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Die Zeit mit Anaïs. Georges SimenonЧитать онлайн книгу.

Die Zeit mit Anaïs - Georges  Simenon


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Hier spricht Wachtmeister Rochain, Vitry-aux-Loges. Wir haben ihn. Ich gebe Ihnen seinen Namen und seine Adresse durch … Ja … Ich habe seinen Ausweis vor mir, er scheint in Ordnung … Schreiben Sie mit? … Albert Bauche … B wie Bernard … A wie Antoine … U wie Ursule … C … Ja … H wie Henri … E wie Ernest … Nein … Verheiratet … Quai d’Auteuil siebenundsechzig, in Paris …«

      Bauche, der sich gern eine Zigarette angezündet hätte, wagte nicht, darum zu bitten, dass man ihm dabei half, sein Päckchen aus der Tasche zu ziehen. Der zweite Gendarm unterhielt sich leise mit dem Wirt und seinen Kumpanen und ließ sich ein Glas Wein einschenken.

      »Einen Moment. Ich werde ihn fragen.«

      Der Wachtmeister wandte sich an Bauche.

      »Wen hast du denn umgebracht? Wo? Wann?«

      »Serge Nicolas … Vorhin … Gegen halb sieben … Nein, eher um sechs …«

      »Und wo?«

      »In seiner Wohnung, Rue Daru … Gleich hinter der Place de l’Étoile …«

      »Hallo! Das habe ich eben von ihm erfahren …«

      Er wiederholte Namen und Adresse, lauschte und fragte ihn dann:

      »Womit?«

      »Mit einem Revolver.«

      Er gab es durch, horchte wieder.

      »Zeugen?«

      »Keine.«

      In die Sprechmuschel sagte er:

      »Es gibt keine Zeugen.«

      Und so ging das Spiel weiter.

      »Ist er tot?«

      »Ich glaube schon … Ja … Er ist bestimmt tot …«

      »Hallo. Er nimmt es an. Er sagt, dass er bestimmt tot ist. Wie, bitte? … Gut! Wir sollen uns erst den Wagen ansehen? Verstanden. Geht in Ordnung. Ich weiß nicht. Etwas über eine Stunde bestimmt, noch dazu, wenn der Wagen auf einem Waldweg steht.«

      Zu Bauche:

      »Steht der Wagen auf einem Waldweg?«

      »Ja.«

      Er gab seinem unsichtbaren Gesprächspartner die Information weiter, hängte ein, nahm mit einer langsamen, feierlichen Bewegung seine Brille ab. Sogleich verlor er sein Beamtengesicht und sah genauso aus wie die Bauern am Tisch.

      »Weißt du genau, wo du dein Auto stehenlassen hast?«

      »Ich glaub schon.«

      »Kannst du uns hinführen?«

      »Es ist der Weg, der von links kommt und an der Kirche endet. Ich hatte die Panne in der Nähe von einem Bauernhaus an einer abschüssigen Wiese.«

      »Bei Charasseau«, sagte der Jagdaufseher.

      Der Wirt reichte dem Wachtmeister ein Glas Wein, das dieser nicht ausschlug und in einem Zug leerte.

      »Also, los!«

      Bauche traute sich nicht zu sagen, dass er Hunger und Durst hatte. Man ließ ihn als Ersten hinausgehen, die beiden Uniformierten folgten ihm auf dem Fuß. Sobald die Tür ins Schloss fiel, begaben sich die anderen wieder auf ihre Plätze am Tisch. Vielleicht war die Alte gar nicht schlafen gegangen und würde jetzt, die Katze auf dem Arm, wieder herunterkommen und sich in ihren Korbstuhl setzen.

      Auch von dem anderen Drang, der ihm zu schaffen machte, wagte er auf dem Weg zum Polizeiauto nichts zu sagen.

      Man schob ihn auf den Rücksitz. Die beiden Gendarmen nahmen vorne Platz. Es regnete immer noch, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Auch die Dunkelheit, ja sogar die Bäume, deren dicht aneinandergedrängte Stämme im Scheinwerferlicht aufleuchteten, waren nicht mehr dieselben.

