Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan SwiftЧитать онлайн книгу.
fand bald, daß sie nicht genug Verstand besaßen, um in den Geist eines Dichters einzudringen. Aristoteles aber geriet in Wut über den Bericht, den ich ihm von Scotus und Ramus gab, als ich diese beiden Herren ihm vorstellte. Er fragte sie, ob alle übrigen ihres Standes ebensolche Dummköpfe wären wie sie selbst.
Dann bat ich den Gouverneur, Descartes und Gassendi zu zitieren, und überredete diese, ihre Systeme dem Aristoteles darzulegen. Dieser große Philosoph gestand offen seinen Irrtum in der Physik ein, weil er in vielen Dingen nur Vermutungen aufstellte, wie dies bei allen Menschen unvermeidlich ist. Er war der Meinung, das System Gassendis, welches die Lehre Epikurs so genießbar wie möglich zurechtgemacht habe, ferner auch die Wirbel des Descartes müßten auf gleiche Weise verworfen werden. Dasselbe Schicksal sagte er dem Attraktionsprinzip9 voraus, welches die Gelehrten jetzt mit so viel Eifer verfechten. Er sagte: Neue Natursysteme glichen den Moden, die mit jedem Zeitalter wechseln; sogar die, welche sie nach mathematischen Grundsätzen beweisen wollen, würden nur eine Zeitlang blühen, und sobald diese verflossen sei, in Vergessenheit geraten.
Fünf Tage lang habe ich mich mit vielen alten Gelehrten unterhalten. Auch sah ich die meisten römischen Imperatoren der ersten Kaiserzeit. Ferner bewog ich den Gouverneur, die Köche des Heliogabalus zu beschwören, damit uns diese ein Mittagessen bereiteten. Sie konnten uns jedoch aus Mangel an Material ihre Geschicklichkeit nicht zeigen. Ein Helot des Agesilaus bereitete uns eine Schüssel spartanischer Suppe. Es war mir jedoch unmöglich, mehr als einen Löffel voll hinunterzuschlucken.
Die beiden Herren, die mich zu der Insel begleitet hatten, mußten wegen ihrer Privatgeschäfte in zwei Tagen zurückkehren. Ich benutzte diese Zeit, um einige neuere Tote kennenzulernen, die während der letzten drei Jahrhunderte in meinem Vaterlande und im übrigen Europa am meisten hervorgetreten waren. Da ich nun von jeher ein Bewunderer erlauchter Familien war, bat ich den Gouverneur, ein oder zwei Dutzend Könige mit ihren Vorfahren, in der Reihe von acht oder neun Generationen, zu beschwören. Ich ward jedoch auf eine traurige und überraschende Weise in meiner Erwartung getäuscht. Anstatt eines langen Zuges mit königlichen Diademen sah ich in einer Familie zwei Fiedler, drei muntere Hofleute und einen italienischen Prälaten, in einer anderen einen Barbier, einen Abt und zwei Kardinäle.
Ich hege zu große Verehrung für gekrönte Häupter, um bei einem so kitzligen Punkte länger zu verweilen, muß jedoch gestehen, daß ich mit einem großen Vergnügen den Gesichtszügen, wodurch sich einzelne Familien auszeichnen, bis auf die Originale nachspüren konnte. Ich konnte deutlich entdecken, weshalb die eine Familie ein langes Kinn besaß, weshalb eine andere zwei Generationen lang an Schurken und noch zwei andere Menschenalter an Dummköpfen Überfluß gehabt hat; weshalb eine dritte verrückt und eine vierte spitzbübisch wurde; woher es gekommen ist, was Polydorus Virgilius von einem gewissen großen Hause sagte: Nec vir fortis, nec femina casta10; wie Grausamkeit, Falschheit und Feigheit charakteristische Merkmale wurden, die in gerader Linie, wie skrofulöse Geschwülste, auf die Nachkommenschaft übergingen. Auch durfte ich mich darüber gar nicht wundern, als ich eine solche Unterbrechung der Geschlechter durch Pagen, Lakaien, Kutscher, Spieler, Fiedler, Schauspieler, Offiziere und Gauner sah.
Vorzüglich empfand ich Ekel über neuere Geschichte. Als ich nämlich alle seit hundert Jahren berühmtesten Personen an den Höfen der Fürsten genau beobachtet hatte, fand ich, wie die Welt durch charakterlose Schriftsteller irregeführt wurde, welche die größten Kriegstaten den Feiglingen, die weisesten Ratschläge den Toren, Aufrichtigkeit den Schmeichlern, römische Tugend den Vaterlandsverrätern, Frömmigkeit den Atheisten, Keuschheit unnatürlichen Wollüstlingen, Wahrheit den Spionen und Angebern zuschreiben; wie viele unschuldige und ausgezeichnete Personen zum Tode oder zur Verbannung dadurch verurteilt worden sind, daß mächtige Minister die Verderbtheit der Richter und die Bosheit der Parteien benutzten; wie viele Schurken zu den höchsten Ämtern des Vertrauens, der Macht, der Würde und des reichlichsten Einkommens erhoben wurden; welch ein Anteil an den Beschlüssen und Ereignissen der Höfe, Ratsversammlungen und Senate Dirnen, Kupplern, Schmarotzern und Lustigmachern zuzuschreiben ist. Welch eine niedrige Meinung erlangte ich von menschlicher Weisheit und Rechtlichkeit, als ich die Quellen und Beweggründe der großen Revolutionen in der Welt und die verächtlichen Zufälle, denen sie ihren Erfolg verdankten, erfuhr.
