Übergewicht und Krebs. Prof. Dr. Hermann DelbrückЧитать онлайн книгу.
Übergewicht und Alkohol beschleunigen den Übergang einer Fettleber in eine Fibrose und Zirrhose, die schließlich in Krebs übergeht (Caldwell et al 2004). Nehmen Adipöse ab, so verbessern sich bei ihnen die Biomarker für eine nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD). Gleichzeitig verbessert sich bei ihnen der Blutzucker- und Fettstoffwechsel (Baumeister et al 2018, Schwimmer et al (2019); die Leberkrebsgefahr sinkt dann.
Leberzirrhose-Patienten sind extrem gefährdet. Sie sollten alle sechs Monate sonographisch überwacht werden.
Zur Vorbeugung gegen Hepatitis B steht seit 1982 ein hoch wirksamer Impfstoff zur Verfügung. Impft man Säuglinge erkrankter Mütter unmittelbar nach der Geburt, verhindert dies eine Infektion.
Hepatitis B Erkrankte sollten zur Vermeidung von Infektionen des Partners bei Sexualkontakten Kondome benutzen; ungeschützter Geschlechtsverkehr ist eine häufige Infektionsursache.
Impfungen gegen eine Hepatitis-C-Infektion befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Vorbeugend sollten alle Schutzmaßnahmen eingehalten werden, die eine Infektion durch Blut-zu-Blut-Kontakt verhindern. Dazu zählen der gemeinsame Spritzengebrauch, die gemeinsame Benutzung von Nagelscheren, Rasiermessern und Zahnbürsten.
Metformin soll bei Typ-2-Diabetikern das Leberkrebsrisiko reduzieren (?).
Das Pilzgift Aflatoxin verursacht Leberkrebs. Schon lange ist bekannt, dass die hohe Leberkrebsrate in Westafrika mit dem Aflatoxinbefall sonnengetrockneter Erdnüsse zusammenhängt. Durch neueingeführte künstliche Trocknungsverfahren erreichte man dort eine deutliche Häufigkeitsabnahme aflatoxinbedingter Leberkrebserkrankungen.
Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Leberkrebs gibt es kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm, obwohl man isolierte Krebsherde im – häufig zirrhotisch veränderten – Lebergewebe sonographisch relativ frühzeitig erkennen und erfolgreich entfernen kann. Hauptgrund hierfür ist wahrscheinlich die Angst vor einer Überdiagnostik. Sinnvoll sind Ultraschall- Screening-Untersuchungen der Leber bei Risikopatienten mit Leberzirrhose chronischer Hepatitis B und C sowie bei einer chronischen Fetthepatitis.
Gallengangskarzinom (Cholangiokarzinom)
Starkes Übergewicht zählt zu den Risikofaktoren für ein in der Leber entstehendes (intrahepatisches) Gallengangskarzinom. Das relative Risiko beträgt, im Vergleich zu Normalgewichtigen, RR = 1,49 (Kyrgiou, M et al; BMJ 356: 477, 2017). Als weiteren Risikofaktor diskutiert man die B und die C-Hepatitis.
Gallengangsentzündungen (primär sklerosierende Cholangitis) sowie ein Reflux der Bauchspeicheldrüsensäfte sind Risikofaktoren für außerhalb der Leber entstehende Gallengangskarzinome.
Gallenblasenkarzinom
Neben Gallensteinen, einer chronischen Gallenblasenentzündung sowie entzündlichen Darm- und Lebererkrankungen (Primär sklerosierende Cholangitis) zählt starkes Übergewicht zu den bedeutendsten Risikofaktoren (World Cancer Research Fund International 2015, 2018). Metaanalysen von Studien zeigen eine relative Risikoerhöhung um 67 % (Behrens et al 2018). Als Ursache vermutet man chronische Entzündungen im Zusammenhang mit Gallensteinen (unter denen Übergewichtige häufig leiden). Sie verursachen narbige Veränderungen und einen ständigen Wachstumsreiz auf die Schleimhaut.
Kommentar und Empfehlungen: Gewichtsreduzierende Maßnahmen schützen sowohl vor Gallensteinen als auch vor Gallenblasenkrebs. Die Gallenblasenentfernung bei chronischen Entzündungen dient auch zur Krebsprophylaxe.
Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Bei stark Übergewichtigen werden regelmäßige Lebersonographien empfohlen.
Die Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie) wird prophylaktisch bei Patienten mit einer primär sklerosierenden Cholangitis und Gallenblasenpolypen mit 8 mm Durchmesser empfohlen.
