Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman. Jutta von KampenЧитать онлайн книгу.
daß Sie noch da sind. Bitte, kommen Sie zu mir in mein Büro.«
Während sie auf die Fürsorgerin wartete, blätterte die Leiterin in den Akten, die man von Kai und Heike Brünnig angelegt hatte.
Der Vater war Offizier eines Schiffes gewesen, das von Hamburg aus Vergnügungsfahrten unternahm, sogenannte Mittelmeerfahrten.
Er war oft unterwegs und befand sich nun hier in Hannover, weil sein Schiff in Hamburg auf dem Trockendock lag zu Reparaturarbeiten.
Die Mutter, Jutta Brünnig, war früher Sekretärin der Gesellschaft gewesen, der das Schiff gehörte. Sie lernte dort ihren Mann kennen, heiratete ihn und wurde Hausfrau.
Die Ehe galt als sehr glücklich, wenngleich der Mann auch oft unterwegs war und anscheinend viel Geld für sich persönlich ausgab.
Er fuhr den schnellen Wagen, mit dem er und seine Frau schließlich tödlich verunglückten. Die Kinder weilten zu dieser Zeit auf einer Geburtstagsparty.
Ein Glück für die beiden, sann Frau Steiger und klappte den Aktendeckel zu, oder auch ein Unglück. Das Geschick, als Waisenkind aufwachsen zu müssen, ist keinesfalls beneidenswert. Es sind immer benachteiligte Kinder, sosehr man sich auch um sie bemüht. Wie oft macht man Fehler. Nicht aus Nachlässigkeit, bei Gott, nein! Aber was für das eine Kind ein Glückstreffer ist, kann für ein anderes zur Tragödie werden. Es sind ja Kinder, mit denen man zu tun hat, die empfindsamsten Wesen der Welt.
Es klopfte an der Tür, und dann stand Fräulein Krümel vor ihrem Schreibtisch.
Fräulein Krümel hatte die Waisen in den ersten Stunden nach dem Unglück betreut, hatte sie auf der Kinderparty gesucht und ins Heim gebracht. Sie hatte ihnen auf ihre verwirrten Fragen nach den Eltern Antwort geben müssen.
Schlimme Stunden hatte Fräulein Krümel mit Kai und Heike durchgestanden.
»Fräulein Krümel, bitte nehmen Sie Platz. Es ist etwas geschehen, womit wir wohl nicht gerechnet haben. Die Polizei hat angerufen.«
Frau Steiger berichtete und beobachtete dabei verstohlen das Gesicht der Frau.
Sie seufzte innerlich und senkte den Blick auf die Akten der Waisenkinder Brünnig.
»Ich weiß, daß Sie eine sehr verantwortungsbewußte Beamtin sind, Fräulein Krümel. Und die Kinder kennen Sie immerhin schon. Nehmen Sie bitte die Sache in die Hände. Die Akten stehen zu Ihrer Verfügung. Sollten die Kinder heute oder morgen nicht gefunden werden, gebe ich Ihnen alle Vollmachten, die Sie vom sonstigen Dienst befreien.
Widmen Sie sich ausschließlich der beiden verschollenen Kinder. Irgendwo müssen Kai und Heike ja stecken. Vielleicht bei auswärtigen Freunden. Aber soviel ich aus den Unterlagen hier ersehen kann, besaß die Familie nicht viele Freunde. Nur von einem Henry Olsen ist hier die Rede. Er war sozusagen der Arbeitgeber von Eugen Brünnig, denn ihm gehören Schiffsanteile des Dampfers, auf dem Herr Brünnig als Offizier tätig war.«
Damit reichte Frau Steiger die Akten über den Schreibtisch. Fräulein Krümel rückte an ihrer Brille, nahm die Akten in Empfang und erhob sich.
»Ich werde mich nach Ihren Anweisungen richten. Bestimmt finden sich die Kinder bald. Es sind eigentlich sehr gut erzogene Kinder. Sie sind nur sehr verzweifelt.«
Das letzte kam fast verlegen von den schmalen Lippen. Fräulein Krümel erhob sich linkisch und klemmte die Mappe unter den Arm.
»Kann ich jetzt gehen? Ich möchte keine Zeit versäumen. Es tut mir leid, daß ich mir heute nicht freigenommen habe und in der Nähe der Wohnung war.«
So! Das war ein versteckter Vorwurf, und Frau Steiger empfand ihn als solchen.
Sieh mal an, die stille Krümel, sann sie, nachdem die Fürsorgerin schon längst das Büro verlassen hatte, die Kinder müssen es ihr aber angetan haben.
