ME/CFS erkennen und verstehen. Sibylle ReithЧитать онлайн книгу.
andere an kognitiven Störungen, wieder andere vor allem unter der Tatsache, dass sie nicht gut schlafen können - um nur drei Beispiele zu nennen. Es gibt noch wesentlich mehr unterschiedliche Beschwerden, die sich zudem gegenseitig nicht ausschließen.
So vielfältig die Symptome und damit die Patienten sind - die überdurchschnittlich leichte Erschöpfbarkeit und die Tatsache, dass selbst ausgiebiges Ausruhen keine ausreichende Regeneration bewirkt, gehört zu den herausragenden Kriterien. Diese Beschwerden treten bei anderen, ähnlichen Erkrankungen so nicht auf.
Der folgende Fragebogen kann Ihnen helfen herauszufinden, ob Sie möglicherweise zur Patientengruppe der an ME/CFS-Erkrankten gehören. Er dient lediglich als erster Erkundungs-Schritt. Bitte beachten Sie, dass ausschließlich das Leitsymptom PENE spezifisch bei ME/CFS auftritt. Alle weiteren Beschwerden, die unter Punkt II abgefragt werden, sind unspezifisch, treten also auch bei vielen anderen Erkrankungen auf. Dieser Fragebogen ist daher nur hinweisend und nicht beweisend. Falls Sie viele (nicht zwingend alle) Fragen ankreuzen, wird eine weitere Abklärung empfohlen.
Dann sollten Sie mit einem Behandler den medizinischen Fragebogen der Internationalen ME-Konsenskriterien 2011 durchgehen (gilt für Erwachsene) oder einen der Fragebogen für Kinder, auf die in Kapitel 3.2 verwiesen wird. Jedwede Fragebögen sind jedoch immer Teil einer umfassenden Anamnese und weiterführenden Differenzialdiagnostik und nie alleine als Diagnoseinstrument ausreichend. ▸ Siehe Kapitel 5.1
Bei Schmerzen im ganzen Körper sollte auf das Fibromyalgie-Syndrom/FMS untersucht werden. Bei starker Überempfindlichkeit gegen Chemikalien sollte das verwandte Krankheitsbild Multiple Chemikalien-Sensitivität/ MCS abgeklärt werden.
Bin ich ME/CFS-Patient(in)?
Das Leitsymptom „Neuroimmunologischer Entkräftung nach Belastung“ / „Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion / PENE“
□ Für jedwede Tätigkeit, auch für scheinbar minimale, muss ich mich anstrengen.
□ Nach kognitiven oder körperlichen Anstrengungen muss ich mich über das normale Maß lange und ungestört ausruhen.
□ Sobald ich mir zu viel zumute, verschlechtern sich über kurz oder lang (verzögert) alle meine Beschwerden. Zum Beispiel nehmen Schmerzen und/ oder Schlafstörungen oder grippeähnliche Symptome zu und/oder ich kann mich nicht mehr gut konzentrieren und/oder habe z.B. Wortfindungs-Störungen.
□ Besonders anstrengend oder gar unmöglich sind Tätigkeiten, die nur im Stehen erledigt werden können.
□ In meinem „früheren Leben“, als ich noch keine PENE-Symptome kannte, war ich deutlich leistungsfähiger.
Fragen zu den sieben Subsystemen
Siehe ▸ Kapitel 1.4
□ Ich fühle mich oft, auch nach scheinbar nur geringen Anstrengungen, als sei „meine Batterie“ leer. Dann hilft nur Ausruhen, nichts anderes.
□ Ich kann meiner Familie/Freunden/ Kollegen kaum verständlich machen, wie sich diese Erschöpfung anfühlt.
□ Ich schlafe selten oder nie richtig gut.
□ Nach dem Aufwachen fühle ich mich nicht wirklich erholt und tatkräftig.
□ Es gelingt mir selten, mich tiefgreifend zu erholen und zu regenerieren. Mein Tag/Nacht Rhythmus ist verschoben.
□ Ich habe häufig Schmerzen: Kopfschmerzen, Migräne oder Schmerzen in den Muskeln, Gelenken oder jedwede andere. Die Schmerzen können wandern, ich bin schmerzempfindlicher als andere. Die Schmerzen können großflächig sein oder lokal begrenzt oder ausstrahlend.
□ Manchmal/oft habe ich Zuckungen.
□ Manchmal/oft kann ich Bewegungsabläufe nicht koordinieren, dann stolpere ich oder ich verschlucke mich.
□ Ich fühle mich manchmal/oft undefinierbar krank und schwach.
