Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
aber heute geht’s nicht. Ich hab meiner Mutter versprochen, mit ihr zum Einkaufen zu fahren.«
Augenblicklich zog Carina eine Schnute.
»Ach, komm schon, das könnt ihr doch auch noch eine Stunde später machen. Außerdem hab ich gesehen, dass du ab morgen Früh- und ich Spätdienst hab. Ich komme früher zum Dienst, damit du eher gehen kannst«, bot sie in ihrer Verzweiflung an.
Tamaras Augen wurden schmal vor Argwohn. Was führte Carina im Schilde, das so wichtig war, dass sie freiwillig Überstunden schob?
»Bist du sicher?«
»Klar!« Die junge Lernschwester strahlte ihre Kollegin an, und die Sommersprossen leuchteten dabei so lustig auf ihrer Stupsnase, dass Tamara diesem verlockenden Angebot nicht länger widerstehen konnte.
»Also gut! Aber sag ja nichts Frau Dr. Norden. Sonst bekommen wir beide Ärger«, warnte sie ihre junge Kollegin noch.
Carina versprach es hoch und heilig, umarmte Tamara so stürmisch, dass der fast die Luft wegblieb, und machte sich auf den Weg.
»Mist, ist das kalt!«, schimpfte sie wenig später, als sie vom Fahrrad stieg und es gegen einen Gartenzaun unweit von Janni Nordens Schule lehnte. Während sie auf der Straße auf und ab ging und auf das Ende des Unterrichts wartete, blies sie in die Hände, die vom kalten Fahrtwind steif und unbeweglich geworden waren. »Ich hätte doch Handschuhe und nicht nur die Mütze mitnehmen sollen.« Während sie den Eingang der Schule nicht aus den Augen ließ, zupfte sie an der weißen Pudelmütze, unter der ihre krausen Haare frech hervor sprangen. Endlich ertönte der ersehnte Gong, und bald darauf strömten Unmengen an Schülern aus dem Gebäude. Hilflos flog Carinas Blick hin und her, und als sie sich schon fragte, ob Jan Norden nicht noch länger Unterricht hatte, tauchte er endlich im Gedränge auf. »Na endlich. Der trödelt ja noch schlimmer als ich früher«, murmelte sie und platzierte sich am Treppenabsatz.
Janni war umringt von einer Gruppe Mitschülern, die eifrig miteinander redeten und diskutierten. Als er die junge Lernschwester an der Treppe bemerkte, stutzte er. Er beugte sich zu dem jungen Mann neben sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Gleich darauf sah Jannis Freund ebenfalls zu Carina hinüber. Lachend stieß er den Arztsohn in die Seite. Der machte eine abwehrende Handbewegung und schnitt eine Grimasse, ehe er sich verabschiedete und auf Carina zukam.
»Bin ich dir peinlich, oder was?«, ließ sie durchklingen, dass sie Zeugin der kleinen Szene geworden war.
»Na ja, ehrlich gesagt bist du mir schon ein bisschen zu alt«, erwiderte er und schnitt eine Grimasse. »Außerdem bist du hinter meinem Onkel her.« Seite an Seite wanderten sie den Weg hinunter.
»Stimmt auffallend. Deshalb bin ich hier«, machte Carina kein Geheimnis aus ihrem Vorhaben. »Du schuldest mir noch was«, erinnerte sie den Arztsohn an sein Versprechen.
Und auch Jan wusste, worauf die Lernschwester hinaus wollte. Vor ein paar Wochen hatte er sie in der Klinik umgerannt, frisch sterilisierte Gerätschaften waren über den Boden geschlittert. Als Wiedergutmachung hatte er Carina einen Gefallen versprochen, den sie jetzt offenbar einlösen wollte. Dabei hatte er so sehr darauf gehofft, seinem Schicksal zu entgehen.
»Ich mach aber nichts, wofür ich Ärger bekomme«, warnte er sie im Vorfeld und betrachtete mit großen Augen das lila Fahrrad, vor dem Carina stehen geblieben war. »Ist das deins?«, fragte er ungläubig und konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen.
»Was dagegen?«, fragte die Lernschwester gereizt zurück.
»Es ist ein bisschen …«, Janni suchte nach einem passenden Wort für das sehr mädchenhafte Gefährt, das er Carina nicht zugetraut hatte, »kindisch.«
»Schon mal was von Toleranz gehört?« Ihrem Tonfall war anzuhören, dass sie ihm am liebsten noch ganz andere Sachen an den Kopf geworfen hätte.
Da sie aber auf Janni angewiesen war, musste sie sich zusammenreißen.
