ALLTAG WAR GESTERN. Kurt BauerЧитать онлайн книгу.
sehe den offenen Raum in meinem Kasten und die leeren Regale. Erstaunlich leer. Soweit, so gut. Die Papiersachen habe ich nun schon erfolgreich aussortiert. Doch noch immer lagern im Nebenzimmer Schachteln mit Dingen. Für deren Verwertung brauche ich eine gute Idee. Außerdem habe ich noch andere alte Sachen im Kasten lagern, angefangen von einem Kabelsalat bis hin zu Druckutensilien, mehreren Kameras, unzähligen SD-Karten, Spielen, vergangenen Unterrichtsvorbereitungen und so weiter. Ich wende mich wieder an meine Frau, da sie mir beim letzten Mal schon so gut geholfen hat. „Hör zu“, sage ich, „mein Problem ist, dass ich jetzt verschiedene Dinge, angefangen von Kameras, Blutdruckmessgeräten, Lautsprechern etc. habe, die ich nicht mehr brauche. Ich will sie irgendwie loswerden, aber nicht wegwerfen. Komm mit, ich zeig sie dir.“ Ich führe sie zu den sperrigen Teilen meiner Sammlung. „Schau, hier habe ich ein Blutdruckmessgerät, das super funktioniert, aber ich habe zwei davon, und hier ist ein Lautsprecher, völlig in Ordnung. Vielleicht kann das ja jemand gebrauchen.“ Meine Frau sieht mich an und fragt: „Warum stellst du das nicht auch auf `willhaben`?“ „Ganz einfach“, sage ich, „weil es da nicht hinpasst, und ich will es gar nicht verkaufen!“ - „Okay“, meint sie, „dann schreib hinein `zu verschenken`. Du musst es ja nicht verkaufen.“ Volltreffer! „Tolle Idee! Danke.“ antworte ich. Vor ein paar Stunden stand ich beim Lego schon vor der Lösung, aber selbst war ich nicht auf die Idee gekommen. Nun habe ich einen Plan. Es folgt Räumen Teil zwei. Wenn das klappt, habe ich wirklich einen deutlichen Platzgewinn. Für heute ist es genug.
„Ein Aluminiumkoffer zu verschenken! Gegen Abholung.“ „Ein Blutdruckmessgerät. Zu verschenken! Gegen Abholung.“ Mein Sohn bietet an, mir zu helfen und ich staune. Ich bräuchte nur zu sagen, was ich loswerden will, er würde es auf „willhaben“ stellen und „Schwupps, ist es weg“, meint er. Er übernimmt sogar den Transport zur Post. Zu so viel Entgegenkommen kann ich einfach nicht Nein sagen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Ich stelle überrascht fest, dass es klappt und ich Platz gewinne! Kurz, nachdem wir einige Dinge auf „willhaben“ gestellt haben, melden die ersten Personen ihr Interesse an. Das Blutdruckmessgerät wurde von einem Steirer angefragt. Abholung Ende nächster Woche. Es klappt hervorragend!
Bernhard hilft meiner Frau und mir bei der Arbeit mit „willhaben“ am Computer. Er macht seine Sache gut.
Tagebucheintragung 05.04.2020
PALMSONNTAG
Heute ist Palmsonntag. Ein erster Höhepunkt der christlichen Osterfeierlichkeiten auf der ganzen Welt. Alles in leeren Kirchen. Via TV bin ich mit Kardinal Schönborn beim Palmsonntagsgottesdienst im leeren Stephansdom in Wien verbunden. Gläubige können am Fernsehschirm mitfeiern. Eine Sängerin intoniert „Lamm Gottes, erbarme dich unser …“. Der Kardinal hat jetzt den Kelch mit der Hostie erhoben und betet: „Seht das Lamm Gottes. Es nimmt hinweg die Sünde der Welt.“ Eine einzelne Stimme antwortet: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund.“ Dann folgt Stille. Abschließend spricht Kardinal Schönborn den Segen: „Der Herr sei mit euch. Gepriesen sei der Name des Herrn in alle Ewigkeit. Seid gesegnet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Gehet hin in Frieden.“ Eine Stimme antwortet: „Amen.“ Am Schluss wird eingeblendet: www. gottesdienstnetzwerk.at.
In Tausenden Kirchen auf der ganzen Welt passiert genau Dasselbe in diesem Moment. Leere Kirchen, und dennoch mit den heutigen technischen Mitteln verbunden. Ist das ein Segen oder ein Fluch? Ich weiß es nicht. Aber es ist anders.
12.00 Uhr: Frühling. Ja, ich erfahre Frühling. Die Sonne wärmt mich. Da gibt es einen erblühten Kirschbaum, voll erblüht. Bienen gehen geschäftig ihrem Treiben nach. Das nährt meine Seele. Auf meinem Spazierweg nehme ich ein Sonnenbad. Es ist einfach schön. Jogger kommen mir entgegen. Radfahrer passieren mich, und Autofahrer haben die Windschutzscheiben offen. Musik dringt aus dem Inneren. Auf einem Laternenpfahl ist ein Plakat angebracht „Katze entlaufen! € 100 Belohnung! Sie heißt Amy und ist 7 Monate alt. Farbe: Weiß/Rot.“ Die Besitzerin kenne ich, sie tut mir leid.
