Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen. Frank HoleЧитать онлайн книгу.
Brückenschäden, Oberbau- oder Untergrundmängel vorliegen,
• Bahnübergänge nicht mehr sicher befahrbar sind,
• behördliche Anordnungen erlassen wurden oder
• signaltechnische Mängel aufgetreten sind.
Die normale Streckengeschwindigkeit wird dann herabgesetzt, bis der Schaden oder Mangel behoben wurde.17 Das dauert in der Regel mehrere Monate18 und je nach Ursache und räumliche Ausdehnung können Verspätungen im Minutenbereich entstehen – für jeden Zug, der dort fährt, und eventuell auch mit Übertragung der Verspätung auf andere Züge und Anschlussverlust.
Ähnlich gelagert sind kurzzeitige Anordnungen, dass Züge langsamer fahren müssen, weil sich Personen im Gleisbereich aufhalten. Hier kommt es zu teils gravierenden Verspätungen, jedoch ist die Ursache in der Regel nach einer halben oder ganzen Stunde behoben. In solchen Fällen bekommen die Lokführer beispielsweise einen schriftlichen Befehl vom Fahrdienstleiter, mit welcher Geschwindigkeit sie maximal fahren dürfen.
1.4.2 Pünktlichkeit von Nah- und Fernverkehr gesamt
Für die Bahn ist ein Zug pünktlich, wenn er nicht später als 5: 59 Minuten nach Plan ankommt.19 Danach wird er in der Statistik als „unpünktlich“ aufgenommen. Das ist natürlich eine fast willkürliche Festlegung.20 Es gibt auch Verkehrsbetriebe wie die S-Bahn Stuttgart, bei denen die Besteller eine 3-Mi- nuten-Pünktlichkeit fordern und veröffentlichen.21 Und im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg liegt die Grenze bei 4: 59 Minuten. Aber auch das sind letztlich beliebige Werte, denn der Fahrgast will Züge völlig ohne Abweichung vom Fahrplan. Er findet sich mit verspäteten Zügen mehr oder weniger geduldig und verständnisvoll ab, doch die Erwartung ist eine andere.
2018 war der Fernverkehr der Deutschen Bahn zu rund 75 % pünktlich (auf die 5: 59 Minuten bezogen), und der Nahverkehr zu rund 94 %.22 23 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass rund 180.000 Zugfahrten im Fernverkehr mehr als 6 Minuten verspätet waren und im Nahverkehr über eine halbe Million Züge.24 Die Berechnung, wie viele Millionen Fahrgäste davon betroffen waren, können Sie sich ersparen: Letztlich ist eine nicht exakt planmäßige Ankunft am Zielbahnhof eine fast alltägliche, eine Verspätung über 6 Minuten keine seltene Erfahrung.
Es lohnt sich aber, beim Thema Verspätungen noch weiter in die Tiefe zu gehen. Die bundesweiten Durchschnittswerte helfen nur wenig. Die Monatswerte der folgenden Grafik zeigen ein differenzierteres Bild. Sie sehen, dass der Fernverkehr nicht nur auffällig unpünktlicher ist als der Nahverkehr, sondern dass dessen Werte zusätzlich monatlich deutlich stärker schwanken. Die Gründe dafür sind vielschichtig.25
Abbildung 5: Pünktlichkeit von Nah- und Fernverkehr der Deutschen Bahn 2013–201826 [Copyright Frank Hole]
Die nächste Abbildung hat einen etwas anderen Schwerpunkt und zeigt die Pünktlichkeitsentwicklung des Fernverkehrs 2013–2018 nach Monaten:
Abbildung 6: Pünktlichkeit im Fernverkehr der Deutschen Bahn 2013–201827 [Copyright Frank Hole]
Interessant ist dabei, dass die Züge des Fernverkehrs im Winter und zu Beginn des Frühjahrs relativ pünktlich sind, dann aber im Sommer und Herbst sehr deutlich in der Pünktlichkeit abfallen.
Das ist schon deswegen spannend, weil in der öffentlichen Wahrnehmung eher der Winter als problematische Jahreszeit gilt. Auch hier ist es nicht nötig, tiefergehende Ursachenforschung zu betreiben, sondern es genügt, diese Unterschiede zu kennen.
