„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. HuthmacherЧитать онлайн книгу.
dem 14. Jhd. war das „Bauernlegen“ (zwangsweise Einziehung von Bauernhöfen) Usus; die Bauern wurden mit Gewalt zu Leibeigenen gemacht, das Gutsuntertanentum wurde erblich und den Entrechteten und Geknechteten erzählten ihre Oberen, dieser Zustand bestehe seit je und sei Gottes Wille – insbesondere das danieder gehende Rittertum wollte derart seine Pfründe sichern. Nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes von 1525 persistierte und florierte diese Art des Sklaventums; erst Napoleon sorgte, auch in Deutschland, für das Verschwinden feudalistischer Leibeigenschaft.
Insofern kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Luther durch seine Rolle im Bauernkrieg einen erheblichen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Sklaverei und Leibeigenschaft und zu deren Fortdauer während der nächsten dreihundert Jahre geleistet hat!
Jedenfalls gilt festzuhalten: Die „Bauern wurden in ihrer sozialen Stellung zusehends zu leibeigenen oder untertänigen, an den Boden gebundenen Fronarbeitern herabgedrückt“; beispielsweise und nur pars pro toto wurde sämtliches Hab und Gut (sofern denn solches vorhanden) eingezogen, wenn ein leibeigener Bauer ohne Einverständnis seines Grundherrn heiratete.
Aus wirtschaftlicher Not bzw. als Versuch, einen Ausweg aus dieser zu finden, weiteten sich gewerbliche Tätigkeit (Heimarbeit) und Zunftwesen auch auf dem Lande aus (welcher Umstand im Gegensatz zu den Interessen der Städte stand); oft verkauften die Bauern ihre Söhne auch als (Söldner-)Soldaten.
Der Feudalherrschaft des Adels standen die Städte gegenüber; diese hatten seit dem Hochmittelalter eine politische und rechtliche Sonderstellung erlangt, weshalb sie Adel und Klerus (beide, beispielsweise in Form der Fürst-Erzbischöfe, oft miteinander in Personalunion) ein Dorn im Auge waren.
Da Luther in Wittenberg (und nicht in einer Freien resp. Reichs-Stadt) lebte, vertrat er die Interessen seines Territorialherren Friedrich. Nach dem alt- wie wohlbekannten und immer wieder neuen Motto: Wes´ Brot ich es, des´ Lied ich sing. Hätte Luther – so meine These – in Basel oder Zürich gewirkt, hätte er ein ideologisches Konzept vertreten, das die Interessen seiner (hypothetischen) dortigen Herren bedient hätte: Die religiös-inhaltlichen Gegensätze der verschiedenen reformatorischen Richtungen waren bisweilen marginal, die politisch-ideologisch-gesellschaftlichen Differenzen und „Contradictiones“ indes, die man daraus konstruierte, waren immens.
Ergo: Die Religion war das klägliche Feigenblatt, hinter dem knallharte machtpolitische Ansprüche versteckt wurden.
Fazit: Durch die Reformation wollten die Reichsfürsten – jedenfalls die, welche nicht zudem (Erz-)Bischöfe und dadurch zugleich und ohnehin schon religiöses Oberhaupt waren – auch die kirchliche Oberhoheit erringen sowie eine weitgehende Emanzipation mit Kaiser und König erreichen. Die Freien resp. Reichs-Städte verfolgten ihrerseits das Ziel, die Einflussmöglichkeiten des Kaisers/Königs zu verringern und die Begehrlichkeiten der zunehmend erstarkenden Landesfürsten abzuwehren. Und Kaiser und Kirche resp. der Papst wollten, das alles beim Alten und die Macht weiterhin bei ihnen blieb.
„Jede soziale Schicht brachte ihre eigene Reformation hervor. Der hohe Adel schloss sich samt … Untertanen Martin Luther an, das Bürgertum in den Städten vorrangig Zwingli und Calvin, die humanistischen Bildungsbürger Philipp Melanchthon, Bergknappen und Bauern Thomas Müntzer, die einfachen Handwerker Balthasar Hubmaier und den Täufern, die Ritter, also der niedere Adel, Franz von Sickingen. Es entstand sogar, immer noch wenig bekannt, eine Reformation der Frauen.
Drei grundsätzliche Strömungen lassen sich unterscheiden: die (lutherisch und ´philippinisch´ geprägte) Reformation landesherrlicher Territorien; die (zwinglianisch und calvinistisch dominierte) Reformation der Schweizer und oberdeutschen Städte; und die radikale Form, auch ´linker Flügel der Reformation´ genannt in den beiden grundlegenden Varianten der sozial-politischen Revolution eines Müntzer oder des Rückzugs aus der Welt wie beim Gros der Täufer.