Ein Spaziergänger mit Hund kommt mir entgegen und wechselt die Seite. Der Hund bekommt mehr Leine. Er schnüffelt an meinem Hosenbein. Der Hundehalter erklärt mir, dass sein Hund eine besondere Rasse sei. Klein, ein seidiges graues Fell und unübersehbare Fledermausohren. Der Hund scheint von mir begeistert zu sein. Das erkenne ich daran, wie er nicht nur mit dem Schwanz wedelt, sondern sein ganzes Hinterteil hin und her bewegt. Er beschnüffelt mich. Was er riecht, scheint ihm zu gefallen. Wir wünschen einander einen guten Tag und gehen weiter.
Abstand halten! Mir fällt auf, dass zwei Jogger ziemlich nahe an mir vorbeilaufen. Momentan schreckt mich das. Wir haben alle keine Masken auf. Unfug, denke ich mir. Was soll denn schon passieren? Ja, aber ab morgen ist Maskenpflicht. Etwas Makabres hat das Ganze sehr wohl für mich. Wer ist ein Überträger, ein „Corona-Virenspreader“?
Jetzt haben wir schon drei Wochen Quarantäne. Die Regierung verkündet heute als Osterbotschaft: „Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Die Ansteckungszahlen sind rapide gesunken, und unser Gesundheitssystem wird (wahrscheinlich) nicht kollabieren wie in anderen Ländern.“ Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt.
Tagebucheintragung 07. 04. 2020
RÜCKKEHR ZUR NEUEN NORMALITÄT
Heute ist der Tag, an dem mehr Menschen gesund geworden sind als neu erkrankt. Das grün-rote Balkendiagramm im Fernsehen zeigt das deutlich. Die grünen Balken, welche die Gesunden symbolisieren, sind deutlich höher als die roten, die die Kranken symbolisieren. Die Zahl der Toten hat sich verringert.
Die Regierung erklärt, dass die gewählten Maßnahmen griffen, aber dennoch keine Entwarnung gegeben werden könne. Mehr noch, jetzt sei es an der Zeit, Gesichtsmasken zu tragen, um andere Menschen zu schützen. Wenn dann die Zahl der Infizierten weiter abnehme, könne man beginnen, erste Maßnahmen zur Normalisierung einzuleiten. Ab 14. April dürften kleine Geschäfte wieder aufmachen. Zu diesem Zeitpunkt würden auch die Bundesgärten ihre Pforten öffnen.
Die große Bitte des Bundeskanzlers Kurz lautet: „Verzichten Sie zu Ostern auf Familientreffen und große Menschenansammlungen! Wenn die Maßnahmen wirken, dann steht einer schrittweisen ´Auferstehung´ zur Normalität nichts mehr im Wege! Wir werden mit dieser Öffnung sehr vorsichtig sein, weil wir keine zweite Erkrankungswelle wollen. Wenn irgendwo weitere Infektionen auftauchen, sind wir bereit, sofort gegenzusteuern.“
Das verstehe ich. Ich begrüße diese Vorsicht, denn Singapur erlebt gerade eine zweite Welle des Corona-Virus.
Für mich nimmt sich Österreich wie eine Insel der Seligen zwischen den roten Flecken der umliegenden Länder aus. In den USA explodiert die Lage regelrecht. 2000 Tote in 24 Stunden. In manch anderen Ländern scheint das Corona-Virus noch nicht einmal angekommen zu sein.
Hotspot ist derzeit Europa! Ich bin tief betroffen und bedaure die unsagbare Not, die das Virus über die Welt bringt. Aber es scheint so, dass sich die Krise in die USA verlagert.
Gleichzeitig fühle ich mich von Statistiken regelrecht umzingelt. Dr. Körner, der mich mit Informationen zum Virus versorgt, meint: „Vergiss nicht, dass man immer gewisse Annahmen machen muss, um die Ausbreitung in der Bevölkerung vorauszusagen. Alle Parameter können sich ständig ändern. Sehr viele Tests sind das Rückgrat einer stabilen Aussage. Jetzt lassen die Statistiken den Rückschluss zu: Es geht bergauf.“ Hoffentlich. Ich habe keinerlei Vorstellung, wie das gehen soll. Was mich noch mehr beschäftigt, ist die Rückkehr zur neuen Normalität. Wird es so werden, wie es schon war? Wird es auch eine neue Ehrlichkeit geben? Ja, gut, die Geschäfte werden wieder aufsperren. Viele werden das als neue Freiheit sehen. Aber ich glaube, dass sich das Virus nicht einfach wegweisen lässt. Es geht nicht nur um uns. Es geht um die Erde. Was will uns die Erde sagen?
Eine Runde zu Fuß zu drehen, das tut mir gut. Sonne tanken, durchatmen und schauen, dass ich auf meine 10.000 Schritte komme. Das ist mein tägliches Bewegungspensum. In meinem Kopf geht es zu wie in einem Bienenstock. Für mich kristallisiert sich die Frage heraus, wie es weitergeht, wenn die Wirtschaft Schritt für Schritt wieder hochgefahren wird. Kann man nach dieser Krise wirklich wieder zum Alltag übergehen,