1.4.3 Pünktlichkeit von S-Bahnsystemen
Das erste Beispiel ist die S-BAHN MÜNCHEN. Hier fahren die Züge im Berufsverkehr teils im 10-Minuten-Takt pro Linie, auf der zentralen Strecke in der City, wo sich mehrere Linien treffen, sogar im 2-Minuten-Takt. Die Linien verkehren bei der S-Bahn München teilweise eingleisig und teils im Mischverkehr mit Güter- und Regionalverkehr. Dort sind die Jahrespünktlichkeiten je Linie sehr unterschiedlich: Auf der S-Bahnlinie S1 lag sie 2012-2016 im Schnitt bei 93,2 % und auf der S3 Ost im gleichen Zeitraum bei 96,2 %. Dieser Unterschied von immerhin drei Prozentpunkten erklärt sich damit, dass die S1 eine sehr dicht befahrene Mischverkehrsstrecke ist, und die S3 im Gegensatz dazu teilweise eigene Gleise hat. Wenn man sich von den jährlichen Durchschnittswerten löst, so findet man den schlechtesten Monatswert von 92,1 % ebenfalls auf der S1, und den besten mit 98,6 % auf der zweigleisigen S2 West, auf deren Gleise nur S-Bahnzüge fahren.28
Ein weiterer Blick in die Pünktlichkeitsaufzeichnungen macht deutlich, dass der Zugverkehr der S-Bahnen in den Hauptverkehrszeiten (werktags 6–9 Uhr und nachmittags) spürbar unpünktlicher ist als in den Nebenverkehrszeiten. Hier liegen auf alle S-Bahnsysteme Deutschlands bezogen ein bis zwei Prozentpunkte Unterschied. Auch die bereits erwähnte S1 der S-Bahn München fuhr 2018 zur Hauptverkehrszeit um 2,3 Prozentpunkte unpünktlicher als in den Nebenverkehrszeiten (92,3 % zu 94,6 %).29
Bei der S-BAHN STUTTGART sind die Unterschiede zwischen den Linien und den Verkehrszeiten noch deutlicher ausgeprägt: zwischen 99,1 % auf der S60 zur Nebenverkehrszeit und 91,3 % auf der S3 zur Hauptverkehrszeit.30
Abschließend geht es um die S-BAHN RHEIN-RUHR im Bereich des Aufgabenträgers VRR. Hier fuhr die S4 im Jahre 2018 mit einer Verspätung von durchschnittlich lediglich 15 Sekunden pro Zugfahrt, bei der S68 waren es über 1,5 Minuten.31
1.4.4 Pünktlichkeit des Regionalverkehrs
Der VRR in Nordrhein-Westfalen weist beispielsweise für die Regionalbahn RB32 im Schnitt täglich rund 15 Sekunden Verspätung aus, bei den RegionalExpresslinien RE1, 5 und 7 waren es jedoch über 4 Minuten je Zug.
Die Bayerische Eisenbahngesellschaft unterscheidet in ihrem Qualitätsbericht für 2017 nicht die einzelnen Linien wie im VRR, sondern nach Netzen. Große, eher unpünktliche Netze wie Meridian, Mainfrankenbahn oder Franken-Thüringen-Express liegen bei rund 90 bis 92 % Pünktlichkeit auf 5: 59 Minuten gerechnet, wohingegen die pünktlicheren wie der Linienstern Mühldorf, der Kissinger Stern oder die Mittelfrankenbahn die 96 % übertreffen.32
1.4.5 Die Prognose von Verspätungen
Es ist zu unterscheiden zwischen einer aktuellen Verspätung und der weiteren Entwicklung der Verspätung. Generell gehört die Prognose von Verspätungen mit zur schwierigsten Disziplin bei der Bahn – sie ist so schwierig wie eine Wettervorhersage oder die Prognose von Aktienkursen. Nehmen Sie die in der Auskunft hinterlegten Prognosedaten also nicht unbedingt für bare Münze. Diese sind häufig (teil-)automatisiert erstellt und rechnen nur das ein, was sich bis zu diesem Zeitpunkt ereignet hat, was der Disponent des Eisenbahn-Verkehrs-Unternehmen im Hintergrund in diesem Moment weiß und was er rein mengenmäßig bewältigen kann. Bei einem einzigen verspäteten Zug ist das gut machbar, sofern sich nichts anderes mehr ereignet. Doch bei 20 gleichzeitig verspäteten Zügen auf einer Strecke sind die Wechselwirkungen so groß, dass nicht nur die menschlichen Fähigkeiten, sondern auch die oft nur pauschal agierenden Prognose-Automatiken an ihre Grenzen stoßen.
Außerdem ist die Prognose von Verspätungen naturgemäß dann besonders ungenau, wenn die Störungsursache noch nicht gefunden und behoben wurde. Angenommen, bei einer ganzen Eisenbahnstrecke fällt die Leit- und Sicherungstechnik aus. Dann ist keine echte Prognose möglich, wie lange es dauert, das Stellwerk wieder in Gang zu bringen – Erfahrungswerte können helfen, müssen aber nicht im konkreten Fall zutreffen.
1.4.6 Perspektiven
Hinsichtlich der Verspätungssituation ist es kaum realistisch, von einer deutlich spürbaren Verbesserung auf die gesamte Bahn bezogen im Laufe der nächsten Jahre auszugehen. Wahrscheinlicher ist, dass Folgendes eintritt:
• Strecken, auf denen größere Bauarbeiten zu Ende gehen und hinterher ggf. sogar größere Kapazitäten bei der Infrastruktur zur Verfügung stehen, werden echte Verbesserungen erfahren.