Martin Luther, der Vorkämpfer, ist einer der Großen, gewiss – und dennoch nicht ´der´ Reformator, sondern einer von zahlreichen Reformatoren, ebenso wie es viele Reformationen oder reformatorische Strömungen gab und nicht die eine Reformation. In Wellen breitete sie sich aus, zuerst die Rebellion unter Luther, die soziale Revolution von Müntzer bis Münster [Täuferreich von Münster], dann die städtische Reformation bei Zwingli und die Restauration unter den Fürsten bei Melanchthon, schließlich die Reglementierung des bürgerlichen Lebens bei Calvin. Die weltweite Ausbreitung gelang dann durch die Mission und durch die Verfolgten, die die neue Lehre in andere Länder trugen.“
Während es im feudalen Landrecht ein ständisch gegliedertes Recht gab (Adel und Klerus konnten nur von ihresgleichen vor Gericht gezogen werden), galten nach Stadtrecht alle Bewohner als gleich und frei. Es gab jeweils ein Stadtrecht, das gleichermaßen für alle galt („Legalitätsprinzip“); von ihrer Rechtsgebungsbefugnis machten die Städte auch regen Gebrauch.
Indes: Trotz ihrer (rechtlichen, formalen und realen) Autonomie drohte den Freien und Reichsstädten ständig, von einem Territorialstaat unterworfen zu werden (so wurde beispielsweise 1486 die Reichsstadt Regensburg vom Herzog von Bayern annektiert).
Deshalb mussten die (Freien und Reichs-)Städte nach außen wehrhaft und im Inneren (ideologisch) gefestigt sein, um gegen die Macht der Landesfürsten bestehen zu können – insofern spielte die Religion als verbindendes Glied eine nicht zu unterschätzendes Rolle. Zumal auch innerstädtische Interessenkonflikte, beispielsweise die zwischen Bürgertum und (Handwerker-)Zünften, nicht selten beträchtlich waren: Allein zwischen 1509 und 1514 kam es deshalb in fast zwanzig Städten zu schweren Unruhen.
Die Territorialherren ihrerseits erzielten zunehmend Einnahmen aus fortschreitender Kommerzialisierung und Industrialisierung (Handelsmonopole und Berg[werks]regale); durch Abtretung letzterer verschafften sie sich Kredite bei den großen Handelshäusern, namentlich bei den Fuggern, um damit ihre eigene, vom Kaiser unabhängige Reichs- und Kirchenpolitik zu betreiben und ggf. auch gegen die Freien und Reichsstädte Kriege zu führen.
Dieser „frühneuzeitlichen Staat“ bezeichnete sich nunmehr selbst – und zum ersten Mal in einem offiziellen Reichsdokument 1486 (Landfriedensordnung des Reichstags von Frankfurt) – als „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“: Einerseits wurde die imperiale Reichsidee zu Beginn des 16. Jhd. neu belebt: „Imperiale Vorstellungen und Ansprüche, die seit dem hohen Mittelalter für das Oberhaupt des Reichs zur Verfügung standen, wurden auf einmal, im Abstand von mehr als 200 Jahren, wiedererweckt.“
Andrerseits spielte der Nationalisierungsgedanke, wie er in der Begrifflichkeit „deutscher Nation“ zum Ausdruck kommt, als Abgrenzung gegenüber dem Papsttum und somit in der Reformation eine wichtige Rolle.
Fünf Adelsfamilien beherrschten das Deutsche Reich; es waren dies die habsburgische Großdynastie, die Wittelsbacher (Bayern und Kurpfalz), die Welfen (Niedersachsen), die Hohenzollern (schwäbische Stammgebiete, Mark Brandenburg, die beiden Erzbistümer Mainz und Magdeburg, somit zwei der sieben Kurfürstentümer des Reichs) und die Wettiner.
Stammland letzterer war Sachsen. „Der wirtschaftliche Reichtum, vor allem durch den Silberbergbau, ermöglichte den Wettinern eine relativ starke politische Einflußnahme und Unabhängigkeit im Reich. So wäre auch der Schutz vor Kaiser und Papst, den der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise Martin Luther gewährte, ohne dieses wirtschaftliche, materielle Fundament kaum möglich gewesen.“
In der Person Kaiser Karls V. herrschten die Habsburger unmittelbar über Spanien, Sardinien, Sizilien und Süditalien (Königreich Neapel), über die heutigen Benelux-Staaten, über Teile Nordfrankreichs, über ihr Stammland Österreich, über große Teile Südwestdeutschlands einschl. des Elsass´, nicht zuletzt über die spanischen Kolonien. Mittelbar herrschte Karl als römischer Kaiser und König (und damit als Reichsoberhaupt) über Deutschland sowie Ober- und Mittelitalien:
„Noch nie hatte ein deutscher Kaiser so weite Gebiete regiert wie dieser Habsburger. Man konnte meinen, in der deutschen Kaisergeschichte sei plötzlich ein neues Zeitalter angebrochen.“
Gleichwohl: Um 1517 überhaupt gewählt zu werden, musste Karl eine Reihe von Rechten an die Fürsten abgeben: