Mami Staffel 11 – Familienroman. Edna MeareЧитать онлайн книгу.
der Landesklinik schickte man ihn in die chirurgische Abteilung. »Ob Dr. Hoffmann noch Dienst hat«, rief ihm die Frau in der Pförtnerglocke nach, »weiß ich aber nicht!«
Er beachtete es nicht. Er mußte zu Astrid, sie zur Rede stellen und sie bitten, ihn anzuhören. Sie hatte doch immer darauf gedrängt, Annalenas Andenken hochzuhalten wie ein Heiligenbild. Sie hatte ihm sogar einmal voller Sorge erzählt, daß Claudia das Foto ihrer Mutter in der Schublade versteckte.
Er entdeckte Astrid im Ärztezimmer. Sie saß da mit zwei Kollegen und trank Kaffee aus Pappbechern. Als sie ihn sah, stellte sie den Pappbecher sofort ab und erhob sich.
»Ist etwas mit Claudia?«
Er sah sich flüchtig um. Dann packte er sie an ihrem weißen Kittelarm und zog sie einfach mit sich, bis in den Innenhof, von dem ein Durchgang in den Park führte.
»Fabian!« rief Astrid empört. »Was tun Sie denn? So reden Sie doch!«
Im Park ließ er sie los. Astrid holte Atem.
»Sind Sie verrückt geworden, Fabian?«
Er nickte. Es war ihm gleichgültig, was sie von ihm hielt. Hier, von Angesicht zu Angesicht mit ihr, quoll es aus ihm heraus.
»Heute morgen bat mich ein gewisser Wolfgang Bosch telefonisch um ein Gespräch. Ich habe mich mit ihm in der Kantine der Philharmonie getroffen. Wissen Sie, was dieser Mann von mir wollte?«
Astrid schüttelte den Kopf.
»Haben Sie den Namen nie gehört?«
»Nein!« entgegnete sie ungeduldig.
»Claudia hat ihn nie erwähnt?«
»Nein!«
»Nun gut, dieser Mann war monatelang der Liebhaber meiner Frau.«
Er beobachtete die Wirkung seiner Worte. Astrids Lippen öffnete sich, um einen langen Atem freizulassen. Das war alles.
»Haben Sie nichts dazu zu sagen?« fuhr er sie an.
»Es tut mir leid. Ja, es tut mir für Sie leid, Fabian. Aber vielleicht stimmt es gar nicht. Ihre Frau…«
»Meine Frau hat mich nicht mehr geliebt. Genausowenig wie ich sie. Wir waren uns schon lange fremd geworden. Er hat mir einen Brief von ihr gezeigt und mir die Augen geöffnet. Ja, Annalena war damals verzweifelt, weil sie von meiner Affäre mit Bella Crusius erfahren hatte. Wochen später hat sie sich ihm hingegeben und sich von da an mehrmals wöchentlich mit ihm getroffen. Was sagen Sie nun?«
»Annalena lebt nicht mehr, Fabian. Lassen Sie sie in Frieden ruhen.«
»Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein? Fragen Sie sich nicht, wie es um meinen Seelenfrieden steht? Seit fast einem Jahr klammere ich mich an die Vorstellung, mit Annalena eine glückliche Ehe geführt zu haben.«
»Das stimmt doch nicht, wenn diese Bella…«
»Natürlich stimmt es nicht. Aber sollte ich Claudia, meinem armen mutterlosen Kind eingestehen, was für ein jämmerlicher Versager ich war? Sollte ich ihr sagen, du mußt jetzt ohne deine Mutter leben und mit mir, dem untreuen Mann deiner Mutter vorliebnehmen? Ich habe deine Mutter betrogen und belogen, aber du sollst sie als meine geliebte und liebende Ehefrau in Erinnerung behalten?«
Sein fordernder, durchdringender Blick stürzte Astrid in Verwirrung. Sie begann die Knöpfe ihres Kittels zu öffnen. Seit einer halben Stunde war ihr Dienst zu Ende.
In ihrem schlichten Sommerkleid wirkte sie hier im Park wie andere Besucher. Es fiel nicht so auf, wenn dieser Mann wie ein Wildgewordener auf sie einredete.