»Hör mal, wir werden uns jetzt nicht wegen meines Fahrrads streiten«, sagte Carina versöhnlich und wollte sich bei ihm unterhaken.
Doch der junge Mann erkannte ihr Vorhaben und trat vorsorglich einen Schritt zur Seite, sodass Carinas Arm ins Leere fiel.
»Dann sag, was du von mir willst«, verlangte er energisch, ehe sie wieder schimpfen konnte.
Eine eisige Böe zerrte an Kleidern und Haaren, und unwillkürlich zog Carina den Kopf ein.
»Es ist ganz einfach«, erklärte sie schnell, um nicht länger als unbedingt nötig in der Kälte stehen zu müssen. »Sag deinem Onkel, dass du dich nächste Woche Mittwoch um 18 Uhr mit ihm in diesem Café treffen willst. Mehr nicht. Alles andere kannst du mir überlassen.« Sie zog einen Zettel hervor, auf dem sie einen Namen und eine Adresse notiert hatte.
Janni nahm den Zettel und warf einen Blick darauf.
»Bäckerei Bärwald?« Um ein Haar hätte er laut heraus geprustet. Es kostete ihn einige Mühe, ernst zu bleiben.
Aber Carina war ohnehin so aufgeregt, dass sie nichts bemerkte.
»Das ist eine Bäckerei mit Café. Dort wird gerade umgebaut, und sie haben momentan nur ein paar Tische.«
»Warum soll ich mich ausgerechnet da mit Mario treffen?«, stellte Jan eine berechtigte Frage. Offenbar hatte die junge Schwester keine Ahnung, in welcher Beziehung die Geschäftsführerin Tatjana zur Familie Norden stand. Und Janni hütete sich, Carina darüber aufzuklären. »Wenn sie umbauen, ist das ja sicher alles andere als gemütlich.«
»Erstens wirst nicht du, sondern ich hingehen. Und zweitens ist es gut, dass es nicht gemütlich ist, weil Mario und ich dann so gut wie allein sein werden. Ich muss nämlich in Ruhe mit ihm reden.«
»Und warum tust du das nicht in der Klinik?« Allmählich begann auch der Arztsohn zu frieren. Während er Carina forschend musterte, steckte er die Hände tief in die Hosentaschen und wippte auf den Fußsohlen vor und zurück. »Da siehst du ihn doch jeden Tag.«
»Weil er nicht mehr mit mir reden will, du Held!«, fauchte Carina ungeduldig. »Deshalb brauche ich dich. Denk dir irgendwas aus, warum du ihn dort treffen musst.«
»Nichts leichter als das«, entfuhr es Janni. Jetzt musste er doch grinsen. Doch er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als Carina die Wahrheit zu sagen. »Dann also nächsten Mittwoch um sechs Uhr abends.« Er zerknüllte den Zettel, zielte und warf ihn in den Abfalleimer, der neben Carinas Fahrrad an einem Laternenpfahl angebracht war.
Entgeistert sah sie ihm dabei zu.
»Weißt du die Adresse auswendig?«, fragte sie argwöhnisch.
»Das lass mal meine Sorge sein«, erwiderte er diplomatisch, zwinkerte ihr verschwörerisch zu und drehte sich um, um endlich den Heimweg anzutreten.
Er fühlte Carinas Blicke im Rücken und freute sich schon jetzt diebisch auf diesen Spaß. Denn dass er heimlicher Beobachter dieser Szene sein würde, das war schon jetzt sonnenklar.
*
»Afrika, Wiege der Menschheit!«, seufzte Roman Kürschner, als er wieder afrikanischen Boden betrat.
Zuletzt war er mit Jenny hier gewesen. Es war ihre erste und bislang einzige gemeinsame Reise gewesen, und er erinnerte sich lebhaft an ihre vor Glück und Liebe strahlenden Augen, als er ihr diesen Sehnsuchtsort gezeigt hatte. Seither waren nur ein paar Jahre vergangen. Und doch fühlten sie sich an wie ein ganzes Leben.
Er trat aus dem Flughafen und lauschte auf das Gewirr fremder Stimmen in einer Sprache, die er nur bruchstückhaft verstand, hörte das Lachen und Diskutieren der Menschen. Seine Augen wanderten die palmengesäumten, staubigen Straßen hinunter. Tief sog er die fremdartigen, aromatischen Gerüche ein. Als er zwei Männer bemerkte, die lauthals miteinander stritten, musste er wieder an Jenny denken.
»Wiege der Menschheit?«, hatte sie damals ungläubig gefragt. »In diesem Fall könnte man etwas mehr Würde von den Bewohnern erwarten.«
Jahrelang hatte Roman