APEX. Ramez NaamЧитать онлайн книгу.
und U-Bahn-Zügen, während Dreckwasser über ihren Köpfen aufstieg.
Li-Hua erschauderte.
Sogar Überwachungssysteme waren ausgefallen. Rot leuchtende Beobachtungsdrohnen mit ihren Quadrokopter-Tragwerken hörten einfach auf zu fliegen, fielen vom Himmel und zerschmetterten auf den Straßen wie kaputtes Spielzeug.
Wie das die Verantwortlichen in Schrecken versetzt haben musste!
Es kam zu Aufständen. Soldaten hatten Leute erschossen. Schanghai befand sich am Rande des Wahnsinns in diesen ersten paar Tagen, bevor die Ordnung wiederhergestellt worden war.
Sie nannten es »kaskadierende Systemausfälle«, einen »schlampigen westlichen Kodex«. Irgendein stellvertretender Junior Assistent eines Ministerialberaters wurde für Nachlässigkeit im Umgang mit Verwaltungssystemen verhaftet.
Und doch gab es sie. Und sie waren dabei, die am höchsten entwickelte elektronische Entität, die es auf diesem Planeten gab, zu deaktivieren.
Und was war mit der Politik, was war mit Peking?
Nun, das Politbüro hatte einen ziemlich beeindruckenden Wechsel in seiner Zusammensetzung erfahren.
Gab es da einen Zusammenhang zwischen all diesen Begebenheiten? Oh nein … natürlich nicht.
Ein dröhnender Bass erklang, um die Ankunft des Riesenaufzuges anzukündigen. Das Schleifgeräusch hielt inne. Und dann schoben sich massive Türen auf, die Chen und dieses äußerst merkwürdige Kind zum Vorschein brachten, das sonderbar zu ihr hinauflächelte. Warum hatte er sie hierher mitgebracht?
»Verehrter Professor«, fing Li-Hua an.
»Li-Hua«, sagte Chen. »Vervollständigen Sie die Datensicherungen und initiieren Sie den Shutdown. Ich erwarte Ihren Bericht.« Chen ging auf die Wärter zu, seine seltsame Tochter im Schlepptau, und ließ sich scannen.
Chen würde also gar nicht teilnehmen? War es etwa zu viel für ihn, mit anzusehen, wie seine goldene Gans geschlachtet wurde? Umso besser.
»Dann folgen Sie mir«, sagte Li-Hua zu dem Team, das hinter ihr stand. Sie betrat den Aufzug. Die Wächter hatten sie bereits gecheckt und sichergestellt, dass sie keine elektronischen Geräte bei sich hatten.
Die einzigen Daten, die diesen Raum heute verlassen würden, waren die in Li-Huas Ausrüstungskoffer in einem der drei Speicherauszüge von Shus Gehirn, die an sichere Standorte zur sicheren Verwahrung gesendet wurden.
Sie gab dem Team einige letzte Anweisungen, während der riesige Aufzug den kilometerlangen Schacht hinunterstieg. Die Sicherheitskopie eines Quantencomputers zu erstellen war ein heikles Unterfangen. Der Kein-Klonungs-Lehrsatz legte eigentlich fest, dass es technisch unmöglich sei. Keine Quantenbeschaffenheit konnte präzise geklont werden. Sie würden lediglich eine ungefähre Aufzeichnung machen können. Und um dies zu erreichen, würden sie Funktionen kollabieren lassen müssen. Sie würden Qubits, die in eine unbestimmte mathematische Zwischenstufe von Einsen und Nullen aufgehoben worden waren, zwingen müssen, sich zu entscheiden, entweder die eine oder die andere bestimmte Position anzunehmen.
Für Su-Yong Shu würde dies einen Tod der Möglichkeiten bedeuten, das Ende ihres Bewusstseins.
Selbst wenn eine Annäherung an ihren Wesenszustand in einer Speicherform niedergeschrieben worden war, die es erlauben würde, sie eines Tages – annähernd – wieder auferstehen zu lassen.
Dennoch mussten sie enorm vorsichtig sein. Ein kleiner Fehler könnte eine katastrophale Kaskade von Dekohärenzen auslösen und die Spannungskurven zu frühzeitig einbrechen lassen, was eine Lawine in ihrem simulierten Geist auslösen würde, die alle Informationen vernichten würde, bevor sie sie erfassen konnten. Li-Hua würde das nicht zulassen. Ebenso wenig würde ihr Team das tun. Sie würden es richtig machen – um ihretwillen, wenn nicht für Chen.
Dies war ihre Domäne. In der Außenwelt war sie niemand Besonderes. Sie war nicht reich. Sie war nicht berühmt. Sie stammte aus keiner bedeutenden Familie. (Natürlich standen diese drei Merkmale in unmittelbarem Zusammenhang miteinander, nicht wahr? Hmmm.)
