Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl WilckensЧитать онлайн книгу.
will, dass du stirbst“, entgegnete ich. „Wenn ich dich nicht töte, stehe ich als nächster auf seiner Liste und jemand anders wird sich um dich kümmern.“
„Ist diese Technologie nicht faszinierend?“ Über ihren Worten lag ein dunkler Schleier. „Ich habe sie untersucht. In diesen Zylindern stecken kleine Federn, die die Schnallen geschlossen halten. Öffnet man aber dieses Ventil …“ Sie drehte an einem kleinen Rädchen. Sekunden später fuhren die Zylinder ein und die Schnallen öffneten sich. „… drückt ein Schraubenverdichter die Luft in den Kupferrohren zusammen. Mehr noch: Sollte das Schiff eines Tages sinken, füllt das Wasser weitere Rohrleitungen. Der Druck verschließt jede Ritze dieses Raumes. Je tiefer das Schiff sinkt, desto größer der Druck, desto besser versiegelt ist die Bibliothek.“ Sie nahm ein Buch aus dem Regal und blätterte darin. „Dieser Ort ist die Schatzkammer Ravens. Die wenigsten, die ihn kennen, sind schlau genug, den Wert eines Buches zu verstehen. Und jene, die es tun, sind nicht so dumm, den Kapitän zu bestehlen.“ Die Hand, die das Buch hielt, schnellte vor. Sams Angriff traf mich völlig unvorbereitet. In letzter Sekunde zog ich meinen Revolver und schoss das Buch aus der Luft. Sam pflückte weitere Bände aus dem Regal und schleuderte sie nach mir. Ich wehrte sie mit dem Revolver ab, teils mit der bloßen Hand. Sam legte mit dem Fuß einen Hebel am Boden um, und auch die Schnallen, die das Regal hielten, öffneten sich. Das Schiff neigte sich, und das Regal rutschte einige Zentimeter über den Boden. Vereinzelt fielen Bücher heraus. Schnell wie eine Katze verschwand Sam auf der anderen Seite. Ich steckte den leer geschossenen Revolver in meinen Gürtel. Ehe ich ihr folgen konnte, erschütterte ein Schlag das Regal, und das Gestell neigte sich. Bücher prasselten auf mich herab. Ich packte das Gestänge und hob das Regal hoch. Durch eine Lücke in den Buchreihen sah ich, wie Sam die Augen aufriss. Ich warf das Regal auf sie. In letzter Sekunde rollte sie darunter hinweg, und das Möbelstück krachte gegen seinen Bruder und riss ihn aus der Verankerung. Eine Rohrleitung brach zischend. Das zweite Regal kippte.
Sam kam auf die Beine. In der Hand hielt sie eine Pistole. Ich schlug sie ihr aus der Hand. Ehe sie eine weitere Waffe ziehen konnte, drängte ich sie zurück, bis sie mit dem Rücken zur Wand stand, und drückte ihr Chemos Machete an den Hals.
Unsere Blicke trafen sich.
„Du solltest es nicht tun.“
Ich schwieg.
„Raven weiß von deinem Auftrag. Wenn er mich hier findet, wird er wissen, dass du seine Bibliothek zerstört hast. Dann wird er dich töten.“
„Ich glaube nicht, dass Raven es schert.“
Sam lachte. „Du kennst ihn schlecht. Sein Reichtum ist das Einzige, das ihm etwas bedeutet. Er würde seinen eigenen Sohn verkaufen.“
Ich schwieg.
„Manche denken, er ist gierig. Aber wenn du mich fragst, ist er bloß größenwahnsinnig. Er hofft, sich eines Tages ganz Dustrien kaufen zu können.“ Sam regte sich unter meinem Griff, und ich drückte die Klinge noch fester gegen ihren Hals.
„Dann tu es“, flüsterte sie. „Töte mich. Töte uns beide.“
Ich sah ihr in die Augen. Graublaue Edelsteine. Würden sie ihren Glanz verlieren, wenn ich das Leben dahinter erstickte?
Ich ließ die Machete fallen. Sprachlos sah Sam mich an. Ich nahm ihren Kopf in beide Hände, vergrub meine Linke in ihrem blonden Haar, zog sie heran und küsste sie. Wenn mein Handeln sie überrascht hatte, verbarg sie es gut. Sie erwiderte meinen Kuss so leidenschaftlich wie noch nie eine Frau. Ich ließ von ihrem Mund ab und küsste sie am Hals. Sie lachte leise.
Ich biss sie zärtlich, und sie sog lustvoll die Luft ein.
Wir zogen uns aus und liebten uns inmitten der Bücher. Keine Hure der Welt hatte mich je solche Lust empfinden lassen, und auch Sam musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht laut zu stöhnen.
