Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max WeberЧитать онлайн книгу.
in Schmollers Jahrbuch, 21. Jg. (1897), S. 767 ff.
73 Inwieweit diese Ansicht methodisch zutrifft, fragen wir an dieser Stelle nicht.
74 § 11: »Selbst der bloß rechnende Verstand muß erkennen, daß unzählige Anstalten ... für jeden Einzelnen ... notwendig sind, ohne Gemeinsinn aber ganz unmöglich bleiben, weil kein Einzelner die dazu erforderlichen Opfer übernehmen könnte.« – Ganz ähnlich: Gesch. d. Nationalökonomik, S. 1034, wo die für die Pseudo-Ethik, welcher der Historismus zu verfallen droht, recht charakteristische Bemerkung eingeflossen ist: »Der verständige Eigennutz trifft in seinen Forderungen immer näher mit denen des Gewissens zusammen, je größer der Kreis ist, um dessen Nutzen es sich handelt, und je weiter dabei in die Zukunft geblickt wird.«
75 Roscher zitiert hierzu (§ 11 Note 6) die Ausführungen Kants in dessen Anthropologie über die Beschränkung der Neigung zum Wohlleben durch die Tugend. Später ist ihm der »Gemeinsinn« Emanation einer objektiven sozialen Macht geworden, – er betont in den späteren Auflagen, daß er unter Gemeinsinn wesentlich dasselbe verstehe, was Schmoller »Sitte« nenne. Hiergegen wandte sich, wie wir sehen werden, Knies in der zweiten Auflage seines Hauptwerkes.
76 Das Problem bestand für die klassische Theorie deshalb nicht, weil sie von der Annahme ausging, daß auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens nur ein konstantes und einfaches Motiv wissenschaftlich in Betracht zu ziehen sei: der »Eigennutz«, welcher sich auf dem Boden der Verkehrswirtschaft in dem Streben nach dem Maximum privatwirtschaftlichen Gewinns äußere. Für sie bedeutet die ausschließliche Berücksichtigung dieses Triebes keineswegs eine Abstraktion.
77 Bekanntlich ist auch dieses Prinzip selbst von Rau nicht konsequent durchgeführt worden. Rau begnügte sich damit, das vorwaltende Wirken des Eigennutzes als eines »unwiderstehlichen Naturtriebes« als das Normale zugrunde zu legen, dem gegenüber andere »übersinnliche« und »erhabene« Motive jedenfalls nicht als Grundlage für die Aufstellung von »Gesetzen« in Betracht kommen könnten, – weil sie irrational sind. Daß aber die Aufstellung von Gesetzen der einzig mögliche wissenschaftliche Zweck sei, verstand sich von selbst.
78 Für die »prähistorische« nationalökonomische Theorie war eben der Mensch nicht das abstrakte Wirtschaftssubjekt der heutigen Theorie, sondern auch für die Nationalökonomie der abstrakte Staatsbürger der rationalistischen Staatslehre, wie dies charakteristisch bei Rau (Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, § 4) hervortritt: »Der Staat besteht ... aus einer Anzahl von Menschen, welche in gesetzlicher Ordnung beisammen leben. Sie heißen Staatsbürger, sofern sie ... gewisse Rechte genießen; ihre Gesamtheit ist das Volk, die Nation im staatswissenschaftlichen Sinne des Wortes.« Davon verschieden ist nach Rau der Begriff: Volk »im historisch-genealogischen Sinne in bezug auf Abstammung und Absonderung«. (Vgl. dazu Knies, 1. Aufl. S. 28)
79 Eine eingehendere Untersuchung würde ergeben, daß diese Scheidung auf ganz bestimmte puritanische Vorstellungen zurückgeht, die für die »Genesis des kapitalistischen Geistes« von sehr großer Bedeutung gewesen sind.
80 Diese Identifikation bezog sich bei A. Smith – im Gegensatz zu Mandeville und Helvetius – bekanntlich nicht auf die Herrschaft des Eigennutzes im Privatleben.
81 System, Band I § 11 (2. Aufl. S. 17).
82 Eigentümliche Anklänge an diese finden sich vielleicht schon in Mammons Rede an die gefallenen Engel in Miltons Verlorenem Paradiese, wie denn die ganze Ansicht eine Art Umstülpung puritanischer Denkweise ist.
83 Roscher lehnt (Geistl. Gedanken S. 33) die Zumutung, in der Geschichte und den äußeren Vorgängen des Menschenlebens etwas einer Theodizee Aehnliches sehen zu sollen, ebenso wie die Schillersche Formel von der »Weltgeschichte« als dem »Weltgericht«, mit einer einfachen Klarheit ab, die manchem modernen Evolutionisten zu wünschen wäre. Sein religiöser Glaube machte ihm überhaupt das Leitmotiv des »Fortschritts«, dem bekanntlich auch Ranke – ebensosehr als nüchterner Forscher wie als religiöse Natur – innerlich kühl gegenüberstand, entbehrlich: Der »Fortschritts«-Gedanke stellt sich eben erst dann als notwendig ein, wenn das Bedürfnis entsteht, dem religiös entleerten Ablauf des Menschheitsschicksals einen diesseitigen und dennoch objektiven »Sinn« zu verleihen.
