Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen. Frank HoleЧитать онлайн книгу.
Zugausfall IC 209 mit Ersatzzug
Abbildung 8: Die umfangreichen Reisehinweise bei einem Ersatzzug verdeutlichen die Einschränkungen und die passenden Alternativen. [Copyright Frank Hole41]
Der Intercity mit der Zugnummer 209 fuhr im Jahresfahrplan 2019 von Kiel Hbf (ab 17.38) nach Basel SBB (an 6.22). Für die rund 1.100 km lange Nachtfahrt über Bremen, Köln, Mainz und Frankfurt (Main) Hbf brauchte er knapp 13 Stunden. Am 12. Dezember 2019 verkehrte ein Ersatzzug, nachdem die normalerweise vorgesehene Zuggarnitur, bestehend aus einer Lok mit 11 Reisezugwagen, nicht zur Verfügung stand. In einem derartigen Zug finden ungefähr 750 Fahrgäste Platz, sodass es durchaus eine Herausforderung darstellt, einen weitgehend passenden Ersatzzug zu finden. Den Disponenten gelang es, eine neue Zuggarnitur zu organisieren, jedoch verfügte diese nicht über das vorgesehene Bordbistro und – vermutlich – auch nicht über die gleiche Anzahl an Wagen.
Diesem Ersatzzug drohte dadurch eine deutliche Überlastung. Die Kommunikation gegenüber den Fahrgästen führte DB Fernverkehr AG deswegen sehr eindeutig durch: Die Zugbindung wurde aufgehoben, sodass die Reisenden mit Fahrausweisen mit Zugbindung auch auf andere Züge ausweichen konnten. Des Weiteren wurden Reisende, die noch keinen Fahrausweis hatten, deutlich auf die Überfüllungssituation hingewiesen. Diese wurden gebeten, auf andere Züge auszuweichen.
Sie erkennen, wie DB Fernverkehr die Situation zu bewältigen versuchte. Ob derartige Maßnahmen Wirkung zeigen, liegt dann letztlich daran, wie sich die Fahrgäste tatsächlich verhalten. Nach den Erfahrungen des Autors ist es sinnvoll, derartige Situationen zu vermeiden und die vorgeschlagenen – oder auch sonstigen – Alternativen zu nutzen.
2.3.2 Teilausfall bei der S-Bahn München
Angenommen, eine S-Bahn der Linie S3 mit der Zugnummer 6317 zwischen Mammendorf und Holzkirchen über München Ostbahnhof gerät hinter München-Giesing in eine Signalstörung und bekommt dadurch bis Deisenhofen 25 Minuten Verspätung.
Abbildung 9: Ein deutlich verspäteter Zug kann vorzeitig wenden und dann pünktlich zurückfahren, wie hier im Beispiel der S-Bahn München: Anstatt dass diese S-Bahn verspätet bis Holzkirchen fährt, wendet sie bereits 12 Minuten früher in Deisenhofen und gewinnt so 24 Minuten Fahrzeit. Solche Dispositionsentscheidungen stabilisieren einerseits den Betrieb, bedeuten andererseits für Sie als Fahrgast dieser S-Bahn einen teilweisen Zugausfall. [Copyright Frank Hole42]
Dieser Zug würde normalerweise laut Fahrplan nach Holzkirchen (Ankunft 6.25 Uhr) fahren, dort innerhalb von 11 Minuten wenden und um 6.36 Uhr wieder als S3 mit der Zugnummer 6324 zurückfahren.
Durch die 25-minütige Verspätung jedoch ist es völlig ausgeschlossen, dass dieser Zug wieder fahrplanmäßig verkehrt. Selbst bei einer sehr schnellen Wende von 5 Minuten Dauer würde der Zug immer noch 19 Minuten Verspätung haben. Es besteht somit die Gefahr, dass er auf seiner weiteren Fahrt zahlreiche andere Züge beeinträchtigt, die auf denselben Strecken fahren – in diesem Fall die Bayerische Oberlandbahn und die S27, ferner sechs weitere Linien auf der S-Bahn-Stammstrecke in der Münchner City.
Die zuständige Disponentin entscheidet aufgrund ihrer langen Erfahrung, dass diese S-Bahn mit der Zugnummer 6317 vorzeitig in Deisenhofen wendet und dann pünktlich als Zugnummer 6324 zurückfährt.
Im Prinzip kürzt dieser Zug also einen Teil seiner Strecke ab, um wieder pünktlich zu werden. Negativ betroffen davon sind die Fahrgäste, die ihre Bahnhöfe Sauerlach, Otterfing und Holzkirchen nicht mit dem planmäßigen Zug erreichen können bzw. von dort abfahren können. Ein Busnotverkehr wird deswegen jedoch nicht eingerichtet, weil bereits 20 Minuten später die nächste planmäßige S-Bahn fährt.
