Chancenerkenner statt Krisentaucher. Andreas KlarЧитать онлайн книгу.
einer Mutter, die sich sehr vom Leben vernachlässigt fühlte und mit sich selbst beschäftigt war, wiederum geprägt durch ihre eigene Kindheit. Mein Vater, der eigentlich positiver ins Leben blickte, bekam im frühen Alter von 35 Jahren die Diagnose Morbus Parkinson, was er schwer akzeptieren konnte. Dadurch wurde ich auch verantwortlich für meinen fünf Jahre jüngeren Bruder, den ich oft beaufsichtigen musste. Irgendwie fühlte ich mich schon als Kind als diejenige, die stark sein sollte. Letztendlich war ich aber natürlich mit der Situation überfordert.
Wir alle mussten mit dieser großen Belastung leben: als ich 15 Jahre alt war, begann die Krankheit meines Vaters, sich mehr und mehr auszubreiten, und häufig ging es ihm so schlecht, dass er sich gar nicht mehr bewegen konnte; er war oft völlig starr. Er konnte sein Schicksal der fortschreitenden Krankheit nicht annehmen, auch bei meiner Mutter verstärkten sich psychische Probleme. Sie ergab sich in einer Opferrolle, so dass letztendlich auch ihr Körper mit Krankheiten und Schmerzen darauf reagierte.
Gefühlt war ich die Stütze meiner Eltern, und für meinen Bruder wurde ich zur starken großen Schwester. Interessant war auch, dass wir – völlig untypisch – aufhörten, miteinander zu streiten und zusammenhielten wie Pech und Schwefel, so unterschiedlich wir auch waren. Schon früh musste ich Verantwortung für andere tragen, doch in mir drin fühlte mich sehr unsicher. Weit entfernt von jeglichem Selbstbewusstsein war ich zwar froh, eine Frau zu sein, doch nach außen identifizierte ich mich lediglich durch ein gepflegtes Äußeres. Als „brave“ Tochter folgte ich dem Rat meiner Eltern, etwas zu lernen, wo man sich „schön anziehen“ konnte. Es hatte in unserer Familie auch immer einen hohen Stellenwert, was die Anderen von uns dachten.
Nach der Schule startete ich in einer großen Münchner Firma eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete lange als Sekretärin. Mit 18 hatte ich meinen Führerschein, dadurch konnte ich meinen Vater täglich zur Arbeit fahren und anschließend weiter zu meiner Arbeitsstelle. Abends holte ich ihn wieder ab. Wegen seiner Krankheit hatte mein Vater besonders morgens starke Verkrampfungen. Sehr oft habe ich ihn bis zu seinem Arbeitsplatz stützend begleitet und mir schon damals überlegt, wie ich ihn zum sichereren Gehen verhelfen könnte. Emotional war das sehr schwierig für mich. Ich habe mich in dieser Zeit sehr einsam und überfordert gefühlt, oft bin ich tränenüberströmt zu meiner Arbeitsstelle gefahren. Gesprochen habe ich nie darüber; ich wollte einfach niemanden zur Last fallen.
Lange Jahre fühlte ich mich in der Situation gefangen. Schließlich wurde ich gebraucht, war ich doch die große Tochter und musste mich gefühlt um alles und alle kümmern. Was mir sehr half war, dass ich Handball spielen konnte, denn Bewegung war schon immer meine Leidenschaft. Auch Fitnesstraining und Tanzen wurden meine Hobbys. So bekam ich wenigstens von dieser Seite her die nötige Bestätigung. Gefühlt war ich die Stärkste in unserer Familie, doch gleichzeitig war ich sensibel und feinfühlig. Ich habe es meinen Eltern immer recht machen wollen und war letztendlich doch nur ein angepasstes Kind, welches nach Liebe bettelte. Nicht umsonst hatte ich mich damals immer in schwache Muttersöhnchen verliebt, bei denen ich natürlich aber mein Glück auch nicht fand.
Mein Befreiungsschlag
Mit 29 Jahren kam für mich die Wende. Nach einem Bildungsurlaub in England stellte ich fest, dass ich mein eigenes Leben führen wollte und ging für ein Jahr nach England, um die Sprache zu lernen und selbstständig zu werden. Als ich diese Pläne meinen Eltern mitteilte, kann ich mich nur noch an Weinen und Schreien erinnern. Ich setzte mich jedoch durch: es musste ohne mich gehen – und das ging dann auch. Das war mein schon lang anstehender Schritt: weg von zuhause, hinein in mein eigenes Leben! Mein Horizont erweiterte sich enorm in diesem Jahr, ich hatte viel nachzuholen und lernte neben der Sprache unterschiedlichste Menschen aus vielen verschiedenen Nationen kennen.
Nach einem Jahr kam ich zurück nach Deutschland und plante, Flugbegleiterin zu werden. Leider war ich damals mit 30 Jahren schon zu alt, die Altersgrenze lag bei 29. Ich war sehr enttäuscht, denn ich wollte das Reisen und Arbeiten miteinander verbinden und die Welt kennenlernen. Da mein Englisch mittlerweile sehr gut war, wurde mir stattdessen in einem amerikanischen Unternehmen eine Position als Assistentin des Vertriebsleiters angeboten.