Aber sie war extrem intelligent. Sie war ihren Untergeordneten gegenüber immer fair. Und sie arbeitete hart – viel härter als der weltberühmte Ehrenprofessor Chen. Vor ihm war das Team vielleicht voller Respekt, mochte ihn vielleicht verehren, mochte um seine Gunst betteln. Aber ihr gegenüber waren sie loyal. Es würde etwas traurig werden, das Team zurückzulassen.
Der Aufzugston erklang bei seiner Ankunft im Erdgeschoss. Seine wandhohen, metallenen Türen öffneten sich. Einen Moment später schoben sich die meterdicken sandgestrahlten Tore des Physikalisch Isolierten Computercenters auf.
Der Zeitpunkt für Li-Hua war gekommen, ihr Team dabei anzuführen, Su-Yong Shu zu töten.
Sie nahm ihren Sitz an der Zentralkonsole ein, während sich die anderen auf ihre jeweiligen Aufgabengebiete aufteilten.
Zuerst ließ sie die Systemdiagnose laufen. Su-Yong Shu sah außergewöhnlich gut aus heute. Es war eine höhere Nervenkohärenz zu beobachten, als sie in den letzten Monaten je gesehen hatten. Hatte Chen etwas damit zu tun? Hatte er einen allerletzten Versuch gestartet, seine Frau vom Abgrund zurückzuhalten?
Li-Hua schüttelte den Kopf. Nun machte es auch keinen Unterschied mehr. Was auch immer er versucht hatte, würde in den Protokolldateien zu sehen sein, die sie als Snapshots in Shus Gehirn verankert hatten.
Sie stellte den Ausrüstungskoffer neben sich und öffnete ihn. In dem Koffer befand sich ein versiegelter elektronischer Schlüssel, der die Datenausgabesysteme des Quantenclusters aktivieren würde. Daneben lagen vier perfekt geschnittene, diamantartige Datenwürfel, jeder einzeln eingebettet in gesonderte Behälter. Jeder einzelne von nahezu der Größe ihrer Faust, jeder einzelne ein Wunderwerk, geschaffen aus hochpräzisen, vielschichtigen Carbonablagerungen – ihre Strukturen waren makelloser als jeder Diamant, der jemals in der Natur vorgefunden worden war – und sie waren imstande, hunderte von Zettabytes an Daten, holografisch mit Laser eingeätzt, aufzubewahren.
Drei davon waren für die drei Kopien, die von Shus Geist gemacht werden würden. Der vierte war pure Redundanz, für den Fall, dass ein Problem mit einem der ersten drei auftreten würde.
Li-Hua zog den Schlüssel aus dem Etui, brach das Siegel mit ihrem Finger auf und ließ ihn in den passenden Schlitz in der Konsole gleiten. Vor ihrem Auge erschien die blutrote Kugel eines Netzhautscanners und sie hielt still, während der rote Laserstrahl seine Runden quer über ihren Augapfel machte. Einen Moment später erschienen Statusmeldungen auf dem Bildschirm:
BENUTZERZUGRIFF GEWÄHRT.
DATENAUSGABESYSTEM AKTIVIERT.
AUSGABEMEDIEN WERDEN GELADEN.
Li-Hua ließ ihre Finger über die Paneele der Hauptkonsole gleiten, woraufhin sich drei Fächer öffneten, um die diamantartigen Datenwürfel in sich aufzunehmen. Sie griff erneut in ihren Ausrüstungskoffer und holte den ersten Datenwürfel aus seinem Behälter hervor, um ihn in das Konsolenfach einzusetzen. Mit dem zweiten tat sie das Gleiche. Dann rieb sie für einen Moment lang mit dem Finger eine Stelle hinter ihrem Ohr, griff in dem Behälter nach dem dritten Würfel und wischte mit diesem Finger quer über die Vorderseite des Würfels, was einen nahezu transparenten Fleck auf der diamantoiden Oberfläche hinterließ.
Zumindest schien er für das Spektrum des menschlichen Auges transparent.
Li-Hua nahm den beschmutzten dritten Würfel, platzierte ihn in seinem Fach am Rand der Konsole und gab ihre Befehle ein.
DATEN I/ O TEST
DATENSPEICHER 1 … OK
DATENSPEICHER 2 … OK
DATENSPEICHER 3 …
DATENSPEICHER 3 …
DATENSPEICHER 3 … ERROR KANN NICHT BESCHRIEBEN WERDEN
Li-Hua runzelte die Stirn. »Jingguo«, sagte sie laut. »Können Sie mal einen Moment herkommen?«
Sie