Darmkrebs
Risiken für Darmkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko; modifiziert nach: Delbrück 2015)
Familiäre adenomatöse Polyposis: | XXXX |
Hereditäres kolorektales Karzinom: | XXXX |
HNPCC = Lynch-Syndrom: | XXXX |
Angehörige ersten Grades, die im Alter von < 50 Jahren an Darmkrebs erkrankten: | XXX |
Angehörige ersten Grades, die im Alter von > 55 Jahren an Darmkrebs erkrankten: | XX |
Angehörige zweiten Grades: | X |
Mindestens ein Adenom > 10 mm < 20 mm: | XXX |
Mindestens ein Adenom > 20 mm: | XXXX |
Starkes Übergewicht in der Jugend (BMI > 30): | XXXX |
Starkes Übergewicht als Erwachsener (BMI > 30): | XXX |
Bewegungsarmut, körperliche Inaktivität: | XXX |
Weit überdurchschnittliche Körpergröße und ausgeprägtes Bauchfett: | XXX |
Rotes und verarbeitetes Fleisch: | XXX |
Hoher Alkoholkonsum (> 70 g täglich): | XXX |
Typ-2-Diabetes, der mit Insulin behandelt wird: | XXXX |
Typ-2-Diabetes (nicht mit Insulin behandelt): | XXX |
AIDS (unbehandelt): | XX |
Pancolitis (chronische Entzündung des gesamten Darms): | XXX |
Colitis ulcerosa (linke oder rechte Darmhälfte): | XX |
Colitis ulcerosa (auf den letzten Darmabschnitt begrenzt): | XX |
Rauchen: | XX |
Vitamin-D-Mangel: | X |
Dysbiom (gestörte Darmflora): | XX |
Niedriger sozioökonomischer Status: | XX |
Häufige Antibiotikatherapien in der Jugend: | X |
Häufige Wechsel- und Nachtschicht-Arbeit: | X |
Bei den Risikofaktoren steht – neben der erblichen Disposition und einem Typ-2-Diabetes – der Lifestyle mit an der vordersten Stelle. Neben Bewegungsarmut – und noch vor Nikotin, rotem Fleisch und Alkohol – gilt Übergewicht unter den Lifestylerisiken als der größte Risikofaktor.
Nicht nur die Krebsentstehung und der Zeitpunkt der Diagnose, sondern auch der Krankheitsverlauf und das Wiedererkrankungsrisiko werden durch Übergewicht negativ beeinflusst. In Metaanalysen, in denen man das Krebsrisiko von über- und normalgewichtigen Personen verglich, wurde das Erkrankungsrisiko bei Übergewichtigen um ein Drittel höher eingeschätzt (Behrens et al 2018). Ausgeprägtes Bauchfett ist ein separates Erkrankungsrisiko.
Frühes Übergewicht und ein Typ-2-Diabetes (in der Altersgruppe < 50 Jahren) haben einen wesentlich größeren Einfluss zu haben als bislang angenommen (Khan et al 2020). Der Darmkrebs hat in dieser Altersgruppe in den vergangenen Jahren um beinahe ein Drittel zugenommen. Hierfür wird das veränderte Lifestyleverhalten – und hier besonders der Anstieg des Übergewichts und geringere Bewegungsaktivität – verantwortlich gemacht (Zheng, R et al 2018, Marshall et al 2019, Koroukian et al 2019). Je länger man übergewichtig sind, desto größer ist die Gefahr (Schlesinger, S et al 2017). Ein BMI von 24 bis 29 ist bei über 65jährigen Menschen noch akzeptabel, bei Jüngeren hingegen schon ein Risikofaktor (Siegel et al 2010, Yanlei Ma et al 2013).
Während der Zusammenhang zwischen starkem Übergewicht (BMI > 30) mit Dickdarmkrebs eindeutig ist, lässt sich ein solcher beim Enddarmkrebs (Rektumkarzinom) „nur“ tendenziell feststellen (Laake et al 2010, Zhang et al 2019). Warum das so ist, bleibt unklar. Überhaupt ist der durch Übergewicht zu Krebs führende Wirkmechanismus Gegenstand unterschiedlicher Hypothesen. Als allgemein gesichert gilt jedoch, dass Übergewicht nicht zu Genmutationen führt, sondern - ähnlich wie körperliche Inaktivität und Diabetes - ein Tumorpromotor ist.
Hypothesen zum Wirkmechanismus von Übergewicht auf die Darmkrebsentwicklung
• Übergewicht ist ein Tumorpromotor, der nicht etwa strukturelle Erbgutveränderungen (Genmutationen) verursacht, sondern sich „lediglich“ funktionell auswirkt, d. h. die Aktivität und die Aggressivität von Krebszellen und -genen erhöht. Negative Einflüsse auf DNA-Reparaturmechanismen werden