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Ende offen. Peter StraußЧитать онлайн книгу.

Ende offen - Peter Strauß


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immer wieder die Forderung diskutiert, wir sollten kein Fleisch mehr essen. Dieser Lösungsansatz scheint klarer, als er ist. Es fängt damit an, dass manchen Menschen ein veganes Leben leichter fällt als anderen. Wir zertreten weiterhin Ameisen beim Wandern, wir beanspruchen Lebensraum, der vorher Tieren gehörte, wir essen Pflanzen, die dafür sterben und die anderen Lebewesen nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir belegen Lebensraum, den zuvor Tiere und Pflanzen bewohnten.

      Wenn ich nach einer Mücke schlage, werden sehr pazifistische Menschen sagen, ich solle sie leben lassen, sie sei auch ein Lebewesen, und ich hätte nicht das Recht, sie zu töten. Für Fälle, in denen ich aus reiner Willkür oder Überheblichkeit handele, ist das sicherlich moralisch richtig. Jedes Lebewesen hat ein Recht auf seine Existenz, und ich sollte meine Überlegenheit nicht missbrauchen. Wenn mir das Insekt Schaden zuzufügen droht, sieht es anders aus. Auch Tiere wehren sich gegen Beeinträchtigungen durch andere Tiere. Kühe schlagen mit dem Schwanz nach Fliegen, manche Hunde zerbeißen Wespen, die sie umschwirren, und Affen lausen sich gegenseitig. Der Unterschied zu unserem Handeln ist, dass die Tiere das instinktiv tun und dazu keine bewusste Entscheidung getroffen haben. Sie sind nicht für die Folgen ihres Handelns „verantwortlich“. Dass ich die Möglichkeit zur Entscheidung und damit die Verantwortung und die Fähigkeit zur Schuld habe, nimmt mir indes nicht meine Rechte. Ich darf nach wie vor eine Mücke erschlagen, die mich stechen will. Toleranz kann man nur gegenüber Toleranten anwenden. Wer mich beeinträchtigen will, kann nicht von mir verlangen, dass ich mich stechen lasse, bloß, weil ich im Gegensatz zum Tier in der Lage bin, meinen Instinkt zu kontrollieren. Beim bewussten Handeln ergibt sich das Problem, dass man ständig beurteilen muss, ob es angemessen ist oder nicht.

      Andererseits ist es nicht notwendig, andere Tiere als minderwertig einzustufen, um sie essen zu können oder zu dürfen. Ein Löwe muss sich nicht als höherwertig gegenüber der Antilope fühlen, um sie zu jagen. Er hat Hunger und tut, wofür die Natur ihn geschaffen hat. Und genauso geht es dem Bakterienstamm, der anschließend den Löwen tötet. Auch dieser ist nicht höherwertig, weil er den Löwen töten kann. Er sorgt lediglich mit seinen Mitteln für sein Überleben. Wir müssen weder ein schlechtes Gewissen haben, weil wir Tiere essen, noch sollten wir uns ihnen gegenüber wie die Herrenrasse oder gleichgültig ob ihres Leidens verhalten. Es besteht keine Notwendigkeit, sich über oder unter die Tiere oder Pflanzen zu stellen, nicht einmal neben sie, denn der Vergleich ergibt keinen Sinn. Die dafür gültiger Kriterien müssten von allen Lebensformen der Erde gemeinsam und einvernehmlich definiert werden. Wer könnte wissen, welchen Maßstab eine Schildkröte für richtig halten würde?

      Die Einstellung, wir seien die wertvolleren Lebewesen, hat zu Massentierhaltung und Ausbeutung der Erde geführt – ein moralischer Irrtum, den wir korrigieren müssen.

      Vielleicht hat der Sinn des Universums mit den Bewegungen von Sternen und Planeten zu tun, und das Leben auf der Erde ist nur so etwas wie Pilzbewuchs auf einem Joghurt im Kühlschrank: unerwünscht und überflüssig. Das glaube ich zwar nicht, da Bewegung, Evolution und Intelligenz27 immanente Prinzipien des Universums sind. Ich kann aber auch nicht dafür garantieren, dass es falsch ist. Auf jeden Fall sind Wertmaßstäbe denkbar, in denen der Mensch keine Rolle spielt.

      Wie kann man nun zu einem moralischen und sinnvollen Handeln gelangen? Grundsätzlich halte ich alles für erlaubt, was keinem anderen Menschen, keinem, Tier, keiner Pflanze oder der Umwelt schadet, unabhängig davon, ob es heutzutage gesellschaftlich anerkannt oder geächtet ist. Da aber fast jede Handlung eines Lebewesens, vor allem aber die Ernährung, auf Kosten anderen Lebens stattfindet, ist solches Handeln eher selten. Der Lebensraum, den das eine Wesen belegt, kann ein anderes nicht nutzen. Das gilt ebenso für Pflanzen. Was dem einen Leben dient, steht anderem Leben nicht mehr zur Verfügung. Das gilt universell, außer für einige Bakterienarten, die sich am Meeresgrund von Mineralien ernähren und dabei auch keinem anderen Leben Nahrung oder Raum wegnehmen.

