Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Schluck Kaffee. Mintje hatte ihn besonders stark gemacht.
Er fühlte sich etwas wohler. »Sie kommen also gut zurecht?«, fragte er. Dr. Hagedorn nickte. Er hatte Appetit. Er holte nach, was er gestern versäumt hatte.
Harald schaute ihn sich genau an. Ein breites, flächiges Gesicht mit einer etwas kurz geratenen Nase, ein breiter Mund, der zum Lächeln aufgelegt war, mit kräftigen Zähnen. Die blauen Augen blickten freundlich und nicht kalt, wie es bei dieser Farbe leicht möglich war. Das blonde, schon etwas schüttere Haar ringelte sich über den Ohren.
Dr. Hagedorn war dreiunddreißig Jahre alt und hatte fünf Jahre Assistenzarztzeit hinter sich. Er wollte sich selbstständig machen, das wusste Harald von ihm, weil er sich gegen karrieresüchtige Kollegen nicht durchsetzen konnte. Nein, dazu war er zu gutmütig. Er war eigentlich der geborene Landarzt.
»Könnten Sie sich vorstellen, immer hier zu bleiben?«, fragte Harald beiläufig.
Dr. Hagedorns Kopf ruckte empor. Ein fast kindliches Staunen war in seinen Augen.
»Ja, das könnte ich mir wohl vorstellen«, erwiderte er rasch. »Aber für zwei Ärzte sind wohl doch nicht genügend Patienten da.«
»Nicht für zwei Ärzte. Ich werde eventuell von hier weggehen«, sagte Harald nun rasch, bevor er es sich wieder anders überlegte, denn vorderhand war Dr. Hagedorn der einzige Aspirant für seine Ablösung, und so schnell würde sich kein anderer finden. Sollte er sich sein Glück von Violet zerstören lassen? Waren elf Jahre nicht genug, in denen ihr böser Geist ihn verfolgt hatte?
Dr. Hagedorn vergaß das Essen. Er blickte Harald an. »Sie meinen das ernst, Herr Kollege?«, fragte er.
»Ja, natürlich.«
»Ich habe leider noch nicht das Geld beisammen, eine Praxis abzulösen«, sagte Dr. Hagedorn.
»Das spielt doch keine Rolle«, erklärte Harald. »Ich möchte mich vorerst Ihrer Bereitschaft versichern. Es ist so, dass ich Mintje mitnehmen werde. Auf sie könnten Sie dann nicht zählen.«
»Ich könnte meine Mutter zu mir nehmen, und meine Schwester. Sie hat ein asthmakrankes Kind. Die Ehe ist darüber zerbrochen. Für mich wäre es ein Gottesgeschenk, wenn Sie mich in die engere Wahl ziehen würden.«
»Engere Wahl!«, sagte Harald mit leichtem Spott. »Sie werden der einzige Bewerber sein. Stellen Sie sich das Leben hier nicht so einfach vor. Es wäre ungerecht, wenn ich es Ihnen in hellen Farben schildern würde. Man muss mit vielen Schwierigkeiten leben. Sie müssen erst einen Winter erlebt haben. Die langen Abende ohne Geselligkeit.«
»Es gibt ein paar sehr nette junge Leute hier«, erklärte Dr. Hagedorn zu seiner Überraschung. »Außerdem ein ganz reizendes Mädchen, wie ich nicht verheimlichen will. Gesine Petersen.«
Harald staunte. »Gesine? Ist sie denn schon erwachsen?«
»Haben Sie das noch nicht bemerkt? Sie ist neunzehn. Sie hat mir bei der Geburt der Zwillinge geholfen und sich sehr geschickt angestellt.«
Unwillkürlich musste Harald nun doch lächeln. »Deswegen hat die Geburt wohl so lange gedauert?«, fragte er scherzend. »Nun werden Sie nicht gleich verlegen. Ich kenne Gesine als kleines Mädchen. Da hatte sie mal Masern. Später war sie nie mehr krank und für mich ist sie ein Kind geblieben. Man sieht das wohl immer so, wenn sie so schnell heranwachsen, dass man es gar nicht mitbekommt. Und rückblickend weiß man dann, wie viel Jahre tatsächlich schon vergangen sind. Wenn Sie sogar eine Einheimische heiraten würden, hätten Sie natürlich einen guten Stand. Nun, dann kümmern Sie sich hübsch weiter um Ihre Patienten. Ich habe noch manches zu erledigen.«
»Ich kann es noch nicht glauben«, sagte Dr. Hagedorn.