Der Nutzen dieser Maßnahme liegt auf der Hand: Zwar sind etliche Fahrgäste von der Verspätung betroffen und kommen jeweils 20 Minuten später an ihr Ziel, aber einige zehntausend Fahrgäste im Berufsverkehr werden nicht durch Folgeverspätungen auf anderen Linien beeinträchtigt.
Derartige dispositive Entscheidungen bei größeren Verspätungen, die mit einem Zug-Teilausfall oder einem Haltausfall verbunden sind, gibt es immer wieder in unterschiedlichen Variationen. Teils werden auch Ersatzzüge eingesetzt, teils Busnotverkehr gefahren, je nachdem, was organisatorisch und betrieblich möglich und sinnvoll ist und je nachdem, wie schwerwiegend betrieblich und fahrgastseitig mögliche Folgewirkungen sind.
2.4 Hintergründe und Zusammenhänge
Das Wort „Zugausfall“ wird nicht ganz einheitlich verwendet. Zwei Bedeutungen können damit verbunden sein:
• Es fällt das Fahrzeug aus. In diesem Fall kann ein Ersatzzug fahren, und Sie kommen dennoch weiter.
• Es fällt die Zugfahrt aus. In diesem Fall fährt kein Ersatzzug, Sie können ggf. andere Verbindungen nutzen, auf den nächsten Zug warten oder die Fahrt abbrechen.
Was im jeweiligen Fall zutrifft, erfahren Sie aus dem Zusammenhang, sowohl hier in diesem Buch als auch vor Ort im konkreten Fall.
2.4.1 Die Sicht des Unternehmens
Zugausfälle versuchen alle Verkehrsunternehmen nach Kräften zu vermeiden. Denn jeder einzelne Zugausfall bedeutet:
• Verärgerung zahlreicher Fahrgäste;
• Imageverlust;
• finanzielle Verluste durch entgangene Einnahmen und – im Nahverkehr darüber hinaus – Strafzahlungen an den Aufgabenträger und Nicht-Zahlung von Bestellerentgelten;
• erhöhte Kosten, wenn ein Busnotverkehr oder ein Ersatzzug nötig werden;
• Zusatzkosten durch Erstattungen im Rahmen der Fahrgastrechte;
• deutlich erhöhten organisatorischen und kommunikativen Aufwand.
2.4.2 Der Ersatzzug
Ein Ersatzzug wird dann eingesetzt, wenn das planmäßig vorgesehene Fahrzeug beispielsweise umlaufbedingt wegen Verspätung der Vorleistung43 oder eines technischen Defekts ausgefallen ist. Ersatzzüge stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung, im Gegenteil: Zu Hauptreisezeiten wird es kaum eine Möglichkeit dafür geben, ansonsten sind die Chancen etwas größer.44 Es ist eher ein glücklicher Umstand, wenn überhaupt eine Zuggarnitur gerade frei ist, um außerplanmäßig einen Zugausfall zu kompensieren.
Abbildung 10: Ersatzzüge sind besonders gekennzeichnet. Hier fährt ein lokbespannter Intercityzug anstelle eines ICE 3. [Copyright Frank Hole]
Für Sie als Fahrgast ist das Einsetzen eines Ersatzzuges in der Regel damit verbunden, dass eine gewisse Verspätung eintritt, bis das Fahrzeug dann am Bahnsteig steht, sofern es sich um einen kurzfristigen Ausfall des eigentlich vorgesehenen Zuges handelt. Normalerweise gibt es dann keine Platzreservierungen, vielleicht auch keine 1. Klasse, und es wird vermutlich auch keine Gastronomie an Bord verfügbar sein.
Denkbar ist auch, dass unterwegs weitere Verzögerungen auftreten, weil das Ersatzfahrzeug nicht über die Fahrdynamik verfügt wie der ursprünglich vorgesehene Zug. So kann beispielsweise ein lokbespannter Intercity, der als Ersatzzug für einen ICE 3 fährt, nicht so schnell beschleunigen und erreicht auch längst nicht dessen Höchstgeschwindigkeit.
Dennoch: Wenn ein Ersatzzug überhaupt eingesetzt wird, ist zumindest das Vorankommen gesichert, und dies ist oft eine bessere Alternative als der vollständige Ausfall einer Verbindung. Nur wenn der Ersatzzug über spürbar zu geringe Platzkapazitäten verfügt, dann kann es vorteilhaft sein, eine Stunde zu warten oder eine andere Strecke zu fahren, sofern diese Möglichkeiten bestehen.
2.4.3 Organisatorische Leistungen hinter den Kulissen
Wenn ein Zug ausfällt und ein Ersatzzug eingesetzt werden soll, dann laufen hinter den Kulissen umfangreiche Arbeiten ab. Sie