir, mich im Zaum zu halten.

      „Kannst du bitte aufhören, unsere Lebensmittel zu entsorgen?“, presse ich zwischen meinen Lippen hervor wie ein Schwertschlucker die Klinge.

      „Ich versuche nur euch zu beschützen!“

      „Vor Jodsalz willst du uns beschützen?“ Nadja macht weiter die „Kopf ab“- Geste. Sie sieht aus, als hätte sie einen Volkshochschulkurs in Deeskalationspantomime belegt.

      „Nein, vor Dummheit!“, brüllt meine Schwiegermutter zurück wie der kleinste Subwoofer der Welt. Dann dreht sie sich um und lässt mich in der Küche stehen. Diskussionen werden hier mit demselben probaten Mittel beendet, das ihre Tochter bereits seit 15 Jahren an mir ausprobiert: beleidigt den Raum verlassen.

      Nadja hört endlich mit dem doofen Luftgeschneide auf und schaut mich mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung an.

      „Musste das sein?“, fragt sie mich, als wäre ich allein schuld an der Diskussion.

      Ich spüre ein Kribbeln in meinen Handgelenken, an denen zwei geballte Fäuste wie Knollen aus Wut hängen, und atme statt einer Antwort einfach nur lange und geräuschvoll aus.

      Meine Frau wiederholt die halbe Pirouette ihrer Mutter und verlässt die Küche. In einem Theaterstück würde man nun über die Akteurin schreiben: „Nadja geht ab (Tür knallt)“.

      Dann will ich etwas essen. Nahrungsaufnahme gilt in meiner Familie als probates Mittel, um Wut zu besänftigen. Ich habe noch nie jemanden so wütend Pfannkuchen, Rührei oder Gulasch in sich hineinstopfen sehen wie meinen Vater. Wenn sich meine Eltern gestritten hatten, saß er danach oft am Tisch und aß lautstark. Es wirkte fast so, als müsse er das Rind für das Gulasch ein zweites Mal töten.

      Müsli geht immer, denke ich. Ich streue irgendetwas, das stark oberhalb der empfohlenen Tagesmenge liegt, in ein Schälchen, greife in den Kühlschrank und spüre erneut, wie sich meine Hand zur Faust ballt, bevor mein Geist die Situation vollständig erfasst.

      „WO IST DIE MILCH!“, brülle ich durch die geschlossene Küchentür wie ein Wikinger.

      Wie bei einer Kuckucksuhr öffnet sich die Küchentür, aber statt eines räuberischen Singvogels schiebt sich nur der graue Schopf meiner Schwiegermutter durch den Spalt und erwidert:

      „War abgelaufen!“

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