„Hast du schon bei vielen Frauen gelegen, Fantasma?“ Wir lagen nah beieinander. Sie zeichnete mit dem Finger die Narben auf meinem Oberkörper nach.
„Bei Huren. Aber nicht bei vielen. Was ist mit dir? Wie viele Männer hattest du schon?“ Sam schwieg. „Ich wette, eine Menge. Es ist mir egal.“
„Du … wo bist du nur hergekommen?“
„Mit wem von den Piraten warst du schon zusammen?“
Sie zögerte. Ihre Stimme war leise, als sie antwortete. „Mit … Mario.“
„Mario? Er ist bestimmt zehn Jahre älter als du.“
„Fünfzehn Jahre.“ Sie zuckte die Achseln. „Er hat mich beschützt, als ich an Bord des Schiffes kam.“
„Wieso ist es vorbei?“
Sie seufzte. „Meinetwegen hätten wir für immer zusammen bleiben können. Aber das Arschloch hatte Angst. Als er zum Boss unserer Bande wurde, wurde ihm die Sache zu heikel.“
„Wie alt bist du, Sam?“
„Vierundzwanzig. Und du?“
„Ich weiß es nicht. Siebzehn? Achtzehn? Vielleicht neunzehn.“
Sam setzte sich auf und sah mich an. Ihr Haar fiel herab und kitzelte meine Brust. „So jung?“ Ich strich ihr durchs Haar und streichelte ihr Gesicht. „Du wirkst älter.“
„Das verdanke ich dem Unterrumpf.“ Ich musterte die Tätowierung auf ihrer Kopfhaut. „Was sind das für Ranken?“
Sam zuckte die Achseln. „Ein Motiv, das mir gefällt. Nichts weiter. Und du? Was sind das für Zeichen auf deinem Rücken?“
„Zeichen?“
Sie starrte mich an und brach in Gelächter aus. „Monatelang habe ich mich gefragt, was sie bedeuten mögen. Und du weißt nicht mal, dass sie dort sind.“ Ich starrte sie an. Wollte sie mich auf den Arm nehmen? „Es sind zwei Schriftzeichen. Runen oder etwas in der Art.“ Sie stand auf. „Komm, Godric. Wir sind schon zu lange hier.“ Wir zogen uns an. „Ich kenne einen Ort, an dem wir vorerst sicher sind. Hier …“ Sie verstummte, weil ich von hinten an sie herantrat und ihren Hals küsste. Vielleicht würde es nicht mehr viele Gelegenheiten geben, dies zu tun. Franco und Raven trachteten uns nach dem Leben.
Sam atmete genussvoll ein und schloss die Augen. „Lass das“, flüsterte sie, unternahm aber nichts. „Hör auf.“ Ich berührte ihre Hüften, und sie kicherte.
„Das kitzelt. Nicht.“ Sie wandte sich um und küsste mich auf den Mund. „Wir müssen los. Hier entlang.“ Sie führte mich aus der Bibliothek in einen Gang. Auf halber Höhe drückte sie gegen die Wand. „Hilf mir mal.“ Ich presste mit den Handflächen dagegen und die Wand gab nach. Sam schob sie auf und offenbarte mir eine verborgene Abzweigung, die nach nur wenigen Schritten in einem Schacht endete.
„Ich gehe nicht in den Unterrumpf.“ Meine Stimme war ruhig.
„Dieser Schacht führt nicht in den Unterrumpf.“ Sam verriegelte die Geheimtür hinter uns. „Geh schon.“ Wir stiegen die Leiter hinab und gelangten in einen dunklen Raum. Ein Bett stand hier, außerdem mehrere Kisten.
„Wo sind wir hier?“
„Es ist ein isolierter Raum im Rumpf des Schiffes. Also streng genommen sind wir im Unterrumpf. Reg dich nicht auf“, fügte sie hinzu, als sie meinen Blick bemerkte. „Hier droht uns keine Gefahr.“
„Darum geht es nicht“, knurrte ich. „Ich werde nervös, wenn ich den Himmel nicht sehe.“
„Dort ist ein Bullauge.“ Sam musterte mich mitleidig. „Die Zeit dort unten muss furchtbar gewesen sein.“
„Ich mag es nicht, wenn ich längere Zeit die Sonne nicht sehe“, erwiderte ich gereizt. „Das ist alles. Was tun wir als nächstes?“
„Wir warten auf die kleine Negrita.“
Während wir warteten, lernte ich mehr über Sam als während der ganzen Zeit, die ich sie kannte. Ich erfuhr, dass sie von ihrem Vater verprügelt