      Da unser Wert nicht definierbar ist und damit nicht in ein Verhältnis zum ebenso nicht definierbaren Wert von Tieren gesetzt werden kann, müssen wir logischerweise Tieren dieselben Existenzrechte einräumen. Die Begründung, Tiere und Pflanzen zu essen, kann demnach nicht darin liegen, dass wir mehr wert wären, sondern dass es unsere Natur und derzeit zumindest teilweise unvermeidlich ist.28

       Alle leben auf Kosten anderer

      Die Lösung des Dilemmas kann darin liegen, zu akzeptieren, dass nicht nur unser Leben, sondern jedes Leben auf der Erde immer auf Kosten anderen Lebens stattfindet. Dabei sollten wir uns unserer selbst, der Tiere und allen anderen Lebens bewusst sein. Diesen Gedanken gibt es ebenfalls im Buddhismus. Essenz der Lehre des bedingten Entstehens ist: „Dieses ist, weil jenes ist“. Die Ausscheidung des Einen ist Nahrung oder Dung für den Anderen. Karma meint, dass jede Tat eine Wirkung in der Welt hat. Ziel der buddhistischen Lebensweise ist es daher, dass die eigenen Handlungen möglichst keine Spuren mehr in der Welt hinterlassen. Nur diese Haltung, die Auswirkungen des eigenen Lebens auf die Umgebung zu minimieren, berücksichtigt angemessen die Existenzrechte anderen Lebens. Wir sollten daher nichts verschwenden und achtsam mit allem Leben umgehen, Leiden vermeiden und nur nutzen, was wir wirklich brauchen, Tiere artgerecht halten, keine Lebensmittel wegwerfen, nicht sinnlos konsumieren, uns nicht beliebig weiter vermehren usw.

      Heute zeigt sich die Ausbreitung dieses Denkens darin, dass immer mehr Menschen versuchen, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren und dass diese Idee in den Medien erörtert wird. Sich beispielsweise beim Essen oder bei jedem anderen Konsum bewusst zu sein, dass das eigene Leben auf anderem Leben beruht, das geendet hat, ist hilfreich. Mir ist klar, dass eine solche Forderung nach Demut immer noch unpopulär ist. Sie ist das Gegenteil der heute von den meisten empfundenen Selbstverständlichkeit unserer Lebensweise, die sich in Überheblichkeit gegenüber Tieren und Pflanzen ausdrückt. Vielen fällt es schwer, den selbstverständlichen, überheblichen Umgang mit der Welt abzulegen, und es ist unbequem. Mehr Demut und mehr Vorsicht würden nicht nur unserer Umwelt, sondern auch uns und unseren Nachfahren langfristig mehr nützen als unser bisheriges, recht grobes und kurzsichtiges Verhalten.

      Setzen wir diese Gedanken in die Tat um, so führt das in direkter Konsequenz zu höheren Preisen für die meisten Produkte. Daraus zu schließen, dass wir dann doch lieber so weitermachen sollten wie bisher, wäre voreilig, denn die höheren Preise kämen dadurch zustande, dass zum ersten Mal alle Umweltschäden, die durch die Produktion eintreten, in diesen Preisen berücksichtigt wären. Ein bisher ungerechtfertigt billiger Lebensunterhalt würde zum ersten Mal das angemessene Niveau erreichen. In der Vergangenheit haben wir unzulässig über unsere Verhältnisse gelebt.

      Es ergibt sich das Problem, dass diese höheren Lebenshaltungskosten nicht von jedem Deutschen und noch weniger von Bewohnern ärmerer Länder aufgebracht werden können. Dieses Problem der Finanzierung muss selbstverständlich gelöst werden. In Teil 3 finden sich einige Ansätze dazu.

       2.2 Menschliche Eigenschaften aus der Steinzeit und ihre heutige Wirkung

      Vor der Entwicklung von Werkzeugen, Sprache, Sesshaftigkeit, Häusern, Ackerbau, Viehzucht und Zivilisation, als Menschen noch in abgegrenzten Gruppen lebten, bestand der Lebensinhalt im Wesentlichen aus gemeinsamem Jagen und Sammeln. Der Aufwand, der zum Überleben nötig war, beschränkte sich meist auf zwei Stunden „Arbeit“ pro Tag.29 Die längste Zeit des Tages war „Freizeit“. Wolfgang Schmidbauer schreibt dazu: „Genauere, unter ökologischen Gesichtspunkten durchgeführte Feldforschung hat gezeigt, daß die früheren Anthropologen stets dazu neigten, den Reichtum dieser ‚marginalen Existenz’ zu unterschätzen. Durchweg stellte sich heraus, daß die Nahrungsquellen der Jäger und Sammler in der Regel sicher und zuverlässig sind; oft sogar von erstaunlicher Fülle.“30 Im Gegensatz dazu stieg der Arbeitsaufwand für die Ernährung beim Wechsel auf Ackerbau und Viehzucht zunächst an.31

      Menschen sind von Natur aus schon immer gierig und streben nach Mehr.

      In Bezug auf Nahrung konnte man in der Steinzeit nicht mehr Besitz erlangen, als man sich in den Bauch stopfen konnte. Schmidbauer weiter: „Im Paläolithikum, der Altsteinzeit, die auch die Zeit der Jäger schlechthin ist, gab es keine Überschüsse an Nahrung. Man kannte kaum Methoden, Fleisch zu konservieren. Noch heute erjagen und


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