Na ja, wenn man in die Jahre kommt und weiß, daß man selbst niemals welche haben wird…
Gedankenschwer lehnte Frau Steiger sich im Sessel zurück. Minutenlang beschäftigte sie das Schicksal der Fürsorgerin, die in ihrem Beruf aufzugehen schien.
Aber Frau Steiger wußte es besser. Die Hoffnungen und Sehnsüchte der Krümel gingen einstmals in eine völlig andere Richtung. Sie würde sich voll einsetzen, um die verschwundenen Kinder zu finden.
Sie ist die richtige Person dazu, dachte Frau Steiger und erhob sich, um erneut nach ihrem Mantel zu greifen. Ein langer Arbeitstag lag hinter ihr.
*
Von Hannover bis Lippoldsberg hielt der Schnellzug nur zweimal.
Kai wußte genau, wann sie auszusteigen hatten, denn er kannte die Strecke von früheren Fahrten.
Als die Polizei in der großen Stadt nach zwei kleinen Kindern Ausschau hielt, saßen Kai und Heike bereits im Zugabteil und verhielten sich möglichst unauffällig.
Bimbo drückte sich neben dem Jungen unter den Sitz, während Heike tapfer versuchte, nicht wieder in Tränen auszubrechen.
Das war gar nicht so einfach, denn die Erinnerung an frühere lustige Fahrten mit der Mutter schmerzte die Kinder.
»Wir wollten in den nächsten Tagen mit Mutti und Papi sowieso ins Olsenhaus«, meinte Kai und blickte aus dem Fenster. »Wäre Papi doch in Hamburg geblieben. Warum mußte er immer mit dem Auto herumrasen? Immer hatte Mutti Angst, wenn er so schnell fuhr.«
Heike schluckte krampfhaft, preßte den Papierbeutel an sich und flüsterte:
»Ob… ob Old Henry wirklich nicht da ist? Was denkst du, Kai? Sicher ist er mit dem Boot unterwegs. Das wäre gut, nicht? Ob er auch traurig ist, weil Mami nun tot ist? Wegen Papi ist’s ihm ja egal. Aber nun muß er sich einen neuen Offizier suchen für sein großes Schiff.«
Nun ja, daran hatte Kai jetzt nicht gedacht. Aber es stimmte, denn Vati arbeitete ja für Old Henry.
»Bestimmt ist er traurig, weil Mutti nicht mehr lebt, Heike. Aber nun komm, wir müssen aussteigen! Hier ist schon Lippoldsberg. Warte, ich helfe dir.«
Behutsam nahm Kai seine kleine Schwester bei der Hand. Um diese Zeit waren nicht viele Leute im Zug, und die wenigen blickten auch nur flüchtig auf die beiden Kinder, die da so allein mit dem kleinen Hund dem Zug entstiegen.
»Vorsichtig, Heike! Paß auf, Bimbo!«
Kai fühlte sich fast erwachsen. Er würde schon auf seine Schwester achtgeben, es sollte Heike nichts passieren. O nein! Sie beide würden einander nicht verlassen.
So zogen die Kinder ab, begleitet von Bimbo, der übermütig vor ihnen hersprang.
Es war ein weiter Weg bis zum Olsenhaus am Ufer der Weser. Sie mußten durch den kleinen schmucken Ort wandern, dann ein Stück durch Heidelandschaft und bestellte Kartoffelfelder, schließlich durch die Wald- und Buschlandschaft, die entlang der Weser die Klöster und einzelne alte Häuser umgab.
Eines dieser alten Häuser war das Olsenhaus. Sein verwilderter, parkartiger Garten führte bis ans Wasser, wo die Anlegestelle für Old Henrys Boot ins Schilfgras führte.
Stille umgab das Anwesen, das einen etwas heruntergekommenen Eindruck erweckte.
Aber das störte die Kinder nicht. Sie kannten das Haus, jeden Winkel der vielen Räume, die zum Teil niemals betreten wurden.
»Ob Lina in der Küche ist?«
Zaghaft blickte Heike zu Kai auf. Sie hätte es niemals eingestanden, aber Kai schien es ebenso zu ergehen, denn er seufzte und gab zurück: »Hoffentlich, denn ich bin schrecklich durstig, und Hunger hab’ ich auch.« Er grinste ein wenig, blickte in Heikes große Augen und fügte hinzu: »Na ja, wir haben doch am Mittag im Heim kaum was angerührt, und… und nun wird’s gleich dunkel.«
»Hm!« Heikes Schritte wurden immer langsamer. Sie strich um einen dicken Apfelbaum nahe vor der Haustür, zögerte nun und mußte erst wieder Kais Hand in ihrer spüren, sonst wäre sie am Ende noch davongelaufen.
»Du