Zwei Jahre später erhielt ich plötzlich eine neue Chance, meinem ersehnten Beruf doch noch nachgehen zu können. Die Altersgrenze bei der Fluglinie Condor wurde auf 35 Jahre hochgesetzt. Mein Traum, Flugbegleiterin zu werden, wurde doch noch wahr. Ich arbeitete mich innerhalb eines Jahres zur Kabinenchefin hoch und trug gerne die Verantwortung für mein Team und die Fluggäste. In meiner Vorbild- und Führungsposition entwickelte sich das Mädchen vom Land zu einer weltgewandten Frau. Mit all diesen Erfahrungen wurde mir ein wesentlicher Baustein in meinem Leben klar: ich muss mich nur trauen!
Durch meinen Wissensdrang erweiterte sich mein Horizont immer mehr, und ich begann, mich nebenberuflich weiterzubilden. Nach drei Jahren Flugerfahrung entschied ich mich für ein Teilzeitmodell, um mehr Zeit für Fortbildungen zu haben. Es folgten Ausbildungen in den Bereichen Psychologische Astrologie, Neuro-Linguistisches Programmieren, Heilpraktiker für Psychotherapie, Focusing und Gesprächstherapie sowie Selbstcoaching mit vielen Seminaren. Ständig hatte ich auf meinen Flügen Unterlagen mit im Gepäck, um in den Zwischenstopps mein Wissen aufzufrischen.
Die Reise zu meinem Körper
Eine dreimonatige Auszeit verbrachte ich in Indien, sechs Wochen davon im Ashram in Pune. Ich war zwar kein direkter, geschweige denn fanatischer Anhänger, doch ich nahm begeistert bei vielen Meditationen und an einigen Gruppensitzungen teil. Dort begann auch die Zeit, mich mit meinem „Inneren Kind“ auseinanderzusetzen und meinen Körper zu fühlen und zu spüren. Ich durfte unglaublich viel Heilung erfahren und habe den positiven Effekt der verschiedenen Meditationen kennengelernt. Danach war für mich klar, dass ich unbedingt Körperarbeit machen möchte. Zurück in Deutschland probierte ich viele Körpertherapieverfahren aus, wie Rolfing, Rebalancing, Cranio-Sacral-Therapie oder Feldenkrais.
In der TRAGER-Methode – sich freier und leichter bewegen – fand ich letztendlich, was ich suchte und begann eine zweijährige Ausbildung. 2004 absolvierte ich meine Prüfung zur TRAGER-Praktikerin und startete sofort, nebenberuflich damit zu arbeiten. Die TRAGER-Methode ist eine ganzheitliche Behandlung, bei der körperliche und mentale Aspekte mit einbezogen werden. Ich eröffnete neben meiner Tätigkeit als Flugbegleiterin eine kleine Praxis und behandelte Menschen nach dieser Methode. Mehr und mehr setzte ich mich mit dem Thema „Gehen“ auseinander.
Ich begann, Menschen zu beobachten, wie sie sich bewegten und wie sie nach außen wirkten. Ich stellte fest, dass der Auftritt eines Menschen, also der erste Eindruck, fundamental wichtig ist. Als Flugbegleiterin trug ich häufig hohe Absätze, sie gehörten zu meiner Berufskleidung, zumindest wenn ich mich für einen Rock oder Kleid entschied, in dem ich mich meistens am wohlsten fühlte. Mit Hosen konnte man auch flache Schuhe tragen. Schon damals setzte ich mich damit auseinander, wie ich möglichst schmerzfrei in hohen Schuhen meinen oft sehr langen Arbeitstag bewältigen konnte.
Während meiner Reisen entdeckte ich, wie unterschiedlich sich die Menschen in den verschiedenen Ländern bewegten. Frauen in der Karibik leben ihre Weiblichkeit, bewegen sich anmutig und tanzen viel. Damals entdeckte ich auch die lateinamerikanischen Tänze Salsa und Merengue für mich. In Argentinien haben die Frauen eine unglaublich aufrechte und stolze Körperhaltung, fast keine hat einen Rundrücken. In Afrika tragen die Frauen schwere Lasten auf dem Kopf, daher gehen sie auch sehr aufrecht und sehen majestätisch aus – auch ohne High Heels!
In Deutschland hingegen gibt es extrem viele Menschen mit Haltungsschäden. Sehr verbreitet ist der Rundrücken, der in keiner Weise Anmut oder Stolz repräsentiert. Meine Beobachtungsgabe schärfte sich auch diesbezüglich, dass ich feststellte, dass hierzulande viele Frauen wie Männer gehen. Später in meinen Workshops lernte ich, dass manche Frauen offensichtlich „ihren Mann stehen“ und unbewusst dessen Gang kopieren: breitbeinig und mit starrer Hüfte.
Die Eleganz in der Bewegung
Die Krönung für mich war, als ich Tango Argentino zu tanzen begann. Anfangs gefiel mir daran am besten, dass ich mich feminin kleiden konnte. Da mich nun die weibliche Bewegung besonders interessierte, begann ich zu beobachteten, dass bei manchen Frauen die Schritte