»Fangen Sie damit an«, meinte Harald. »Ein paar Tage werden Sie wohl brauchen, um auch Ihre Angelegenheiten zu regeln. Es eilt nicht, ganz so schnell gehe ich doch nicht fort. Wir unterhalten uns noch darüber. Ich muss jetzt weg.«
Er ging zu Mintje in die Küche. »Also, Mintje, Dr. Hagedorn übernimmt die Praxis. Ich habe ihm gesagt, dass ich dich mitnehmen werde.«
»So, das haben Sie gesagt.«
»Willst du etwa nicht?«
»Gar so leicht wird es mir nicht«, brummte sie. »Man muss sich schließlich an den Gedanken gewöhnen, und ich weiß noch gar nicht, ob Julia mich haben will.«
»Sie wird dich wollen, und denk auch an Dodo. Hoffentlich sind das nicht bloß Zukunftsträume.«
Er dachte wenigstens wieder an die Zukunft. Mintje fühlte sich erleichtert und nahm schon mit jeder Minute, die verstrich, ein wenig Abschied. Dem Krischan würde es hart ankommen. Es bereitete ihr schon Kummer. Aber sonst? Mintje blickte hinaus auf das Meer. Ach, es wäre wohl ganz schön, auch noch etwas anderes zu sehen auf ihre alten Tage, und so alt war sie nun auch wieder nicht. Und dann Dodo! Ihr Gesicht verklärte sich. Sie sah sich schon wieder in einer anderen Küche, Hannibal zu ihren Füßen, an einem Knochen knabbernd, und Dodo auf der Eckbank. Eine Eckbank musste natürlich in dieser Küche stehen, damit das Kind bei ihr sitzen konnte. Obgleich sie am Herd stand, merkte sie nicht, wie die Milch anbrannte, und so was war ihr noch nie passiert.
»Verflixt«, sagte sie, aber tragisch nahm sie es nicht.
*
Harald kam gerade zurück. Seine Miene war düster. Es war unerfreulich, über Violet zu sprechen.
»Hat sie denn keine Angehörigen?«, fragte Mintje.
»Sie haben sich von ihr losgesagt, und ihr Mann hat die Scheidung eingereicht.«
»Sie ist verheiratet?«, fragte sie überrascht.
»Schon das dritte Mal. So hat sie es jedenfalls dem Arzt erzählt, der sie behandelt.«
»Warum dann das ganze Theater mit dir?«
»Hasskomplexe«, erwiderte Harald kurz. »Sie ist nicht mehr ganz normal.«
»Sie ist schon ziemlich unnormal«, sagte Mintje. »Wie lange wird man sie dort behalten?«
»Ein paar Monate.«
»Und dann wird sie wieder rückfällig«, vermutete sie.
»Dann wird sie mich wieder suchen«, erklärte Harald deprimiert. »Ich kann es Julia nicht zumuten.«
»Nun mach aber einen Punkt«, warf Mintje ein. »Du warst einmal mit Violet verlobt. Es liegt lange zurück. Was dann kam, ist doch nicht deine Schuld.«
»Es ist eine Last, und ich kann Julia damit nicht auch noch belasten.«
»Willst du die Entscheidung nicht ihr überlassen?«, fragte Mintje, sanft wie eine Mutter.
*
Hannibal bot ein Bild des Jammers, als Julia sich verabschieden musste. Blitzschnell war er in ihren Wagen gesprungen und selbst Dodo konnte ihn nicht bewegen, seinen Platz zu verlassen.
»Ich bleibe aber noch hier, Hannibal«, sagte sie. »Wir müssen noch ein bisschen Geduld haben.«
Es fiel ihr gewiss nicht leicht, so tapfer zu sein, und auch Julia zog es das Herz schmerzhaft zusammen.
»Es wird nicht mehr lange dauern, Dodo«, sagte sie zärtlich. »Nächstes Wochenende komme ich wieder.«
Als Hannibal nun merkte, dass Dodo nicht einstieg, bequemte er sich doch heraus. Aber er war der verkörperte Vorwurf, als Julia ihn ein letztes Mal streichelte.
Henrik sagte zu Nick, dass er sich alles viel schöner vorgestellt hätte. »Du ziehst auch einen Flunsch, wenn Mami wegfährt«, erklärte Nick nachsichtig. »Und sie bleibt immer nur ein paar Stunden weg.«
Er war geneigt, Dodo das meiste Verständnis entgegenzubringen und er benahm sich wie ein fürsorglicher, großer Bruder zu ihr. Es gelang ihm auch, ihr ein Lachen zu entlocken, als er ihr lustige Begebenheiten aus seiner Schulzeit erzählte.
Dodo war wirklich sehr tapfer. Sie zog sich diesmal