Die vermauerte Frau. Henner KotteЧитать онлайн книгу.
ein Tuch gewickelt, das er unter dem Arme trug. Er war schlecht gekleidet, hatte jedoch das Haar nach der Mode gekämmt und pomadisiert.“ Auf Fragen zur Person gab er verdächtige und widersprechende Antworten. Und da er „keine Legitimationspapiere bei sich hatte und sich einigen Anschein von Blödsinn zu geben suchte, so wurde er in polizeilichen Gewahrsam genommen. Es lag die Vermuthung nahe, daß er ein entsprungener Verbrecher sei; denn seine Angaben trugen das Gepräge der Erdichtung. Er nannte sich Friedrich Müller, wollte aus Frankfurt a. O. gebürtig sein und aus Amerika kommen. Er sagte, seine Eltern seien gestorben, den Vater habe er nicht gekannt, seit der frühesten Jugend habe er sich auf einem Segelschiffe befunden, welches zwischen Hamburg und Amerika hin- und hergefahren, und auf welchem seine Mutter Köchin, er selbst Schiffsjunge gewesen sei. Die Polizeibehörde zu Leipzig stellte umfassende Nachforschungen an, um die wahre Persönlichkeit dieses Menschen zu ermitteln. Jedoch ohne allen Erfolg.“ Man wies ihn in die Versorgungsanstalt zu Colditz ein, musste ihn alsbald daraus entlassen, denn seinen Erzählungen konnte niemand die Unwahrheit nachweisen. Friedrich Müller fiel der Stadt Leipzig als Heimatloser zu. „In ehrlicher Weise sein Fortkommen zu suchen, lag gar nicht in Müllers Willen, die äußere Freiheit ließ ihn wieder dem thierischen Triebe nach Raub nachhängen: er stieg ein und stahl“, wurde mit Gefängnis belegt, „und nach Verbüßung dieser Strafe von der Leipziger Polizeibehörde zur Correction ins Georgenhaus eingesperrt.“
Dann glaubten sich die Polizisten auf der Spur. Sie fanden, „daß in den Mittheilungen der Berliner Sicherheitspflege ein Steckbrief hinter einem Schneidergesellen Carl August Ebert aus Drossen noch unerledigt war“. Dieser war wegen Raubmordes, Brandstiftung und mehrerer Diebstähle zur Fahndung ausgeschrieben. Friedrich Müller entsprach dem Signalement nicht nur äußerlich, er hinkte wie beschrieben. Nur hatte man jenen Ebert bereits in Frankfurt am Main verhaftet. Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte, doch teilte man diesen den Leipziger Ermittlern nicht mit, „so geschah es, daß dieser verschlossene Bösewicht am 16. November 1852 aus dem Georgenhause zu Leipzig wieder entlassen werden mußte und nur in polizeilicher Aufsicht behalten wurde, während er mit Handarbeiten Verdienst suchte und bald da, bald dort in der Stadt in Schlafstelle lag. Selbst aber in dieser äußeren Freiheit, wo sein Thun und Treiben von der Behörde überwacht war, vermochte er nicht den räuberischen Trieb zurückzuhalten, der aller Gefahren spottete und noch weniger auf den Richter achtete.“
Die Georgenstraße befand sich im Bahnhofsviertel, Hahnekamm und Hans-Poeche-Straße verlaufen heute ähnlich. Damals war es eine „Sackgasse, welche auf die westliche Umfassungsmauer des Schützenhauses stößt; unterhalb dieses Stadtheils breitet sich nordwärts der Leipzig-Dresdener-Eisenbahnhof aus, so daß in geringer Entfernung sich täglich ein reges Leben entfaltet“. In jener Straße wohnte Witwe Friese. Das nur an wenige Leute vermietete Haus stand einzeln am hinteren Rand der Sackgasse und bot nur äußerst geringen Verkehr mit der übrigen Stadt, zumal im Winter. Am 5. Januar hatte man Witwe Friese zum letzten Mal gesehen. Mehrmals klopfte der Vermieter an ihre Stubentüre, fand diese jedoch stets verschlossen. Er war nicht der Einzige, der vergebens auf Einlass hoffte, so setzte er die Polizeibehörde davon in Kenntnis.
„Als diese die Stube öffnen ließ, fand man die Friese entseelt darin. Sie lag, Kopf und Gesicht mit Blut bedeckt, völlig angekleidet, mit dem Rücken auf einem Stuhle; der Kopf hing herab, beide Hände berührten ausgestreckt den Boden, und die rechte hielt ein scharfes blutiges Messer. Quer über den Hals verließ eine lange, weitklaffende Schnittwunde und eine Lache dicken, geronnenen Blutes tränkte den Boden. Nach Aufrichtung des, mit einer schwarzen Mütze bedeckten Kopfes zeigte sich der Schädel an mehreren Stellen auf furchtbare Weise zerschmettert und allmählich entdeckte man 16 mehr oder weniger bis in das Gehirn dringende Wunden, die augenscheinlich von einem harten, stumpfen Instrumente bewirkt worden waren.