84 System, Band I § 13. – Aehnliche Ausführungen hatte Roscher schon im »Thukydides« gemacht (S. 201), wo er die ganz allgemeine Behauptung aufstellt, daß jede gelungene historische Erklärung sich im Kreise herumdrehe, und diese Eigentümlichkeit des diskursiven Erkennens aus der Koordination der realen Objekte, mit denen es die Erfahrungswissenschaften zu tun haben, gegenüber der Subordination der Begriffe in der (Hegelschen) Philosophie entwickelt. – Der Gegensatz zwischen Geschichte und (toter) Natur fehlt jedoch dort noch und ist auch hier von Roscher wenig klar entwickelt. Er beruft sich (§ 13 a.a.O., 2. Aufl. S. 21) darauf, daß z.B. der Wind sich rein als Ursache der Drehung der Mühlenflügel auffassen ließe, ohne daß gleichzeitig eine umgekehrte Kausalbeziehung (Mühlenflügel als Ursache des Windes?) bestehe. Die Unbrauchbarkeit eines so unpräzis formulierten Beispiels liegt auf der Hand. Es liegt in unklarer Weise etwas Aehnliches zugrunde, wie die nach dem Vorgang Diltheys (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1894, 2, S. 1313 unten u. öfter) und anderer auch von Gottl a.a.O. vertretene Anschauung von dem grundsätzlichen, »nicht nur logischen, sondern ontologischen« Gegensatz des erlebten »Allzusammenhangs« der (menschlich)-psychischen Objekte des Erkennens gegenüber der »zerfällend« erklärbaren toten Natur, – wobei aber von Gottl für die Objekte der Biologie die Notwendigkeit der Uebernahme anthropomorpher Begriffe als durch die Natur des Objektes gegebene Besonderheit eingeräumt wird, während Roscher umgekehrt biologische Begriffe auf das Sozialleben zu übertragen glaubt. Es führte hier zu weit und steht mir nicht zu, jene Anschauung eingehend zu kritisieren, daher sei nur bemerkt, daß »Wechselwirkung« und »Allzusammenhang« in genau dem gleichen Sinn und in ganz genau dem gleichen Grade wie auf dem Gebiet des inneren Erlebens uns auf dem Gebiet der toten Natur (diesen Gegensatz als solchen einmal hingenommen) entgegentreten, sobald wir eine individuelle Erscheinung in ihrer vollen konkreten intensiven Unendlichkeit zu erkennen uns bestreben, und daß eine genauere Besinnung uns den »anthropomorphen« Einschlag in allen Sphären der Naturbetrachtung zeigt.
85 Das ist das charakteristische Merkmal des erkenntnistheoretischen Standpunkts derjenigen »organischen« Gesellschaftsauffassung, welche den Hegelschen Standpunkt ablehnt. – Daß in Wahrheit, da wir auf dem Gebiete der Gesellschaftswissenschaften in der glücklichen Lage seien, in das Innere der »kleinsten Teile«, aus denen die Gesellschaft sich zusammensetzt und welche alle Fäden ihrer Beziehungen durchlaufen müssen, hineinzublicken, die Sache umgekehrt liege, hat schon Menger und haben nachher viele andere eingewendet. –
Es ist bezeichnend, daß Gierke, der in seiner Berliner Rektoratsrede über »Das Wesen der menschlichen Verbände« (1902) noch einmal eine Lanze für die »organische Staatslehre« gebrochen hat, erkenntnistheoretisch auf dem gleichen Standpunkt wie Roscher steht. Er hält das Wesen seiner Gesamtpersönlichkeit für ein »Geheimnis«, welches nach seiner Ansicht offenbar wissenschaftlich nicht etwa nur vorläufig, sondern definitiv und notwendig »unentschleiert« bleiben muß (S. 23), d.h. also lediglich einer metaphysischen Deutung (durch »Phantasie« und »Glaube«, wie G. sagt) zugänglich ist. Daß Gierke – dessen Ausführungen sich wohl wesentlich gegen Jellineks m. E. abschließende Kritik richten – an der »überindividuellen Lebenseinheit« der Gemeinschaften festhält, ist verständlich: die Idee hat ihm (und damit der Wissenschaft) heuristisch die allerbedeutendsten Dienste geleistet, – allein wenn G. den Inhalt einer sittlichen Idee oder (S. 22 a.a.O.) sogar den Inhalt patriotischer Empfindungen als Entität (s.v.v.!) vor sich sehen muß, um an die Macht und Bedeutung jener Gefühle glauben zu können, so ist das doch befremdlich, und wenn er umgekehrt aus der sittlichen Bedeutung jener Gefühle auf die reale Existenz seiner Gemeinschaftspersönlichkeit schließt, also Gefühlsinhalte hypostasiert, so würden dagegen