Die neuen Reiter der Apokalypse. Michael GhanemЧитать онлайн книгу.
so Gesell, entstehe im Wesentlichen durch leistungslose Einkommen zu Lasten Armer durch Zins und Zinseszins, sowie durch Bodenspekulation.
Diskriminierungstheorien
Als weiterer Grund für Armut bestimmter Personengruppen wird Diskriminierung genannt. Diskriminierung kann entweder direkt oder auch indirekt sein. Von direkter Diskriminierung spricht man, wenn jemand wegen bestimmter Merkmale (wie etwa ethnische Zugehörigkeit, Schichtzugehörigkeit und so weiter) in seinen Möglichkeiten an Geld zu kommen eingeschränkt ist. Ein Beispiel für direkte Diskriminierung wäre eine Stellenanzeige mit dem Zusatz Bewerbungen von Arbeiterkindern/Ausländern/Frauen/Juden zwecklos. In den meisten Ländern ist das heute selten. Als häufiger gilt die indirekte oder mittelbare Diskriminierung. Nach einer Definition der Europäischen Union liegt eine mittelbare Diskriminierung vor,
… wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren bestimmte Personen aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausrichtung in besonderer Weise benachteiligen können.
Als Beispiel für eine solche Diskriminierung wird oft das Arbeitsverbot gegen Frauen mit Kopftuch diskutiert. Pierre Bourdieu nannte die Diskriminierung aufgrund eines bestimmten Habitus als Beispiel für indirekte Diskriminierung. Personen mit dem Habitus der Arbeiterklasse seien in den europäischen Gesellschaften benachteiligt.
Wandel der wirtschaftlichen Struktur hin zur Informationsgesellschaft
Die Theorie des wirtschaftlichen Strukturwandels besagt, dass es durch Verschiebungen in der wirtschaftlichen Struktur zu Arbeitslosigkeit und Armut komme. Es würden immer mehr Jobs für Geringqualifizierte wegfallen, da sie ins Ausland verlagert würden oder von Maschinen übernommen würden. Gleichzeitig würde aber das Bildungsniveau der Bevölkerung nicht stark genug ansteigen. In den 1970er Jahren noch waren nur 5 % der Menschen ohne Berufsausbildung arbeitslos. Heute sind es ungefähr 20–25 %. Zum Vergleich: Nur 3,3 % der Akademiker sind arbeitslos. Die Akademikerarbeitslosigkeit ist damit heute nicht höher als in den 1970er Jahren.0 2004 konnten gemäß einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) 10 % der Lehrstellen in Westdeutschland nicht besetzt werden. 77 % der Betriebe gaben als Grund an, dass kein ausreichend qualifizierter Bewerber gefunden werden konnte. Gleichzeitig steckten 600.000 Jugendliche in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen, da sie keine Lehrstelle hatten.
Strukturfunktionalismus und individualistische Theorien
Strukturfunktionalisten wie Herbert Gans sind der Meinung, dass Armut eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Aus diesem Grund trachtet jede Gesellschaft danach, ihre Armen zu haben. Laut Gans dienen die Armen als abschreckendes Beispiel und als Sündenböcke. So helfen sie, die dominante Kultur und Ideologie einer Gesellschaft zu erhalten.
Individualistische Theorien sehen den Grund für die Armut in den Defiziten der Armen selbst. Diese Defizite werden entweder als angeboren oder als erworben angesehen.
Sozialdarwinismus
Der Sozialdarwinismus ist eine Interpretation der Theorien von Charles Darwin. Darwin vertrat die These, dass es unter den Individuen einer Art gut angepasste und weniger gut angepasste gebe. Gut angepasste Individuen hätten im Kampf um das Dasein (struggle for existence) bessere Chancen, bis ins fortpflanzungsfähige Alter zu überleben und eine große Anzahl von Nachkommen zu haben. Gut angepasste Individuen wurden von Darwin als „fit“, schlecht angepasste als „unfit“ bezeichnet. Die Sozialdarwinisten übertrugen Darwins Theorien auf das menschliche Zusammenleben. Sie glaubten, dass es durch den Genotyp eines Individuums weitgehend determiniert ist, wie weit es das Individuum einmal bringen wird. Die Armen sind laut dieser Theorie arm, weil sie schlecht angepasst sind.
Der Sozialdarwinismus ist eine relativ alte Theorie. Bereits Darwins Halbcousin Francis Galton bezeichnete sich als Sozialdarwinist. Galton vertrat 1869 die These, dass es vor allem die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen wären, die dazu führten, ob er arm oder reich sei. Da es allerdings das Wort Intelligenz damals noch nicht gab, ist bei Galton nicht von Intelligenz, sondern von Begabung und Genie die Rede. Dieses sei stark erblich.