Hier entdeckte ich die Schurkerei und Unwissenheit derer, die die geheime Geschichte anekdotisch zu schreiben behaupten, die so viele Könige durch einen Becher Gift ins Grab schicken, die die Unterredung zwischen einem Fürsten und Premierminister wiederholen, wobei kein Zeuge gegenwärtig war, die die Gedanken und Kabinette der Staatssekretäre erschließen und das Unglück haben, sich fortwährend zu irren.
Hier entdeckte ich die wahren Ursachen vieler großer Ereignisse, welche die Welt überrascht haben; wie eine Buhlerin das geheime Boudoir, das geheime Boudoir einen Geheimen Rat, der Geheime Rat eine Staatsversammlung leitet.
Ich hörte, wie ein General in meiner Gegenwart gestand, er habe einen Sieg nur durch die Macht der Feigheit und des schlechten Verhaltens gewonnen; wie ein Admiral erzählte, er habe aus Mangel an genügendem Einverständnis mit dem Feinde diesen geschlagen, obgleich er ihm die Flotte verraten wollte. Drei Könige behaupteten, sie hätten während ihrer ganzen Regierung niemals einen Mann von Verdienst befördert, wenn dies nicht durch Versehen oder durch die Verräterei eines Ministers, dem sie ihr Vertrauen geschenkt hätten, geschehen sei; sie würden dies auch nicht tun können, wenn sie wieder zum Leben erweckt würden; sie bewiesen in logischer Darlegung, der königliche Thron könne nie ohne Korruption erhalten werden, weil ein entschiedener, vertrauensvoller und konsequenter Charakter, den der Mensch durch die Tugend erhalte, den Staatsgeschäften ein ewiges Hindernis bieten müsse.
Aus Neugierde erkundigte ich mich hauptsächlich danach, durch welches Verfahren eine große Anzahl von Menschen hohe Ehrentitel und wertvolle Landgüter erworben hätte, und ich beschränkte meine Fragen auf eine Zeit, die uns noch sehr neu ist; ich rührte jedoch nicht im geringsten an die Gegenwart, weil ich auf keine Weise, nicht einmal im Auslande, Anstoß erregen wollte. Auch brauche ich dem Leser wohl durchaus nicht zu sagen, daß ich in allem, was ich hier berichte, mein eignes Vaterland nicht im Auge habe.
Eine große Anzahl von Personen, die in dieser Hinsicht beteiligt waren, wurde herbeibeschworen und enthüllte mir, bei einer flüchtigen Untersuchung, eine solche Schande, daß ich ohne ernsten Tadel nicht darüber reden kann. Meineid, Unterdrückung, Verführung, Betrug, Kuppelei und ähnliche Gebrechlichkeiten wären noch unter den Schlichen am ehesten zu entschuldigen, und ich war auch so vernünftig, in dieser Beziehung nachsichtig zu sein. Als mir aber einige gestanden, sie verdankten ihren Reichtum unnatürlichen Lastern; andere ihrer Willfährigkeit, Frauen und Töchter preiszugeben; andere dem Verrate ihres Vaterlandes und ihres Fürsten; einige der Vergiftung; eine größere Anzahl der Verdrehung des Rechts, um Unschuldige zugrunde zu richten: So hoffe ich auf Verzeihung, wenn diese Entdeckung die große Verehrung ein wenig verminderte, die ich gegen Personen von hohem Range hege, weil diese mit der höchsten Achtung, die man ihrer hohen Würde schuldig ist, von uns, ihren Untergebenen, behandelt werden müssen.
Ich hatte oft von großen Diensten gelesen, die Fürsten und Staaten erwiesen wurden, und wünschte deshalb, die Personen zu sehen, die jene Dienste geleistet hatten. Nach näherer Untersuchung wurde mir aber gesagt, die Namen befänden sich in keiner geschichtlichen Angabe, mit Ausnahme weniger, die man als die schändlichsten Schurken und Verräter dargestellt hatte. Von den übrigen war mir kein einziger Name bekannt. Sie alle erschienen mit gesenkten Blicken und in den schlechtesten Kleidern; die meisten sagten mir, sie seien in Armut und Schande und die übrigen am Galgen oder auf einem Schafott gestorben.
Unter anderen sah ich einen Mann, dessen Fall mir als etwas Besonderes erschien. An seiner Seite stand ein Jüngling von ungefähr achtzehn Jahren. Er sagte mir: Mehrere Jahre lang sei er der Befehlshaber eines Schiffes gewesen; in der Seeschlacht von Actium habe er das Glück gehabt, durch die Schlachtlinie des Feindes zu brechen, drei Hauptschiffe zu versenken und ein viertes zu nehmen. Dieses sei die einzige Ursache von des Antonius Flucht und des daraus sich ergebenden Sieges gewesen; der neben ihm stehende Jüngling sei sein Sohn, der in diesem Kampfe sein Leben verloren habe. Er fügte hinzu: Im Vertrauen auf sein Verdienst sei er nach Beendigung des Krieges nach Rom gegangen und habe am Hofe des August um Beförderung als Befehlshaber eines