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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl WilckensЧитать онлайн книгу.

Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens


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Auf der anderen Seite bedeutete Limbania mir, mich umzudrehen. Unser Verfolger stand dort im Rahmen der Tür. Die Dunkelheit verbarg ihn, doch ich erkannte den Zylinder.

      „Hunger …“

      „Er folgt dir, wann immer du eine Erinnerung aus deinem alten Leben mitnimmst. Du kannst dem ein Ende bereiten.“ Limbania reichte mir eine Axt, die sie scheinbar aus dem Nichts geholt hatte.

      „Ich soll ihn töten?“

      „Das würde dir nicht gelingen. Zerstör die Brücke.“

      Als ich die Axt hob, legte Limbania mir eine Hand auf den Arm. „Warte. Du solltest wissen, dass du auch den Weg zu deinen Erinnerungen an das Leben vor dem Unterrumpf zerstörst.“

      Ich ließ die Arme sinken. „Ich werde mich an nichts erinnern?“

      „An das wenigste.“

      „Emily?“

      „An sie vermutlich schon. Nicht dein Kopf sondern dein Herz erinnert sich an sie.“

      „Und wenn ich die Brücke nicht zerstöre?“

      „Wird er dir folgen“, sagte Limbania, „und dir das Leben zur Hölle machen.“

      Ich betrachtete nachdenklich die Brücke. „Fonti hat mir Vieles beigebracht.“

      „Deine Erinnerungen sind nicht für immer verloren. Du kannst sie nicht mehr finden, aber wenn du geduldig bist, finden sie dich.“

      Ich nickte. Hob die Axt und schlug sie krachend ins Holz. Nach nur wenigen Streichen stürzte die Brücke ins dunkle Wasser. „Auf Nimmerwiedersehen“, sagte ich zu Hunger und lüftete einen unsichtbaren Hut, als der Traum sich schon aufzulösen begann.

      „Er erwacht. Ich hole Franco.“

      Als ich die Augen öffnete, stand Franco schon über mir. „Raus hier. Ich möchte mit ihm allein reden.“ Eine Tür fiel knallend ins Schloss.

      Ich setzte mich auf und sah mich um. Ich war nicht mehr in Limbanias Versteck, auch nicht mehr im Unterrumpf. Tageslicht fiel durch ein Fenster. Ich lag in einem riesigen Bett, an dessen Fußende eine Kleidertruhe stand. Gemälde nackter Frauen zierten die Wände.

      „Du bist in meiner Kammer.“ Franco ließ sich auf einem Stuhl nieder. Kurz schwieg er, weil er wohl erwartete, dass ich etwas sagte. Doch ich blieb stumm. Franco sog geräuschvoll die Luft ein und strich sich über den Schnauzbart.

      „Warum hab ich dich nicht einfach über Bord geworfen?“, knurrte er. „Mmh? Was denkst du, Bursche?“

      Ich schwieg.

      „Die Männer, die du getötet hast, gehörten zu niemandem. Dein Glück. Es hätte auch anders kommen können. Hättest du diese Saminthi getötet, hätte das einen Bandenkrieg ausgelöst. Also, warum habe ich dich am Leben gelassen?“ Er strich sich erneut über den Schnauzbart. „Man hat mir berichtet, dass du kämpfst wie ein Dämon. Sogar Saminthi hatte Respekt vor dir. Du bist ein wertvoller Kämpfer, Godric. In dir schlummert eine Bestie, aber wenn du sie nicht zähmen kannst, muss ich dich töten.“ Er erhob sich. „Unser Deal steht noch. Zwei Opfer habe ich gut. Danach stehst du unter meinem Schutz.“ Franco verließ das Zimmer. Ich schwang die Beine über die Bettkante und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Es war nur noch wenige Millimeter lang. Jemand hatte es abrasiert.

      Ich dachte an den Traum. Es war, wie Limbania gesagt hatte. Ich wusste noch, dass ich ein Leben vor dem Unterrumpf gehabt hatte. Dass ich und meine Schwester von Rico Fonti ausgebildet worden waren, dass wir beim Überfall der Piraten voneinander getrennt worden waren, und dass ich eine lange Zeit im Unterrumpf verbracht hatte. Dass mein Name … wie lautete er? Ich griff in die Hosentasche, als glaubte ich, ihn dort zu finden, und fand stattdessen meinen Siegelring. Ich betrachtete die Initialen – GE – und die Erinnerung fand mich. Ich steckte mir den Ring an den kleinen Finger, wie um sicherzustellen, dass ich den Namen nicht wieder vergaß.

      Ich erinnerte mich nicht mehr an das, was Fonti mich gelehrt hatte. Ebenso wenig an den Schrecken des Unterrumpfes. Und das Verlangen nach Perl … es war fort.