»Sie haben nichts Falsches getan, Fabian. Claudia weiß ja nichts von dem Liebhaber ihrer Mutter. Ihre Trauer um Ihre geliebte Ehefrau hat ihr gewiß ein wenig geholfen, über den Schmerz hinwegzukommen. Und außerdem…, der Kummer über den Verlust Annalenas hat Sie mit Ihrer Tochter verbunden. Claudia lernte Sie allmählich als liebenden Vater kennen. Ich weiß es doch. Als wir uns das letzte Mal sahen, erzählte sie mir begeistert von dem Urlaub mit Ihnen.«
»Da wußte ich ja auch noch nicht, was Annalena mir angetan hat. Sie wollte mich verlassen und mit Claudia zu Wolfgang Bosch in das Sommerhaus seiner Familie am Gardasee. Kapieren Sie doch! Sie wollte mit Claudia fort von mir!«
»Aber davon weiß Claudia doch nichts. Und dazu kam es nicht mehr, Fabian. Der Unfall machte allen diesen Plänen ein Ende.«
»So? So sehen Sie das?«
»Ja, denn es hat auch Claudia einen furchtbaren Zwiespalt erspart. Sie wußte wirklich nichts von den Plänen ihrer Mutter?«
Er überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Wolfgang Bosch meint, Annalena habe bis zuletzt – auch Claudia gegenüber – über ihr Vorhaben geschwiegen.«
»Das ist verständlich. Weil Claudia sich Ihnen anvertraut und alles verraten hätte.«
Er fuhr sich durchs Haar. Astrids Blick ruhte auf ihm. Sie seufzte. »Sie haben Ihre Frau in den Himmel gehoben, Fabian. Mehr noch, Sie haben von ihr wie von einem Heiligen gesprochen, ja von ihr geschwärmt wie ein verliebter Jüngling. Das ist Ihnen perfekt gelungen. Daß Sie diesen Selbstbetrug brauchten, um allmählich zu Ihrer Verantwortung als Vater zurückzufinden, wußte ich nicht.«
Da lächelte er wehmütig. »Sie denken schon wieder viel zu gut von mir, Astrid. Ich wollte mich mit diesem Selbstbetrug auch schützen. Vor den Frauen, die mich mehr oder weniger deutlich bedrängten und mir einredeten, ich brauche eine neue Mutter für Claudia.«
»Ich habe Sie nicht bedrängt!« entgegnete sie prompt, weil sie sich angesprochen fühlte.
»Nein, das haben Sie wirklich nicht. Leider nicht, Astrid. Sonst hätten wir uns beide nicht so gequält.«
Langsam wandten sie sich dem Torbogen zu, der in den Innenhof führte. Beide schwiegen. Astrid hörte ihr Herz laut hämmern. Fabian so nah zu wissen und doch zu ahnen, daß das Glück dieses flüchtigen Moments zu spät kam, war kaum zu ertragen.
Seit drei Tagen lag der Vertrag aus Hannover auf ihrem Tisch. Nur weil sie diese Woche täglich Dienst hatte, war er noch nicht unterschrieben. Ob Claudia ihrem Vater nichts von ihren beruflichen Plänen erzählt hatte? Warum fragte er sie nicht danach?
»Glauben Sie, Claudia freut sich über Reitstiefel zum Geburtstag?« fragte er da unvermittelt.
Das brachte sie in die Gegenwart zurück. Sie nickte.
»Ich habe ihr ja vor Monaten selbst geraten, Reitunterricht zu nehmen. Oder zwingen Sie sie wieder ans Klavier?«
»So, Sie waren das.«
»Ja, das war ich. Aber wenn Sie ihr die Stiefel schenken, muß ich mir etwas anderes ausdenken. Claudia hat ja nicht vier Beine.« Sie seufzte komisch. »Ich werde ihr ein Souvenir schicken, damit sie mich nicht ganz vergißt. Vielleicht eine Friedenspfeife?« fügte sie mit leiser Ironie hinzu.
»Friedenspfeife? Was soll das denn? Claudia ist ein Mädchen, die spielt nicht Indianer. Haben Sie das vergessen?«
»Natürlich nicht. Aber ich habe auch nicht vergessen, wie sie mich vor Wochen fortschickte. Sie jagte mich nahezu davon.«
»Ich weiß. Es tut ihr bestimmt schon leid.«
»Das glaube ich nicht. Sie wird ihre Unverschämtheit auf den Brief schieben, der sie so erzürnte.«
Er lachte leise. »Ja, das war ein frecher Brief von einem Jungen aus der Schule. Claudia weiß eben noch nicht, wie man mit aufdringlichen Burschen umgeht.«
Sie hatten den Innenhof durchquert, so daß er ihr jetzt die Tür zum Krankenhausgebäude aufhielt. Sie führte in einige Räume, die nur fürs Personal zugänglich waren.
»Bitte, sagen Sie mir, was inzwischen mit Ihnen geschehen ist, Astrid.« Er stellte sich ihr in den Weg.
Eingeklemmt zwischen seine Arme, die die Tür offenhielt, erzählte sie ihm von dem Tag, an