□ Selbst das Atmen kann anstrengend sein.
□ Manchmal habe ich grippeähnliche Symptome, auch Halsschmerzen und empfindliche Lymphknoten.
□ Ich habe oft virale Infekte und brauche lange, um mich davon wieder zu erholen.
□ Meine Verdauung ist nicht in Ordnung.
□ Ich bereite meine Mahlzeiten meist selbst zu, denn manche/viele Nahrungsmittel kann ich nicht vertragen.
□ Ich vertrage keinen Alkohol.
□ Ich reagiere überempfindlich gegen Medikamente und/oder Chemikalien.
□ Extreme Temperaturen kann ich kaum ausgleichen, ich achte z.B. sehr darauf, nie zu warm oder zu leicht angezogen zu sein. Ich vertrage schlecht, wenn es sehr heiß oder sehr kalt ist.
□ Ich habe häufig kalte Hände und/ oder Füße.
□ Manchmal/oft fühle ich mich, als hätte ich keinen Zugriff auf meine Gehirnfunktionen. („Brain fog“). Ich kann dann kaum spontan Informationen oder Begriffe abrufen, die ich eigentlich weiß. Oder es fällt mir nicht mehr ein, was ich gerade sagen wollte.
□ Ich kann dann nicht klar denken, mich kaum konzentrieren, dann spreche und denke ich verlangsamt. Das kann bis zu Zuständen von Verwirrung und Desorientierung führen.
□ Zwei Aufgaben gleichzeitig zu erledigen überfordert mich.
□ Alle möglichen Wahrnehmungen können mich überreizen, z.B. Musik, Lärm, Gerüche, Licht, Erschütterungen oder Berührungen. Visuelle Reize wie schnelle Bildschnitte im Fernsehen oder der Aufenthalt in Menschenmengen überfordern mich.
□ Manchmal/oft nehme ich eine Herzunruhe, ein -stolpern oder Herzklopfen wahr.
□ Manchmal/oft fühle ich mich benommen und/oder schwindelig.
□ Ich kann nicht lange aufrecht stehen bleiben.
□ Ich muss dringend und/oder häufig Wasser lassen, oft auch nachts.
□ Ich bin häufig anlasslos hypernervös und innerlich unruhig.
□ In stressigen Zeiten verstärken sich diese Beschwerden zusätzlich.
1.4 FRAGEN ZUM KRANKHEITSBILD ME/CFS
Wie beginnt die Erkrankung?
Oft gerät die körperliche Unversehrtheit durch Infektionen aus dem Tritt: Zahlreiche Patienten berichten von einer akuten Infektion (z.B. Pfeiffersches Drüsenfieber), von der sie sich nicht mehr erholen können.
Innerhalb weniger Tage, manchmal sogar innerhalb von wenigen Stunden, entstehen grippeähnliche Symptome, oft begleitet von Hals- oder Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrations-, Gedächtnis- und Schlafstörungen. Anders als bei einer Grippe bleiben die Beschwerden jedoch über Wochen anhaltend bestehen. Aus gesunden Personen werden „im Handumdrehen“ behandlungsbedürftige ME/CFS-Patienten.
Manche Patienten berichten von einem akuten Beginn nach Unfällen oder nach mehrfachen, in kurzen Abständen erfolgten Impfungen, nach Operationen, nach Fremdkörper-Implantationen (z.B. Zahn-, Hüft-Implantate) oder nach einem anderen schwerwiegenden Ereignis. Häufig wird berichtet, dass die Zeitphase um den Ausbruch besonders stressreich und mit körperlicher und/ oder psychischer Überlastung verbunden war. Offen bleibt die Frage, ob diese Ereignisse Ursache oder Auslöser sind. In deutlich weniger Fällen (Schätzungen gehen von 25 % aus) tritt ME/CFS auch schleichend auf. Die Mehrheit der Patienten sind Einzelfälle. Allerdings gab es mehrere ungeklärte Massenausbrüche: z.B. in Island (1948), in London (1956), in Neuseeland (1984), und in den USA (1984/85).
Wechselwirkungen und Verflechtungen
In gewisser Weise kann man die Symptome bei ME/CFS mit der Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten beim Lottospielen vergleichen. Jeder ME/CFS-Patient weist ein ganz individuelles Mosaik an Beschwerden auf, die auf den jeweiligen Auslösern und auf der individuellen Konstitution des Einzelnen beruhen. Manche Wissenschaftler gehen mittlerweile von einem multifaktoriellen Geschehen aus,