Diese These wird von Richard Herrnstein und Charles Murray in ihrem Buch The Bell Curve wieder aufgegriffen. Herrnstein und Murray behaupten, mit empirischen Daten der amerikanischen National Longitudal Study of Youth nachgewiesen zu haben, dass die Frage, ob man arm sei, stark mit dem IQ zusammenhänge. Das Buch wurde von zahlreichen Wissenschaftlern kritisiert. So analysierte Jay Zagorsky vom Center for Human Resource Research der Ohio State University die gleichen Daten und kam zu dem Ergebnis, dass es keinen Zusammenhang zwischen IQ und finanziellem Wohlstand gebe. Sehr wohl konnte er jedoch einen relevanten Zusammenhang zwischen IQ und Einkommen feststellen. Er fasste seine auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnisse mit „Your IQ has really no relationship to your wealth. And being very smart does not protect you from getting into financial difficulty“ zusammen und merkte an, dass noch weitere Forschung diesbezüglich notwendig sei.
Theorie der erlernten Hilflosigkeit
Der Psychologe Martin Seligman stellte die These auf, dass die Armen unter erlernter Hilflosigkeit litten. Ihre Lebensumstände verleitet sie dazu, persönliche Entscheidungen als irrelevant wahrzunehmen. Laut Seligman betrachten Personen in einem Zustand der erlernten Hilflosigkeit Probleme als persönlich, generell oder permanent:
• persönlich – sie sehen (in) sich selbst als das Problem;
• generell – sie sehen das Problem als allgegenwärtig und alle Aspekte des Lebens betreffend;
• permanent – sie sehen das Problem als unabänderlich.
Daraus zögen sie die Schlussfolgerung, dass es nichts bringe, etwas gegen ein Problem zu unternehmen, und unternähmen nichts. Erlernte Hilflosigkeit komme in allen Schichten vor, sei jedoch in den unteren Schichten besonders häufig. Das sei so, weil die Leute dieser Schichten mehr negative Erfahrungen als die aus höheren Schichten machten. Erlernte Hilflosigkeit könne jedoch überwunden werden. Der Betroffene müsse sich klarmachen, dass er unter erlernter Hilflosigkeit leide, und dass er über Handlungskompetenzen verfüge und sein Leben selbst in die Hand nehmen könne. Dabei könne die Verhaltenstherapie helfen.
Armut durch schlechten Charakter
Der US-amerikanische Politologe Charles Murray war früher der Meinung, dass Armut sich durch den schlechten Charakter der Armen erklären lasse. In seinem Buch Losing Ground teilt Murray Arme in zwei Klassen ein: die „working class“ und die „underclass“. Die letztere wird von ihm auch als „dangerous class“ („gefährliche Schicht“) oder „undeserving poor“ (Übersetzung in etwa: „Arme, die es nicht verdient haben, dass man ihnen hilft“) bezeichnet. Diese „undeserving poor“ zeichnen sich laut Murray durch mangelnde Selbstdisziplin aus. Sie hätten nicht den Ehrgeiz, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, sondern lebten lieber von Almosen. Die underclass habe sich als Reaktion auf zu hohe Sozialleistungen entwickelt. Einige Leute hätten die Sozialhilfe zu ihrem Lebensstil gemacht. Des Weiteren sei es durch Sozialleistungen für alleinerziehende Mütter zu einem Zerfall der Familie gekommen. Frauen würden bewusst die alleinerziehende Mutterschaft wählen, um möglichst viel Sozialleistungen zu empfangen. Als natürlichen Feind der „undeserving poor“ sieht Murray die „working class“ an, denn diese finanzierten den Lebensstil der underclass; was aber noch schlimmer sei: Die underclass verdürbe durch ihren Lebensstil die Kinder der arbeitenden Klasse, die die falschen Werte der underclass übernähmen. Später gelangte Murray zu der Auffassung, dass Armut vor allem durch niedrige Intelligenz zustande käme.
Folgen der absoluten Armut in den Entwicklungsländern
Unterernährung
Etwa 852 Millionen Menschen weltweit hungern. Davon leben 815 Millionen in den Entwicklungsländern. In den Entwicklungsländern sterben rund 11 Millionen Kinder unter fünf Jahren pro Jahr – das sind 30.000 Kinder pro Tag. Ungefähr die Hälfte der Kindersterblichkeit geht