Die Friese war als eine wohlhabende Frau bekannt gewesen, man fand in ihrer Wohnung mehrere Gegenstände von Werth, namentlich auch Documente und Schuldverschreibungen; dagegen nur wenig baares Geld, mit einigen Zwanzigkreuzern in einer Plüschtasche verwahrt, ungeachtet die Friese erst ein oder zwei Tage vor ihrem Tode eine nicht unbeträchtliche Summe an Zinsen, in Cassenbillets und Zweithalerstücken, erhalten hatte. Ebenso fehlten Ringe und Busennadeln, in deren Besitz die Friese nach den Angaben verschiedener Personen gewesen war. Erstere hatte sie an einen Faden gereiht, gewöhnlich in ihrer Commode liegen gehabt. So war es denn klar, daß die Friese auf gewaltsame Weise ihren Tod gefunden, daß sie unter Mörderhand gefallen, eines Theils ihrer Habseligkeiten beraubt und daß von dem Mörder mit kaltblütiger Besonnenheit und raffinierter Bosheit das erschlagene Opfer in eine Lage und Stellung gebracht worden war, die den Glauben erwecken sollte, als habe die Friese mit eigener Hand ihrem Leben ein Ende gemacht …
Nachdem der Leichnam der Friese aus der Stube entfernt worden war, durchsuchte man dieselbe genauer, um Gegenstände aufzufinden, die möglicher Weise von Interesse für die Untersuchung sein konnten. Hierbei fand man in dem in der Stube stehenden Bette der Friese zwischen den Matratzen und dem Unterbette ein altes, unter den Armen blau abgefärbtes und in auffallender Weise schmutziges Mannshemde von grober Leinwand. Es fanden sich zwar nun noch andere Mannshemden vor, diese lagen aber zerstreut in der Stube herum, waren auch von sehr feiner weißer Leinwand, frisch gewaschen, sauber genäht und trugen vorn an der Brust auf einem in Herzform eingenähten Stück Leinwand als Zeichen die roth eingestickten Buchstaben A. F. mit einer Zahl darunter. Offenbar also waren dieß Hemden, die von dem den Namen Andreas geführt habenden, verstorbenen Ehemanne der Friese herrührten, wie sie denn auch nachmals von einer Person, die diese Hemden in den Händen gehabt, als Friesesche Hemden bezeichnet wurden. Unter diesen Umständen erschien der Fund jenes Hemdes im Bette der Friese von Wichtigkeit; trug solches auch keine Buchstaben als Zeichen an sich, so war doch anzunehmen, daß es nicht der Friese gehört, und der Gedanke mußte nahe liegen, daß möglicher Weise der Mörder sich jenes alten, schmutzigen Hemdes entledigt und dafür eins von den in der Stube liegenden, frischgewaschenen schönen Frieseschen Hemden angezogen und mitgenommen habe.“
Die Hemden – eine erste Spur. Eine nächste ergibt sich, als zwei Nachbarinnen sich eines fremden Mannes entsinnen, „der in der letztern Zeit einige Male ins Haus gekommen und nach dem Logis der Friese hinaufgegangen war. Noch am letzten Tage, am 5. Januar wollten beide Zeuginnen diesen Mann im Hause gesehen haben … Sie beschrieben jenen Fremden als einen kleinen untersetzten Mann mit einer kurzen grünen Jacke, dunklen Beinkleidern, dunkelfarbiger Mütze, mit plumpen Gesicht und einem etwas hinkenden Gang.“
Zunächst ergeben die Nachforschungen nichts, bis man in Erfahrung bringt, „daß auf der Ulrichsgasse (Seeburgstraße) ein Mensch wohne, dessen Statur und Kleidung so ziemlich auf Jenen passe und der auch in der letzten Zeit in etwas auffälliger Weiser Geld ausgegeben habe. Am frühen Morgen des 14. Januar verfügte sich der mit dieser Ermittlung beauftragte Diener der Behörde in das Quartier des oben Bezeichneten und traf nun hier noch im Bette liegend jenen geheimnisvollen Unbekannten, den angeblichen Müller, den die Stadt Leipzig unter die Zahl ihrer Einwohner hatte aufnehmen müssen. Beim Eintritte des Beamten in die Kammer zog Müller sich das Deckbett über den Kopf weg, er wurde aufgefordert, sich zu erheben, und hierbei zeigte sich, daß er ein weißes Hemd von feiner Leinwand auf dem Leibe trug, das aber ebenfalls schon beschmutzt war. Auch noch ein zweites, diesem ganz gleiches Hemde fand sich im Besitze Müllers vor. Beide Hemden glichen in Stoff, Größe, in der Art, wie sie genäht waren, sowie in ihrer sonstigen Beschaffenheit genau denjenigen, welche in der Stube der Friese mit dem Zeichen A. F. und einer Zahl darunter vorhanden gewesen waren. Nur war an dem einen das Zeichen herausgetrennt, während bei dem andern an der correspondierenden Stelle ein Stück Leinwand weggerissen war. Nichtsdestoweniger erkannte man aber an den vorhandenen Spuren noch ziemlich deutlich die Formen der ausgetrennten Buchstaben und namentlich war es gerade der Buchstabe F. dessen Form am deutlichsten hervortrat. Nicht minder zeigte sich noch ziemlich deutlich die Spur eines in Herzform darauf genäht gewesenen Stückes Leinewand. Müller war durchaus nicht im Stande, einen Nachweis darüber zu geben, wie er in den Besitz dieser beiden Hemden gekommen sei; die Angabe, die er darüber machte, trug das offenbare Gepräge der Lüge und Erfindung.“
Friedrich Müller wird in Haft genommen, die Beweise seiner Schuld sind erdrückend. Mehr als 20 Taler hatte er ausgegeben „theils in Cassenbillets, theils in Zweithalerstücken, theilweise aber auch in Zwanzigkreuzern“, genau wie sie der Witwe Friese