      »Wartet er auf uns?«

      »Ja. Er hat Nachtdienst. Er setzt sich gerade mit Paris in Verbindung.«

      Als Bauche aus seinem Auto ausgestiegen war, hatte er nicht bemerkt, wie weit es sich über die Böschung neigte. Es stand da am Wegrand wie ein ausgedientes, ein wenig komisches Wrack. Der Wachtmeister stieg aus und bewegte sich im Scheinwerferlicht mit geradezu lächerlicher Vorsicht darauf zu, nahm sich sogar Zeit, die Wagennummer zu notieren, bevor er die Tür öffnete.

      »Erlauben Sie, dass ich einen Augenblick? …«, fragte Bauche den im Auto verbliebenen Gendarmen.

      »Was soll ich erlauben?«

      »Ich müsste einmal …«

      Er hatte gemeint, dass er nur ein kleines Geschäft erledigen musste, wie er als Kind gesagt hatte, aber als er im Regen am Wegrand stand, der Gendarm nur zwei Schritte von ihm entfernt, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Demütigung auf sich zu nehmen.

      »Ich bitte um Verzeihung …«

      Sein großes Geschäft war noch nicht beendigt, als Wachtmeister Rochain bereits zurückkam. Er musterte ihn von Kopf bis Fuß, als wäre er ein Tier, und setzte sich wieder ans Steuer.

      Bauche war völlig durchgefroren. Das hohe Gras hatte seine Hosenaufschläge durchnässt, und er fühlte sich schmutzig. Er sagte noch einmal:

      »Ich bitte um Verzeihung.«

      Die Tür wurde hinter ihm zugeschlagen. Der Gendarm setzte sich neben seinen Kollegen. Um an dem liegengebliebenen Wagen vorbeizukommen, mussten sie in einem komplizierten Manöver ein kleines Stück über den Straßengraben fahren und streiften dabei die Bäume.

      Die beiden Männer rauchten. Sie hatten breite Schultern, ihre Uniformen rochen nach feuchter Wolle, und beide hatten eine Weinfahne.

      »Fährst du über Vitry?«

      »Ich nehme die Abkürzung über den Kanal. Warum?«

      »Nur so. Sonst hätte ich kurz meiner Frau Bescheid gesagt.«

      Dann:

      »Macht nichts.«

      2

      Von ihm war in ihrer Unterhaltung nicht die Rede, sie kümmerten sich auch nicht darum, ob er ihnen zuhörte oder nicht. Gewissermaßen zählte er nicht mehr als Mensch, seit sie ihn, mit Stahlringen um die Handgelenke, auf den Rücksitz des Autos bugsiert hatten, wo ihm die Vordersitze jeden Ausstieg unmöglich machten.

      Während der ganzen Fahrt von Ingrannes nach Orléans war er für sie gleichsam gar nicht vorhanden. Beide rauchten, der eine Zigaretten, der andere Pfeife, aus der beißender Rauch aufstieg. Gemächlich plätscherte das Gespräch dahin, keiner hatte es eilig, dem anderen zu antworten. Sie sprachen von Leuten, die sie beim Vornamen nannten, als wären sie Schwägerinnen, die sich sonntagnachmittags einen Besuch abstatten.

      »Was hat er darauf erwidert?«

      »Er hat halt gesagt, wenn er Arthur nicht so genau kennen würde, hätte die Sache ein böses Ende nehmen können, und dass Jeanne in Zukunft besser den Mund halten sollte.«

      »Und der Alte?«

      »Das Komische war ja, dass der keinen Muckser getan hat. Dem hat’s einfach die Sprache verschlagen, verstehst du?«

      Die Personen ließen sich nicht deutlich unterscheiden, träge gingen die Geschichten ineinander über, und er hätte eine Erklärung gebraucht, um zu begreifen, wer eigentlich gemeint war. Schließlich vernahm er nur noch den Klang der Wörter, ohne dass sie für ihn ein Bild hervorriefen, so als würden die beiden in einer fremden Sprache reden.

      »Hast du mit dem Chef darüber gesprochen?«

      »Das mach ich, sobald ich es für notwendig halte.«

      »Übrigens, da wir schon vom Chef reden, hat der Kerl mit dem Vollbart dir erzählt, was ihm auf der Kirchweih passiert ist?«

      All diese Dinge besprachen sie wichtigtuerisch und genüsslich, unterstrichen das eine oder andere durch hämisches Kichern.


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