      Francos Aufträge ließen nicht lange auf sich warten. Ich tötete die Männer und wurde offiziell Mitglied seiner Bande. Ich erhielt weitere Aufträge, und angesichts meines Erfolgs fand Franco zunehmend Gefallen an mir. Er schrieb die Namen derer, die ich töten sollte, auf einen Zettel und nagelte diesen an eine Tür. Bald wusste jeder: Stand jemandes Namen auf diesem Zettel, blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Ich wurde zur meist gehassten Person an Bord der Swimming Island.

      „Nehmt euch vor diesem Malaka in Acht“, hörte ich Sam sagen. Doch weder Furcht ließ ihren Blick gefrieren, noch Hass ihre Augen glühen. Sie respektierte mich.

      Ich schlief immer woanders. Meist unter freiem Himmel. In einer Hängematte hoch oben im Takelwerk, auf dem Dach eines Schiffsaufbaus oder zwischen einem Stapel verrottender Kisten. An kalten Tagen zog ich mich ins Schiffsinnere zurück. Zweimal versuchte man, mich im Schlaf zu ermorden. Beide Male weckte mich mein Instinkt, und ich vergalt den Mördern den Versuch mit gleicher Münze – nur erfolgreicher. Danach ließ man mich in Ruhe.

      Nur einmal gelang es jemandem, sich mir zu nähern, ohne dass ich es bemerkte. Ich lag auf dem Dach eines Deckaufbaus und blickte zum Himmel. Unter mir zechten und sangen die Piraten. Als ich die Sterne sah, passierte es: Eine Erinnerung fand mich. Ich erinnerte mich an die Namen der Sternenbilder. Tyrs Augen, Stahl, Einar … und natürlich die zwölf Wächter. Aber etwas war merkwürdig. Da waren nur elf. Ich zählte ein zweites Mal.

      „Du bist so ruhig.“ Ruckartig setzte ich mich auf. Es war Sam. „Du sprichst kaum, du betrinkst dich nicht und bist am liebsten allein. Ich hingegen bin laut und ungeduldig, aber wenn ich dich nur ansehe, werde ich selbst ruhiger.“ Sie legte sich neben mich und blickte zum Himmel. „Was siehst du?“

      Ich zögerte einen Moment. Dann kam ich zum Schluss, dass sie mir nichts Böses wollte. Ich ließ mich zurücksinken, so nahe neben sie, dass mein Kopf auf ihrem blonden Haar ruhte.

      „Kennst du die Sternenbilder der Norvolken?“, fragte ich.

      „Nein.“

      Ich deutete zum Himmel. „Das sind Tyrs Augen. Er sucht nach Lotin, um ihn zu verbannen. Dort ist Stahl, der sich nach seiner Schwester sehnt. Und diese sind die zwölf Wächter.“ Aber es waren nur elf.

      „Was bewachen sie?“

      „Ich … erinnere mich nicht.“ Waren es vielleicht schon immer elf gewesen? Täuschte mich meine Erinnerung?

      Sam stellte keine weitere Frage. Sie holte eine Zigarette hervor und reichte sie mir nach dem ersten Zug. Als wir sie aufgeraucht hatten, ging sie ohne ein Wort des Abschieds.

      Nachdem die Swimming Island die Vulkaninsel verlassen hatte, dauerte es mehrere Viertel, ehe erneut Land in Sicht kam. Es war Dustrien. Das erste Ziel der Piraten war South Harrow, eine Hafenstadt. Es sollte nicht oft vorkommen, dass jemand Widerstand gegen Black Raven leistete, aber die Verteidigung von South Harrow war bestens gerüstet und der Offizier hatte offenbar Befehle. So sah ich, wie die Piraten kämpften, und begriff, warum gegen sie kein Kraut gewachsen war.

      Zunächst war da das Schiff mit mehr als sechzig Kanonen je back- und steuerbordseitig. Sobald die Artillerie ihr Zerstörungswerk verrichtet hatte, gingen die Piraten an Land. Sie waren ein bunter Haufen und kamen wie eine Lawine über die Stadt. Schwarze, braune und weiße Menschen; Hünen, Krüppel und Zwerge. Sie kämpften mit exotischen Waffen, mit Beilen, Macheten und Katanas, Revolvern, Granaten und Flammenwerfern. Sie zogen ohne System in den Kampf und schlachteten ihre Feinde. Sie nahmen keine Rücksicht auf Verluste und töteten sich sogar gegenseitig.

      Lief ein Raubüberfall friedlich ab – was in aller Regel der Fall war – wurde die Beute unter den Bandenbossen aufgeteilt. Die Mächtigsten bekamen das meiste. Die Bosse wiederum bezahlten die Bandenmitglieder.

      Eskalierte ein Überfall wie in South Harrow, behielt jeder, was er erbeutete. Das war die Gelegenheit, sich zu bereichern, auch für mich. Trotzdem hielt ich


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