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Ardistan und Dschinnistan. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Ardistan und Dschinnistan - Karl May


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wird, wird man Dich nie zu den Menschen rechnen können! Das ist es doch, was der Dschirbani meint?«

      Der Sahahr schaute den Hadschi mißtrauisch von der Seite her an. Er wußte nicht, ob er die Worte des Kleinen als scherzhaft, als ernst oder gar als beleidigend betrachten solle. Darum gab er lieber keine Antwort und fuhr in seinem vorigen Thema fort:

      »Der Dschirbani ist also körperlich und geistig ansteckend. Das ist aber nicht alles. Es kommt noch hinzu, daß er so schwer festzuhalten ist. Er hat schon alle Arten des Gefängnisses durchgemacht, doch gelang es ihm stets,, zu entkommen. Darum haben wir ihn nun endlich an den Ort gebracht, von wo aus eine Flucht völlig ausgeschlossen ist. Er steckt im Stachelzwinger und wird von Bärenhunden bewacht, die bei jedem Fluchtversuche ihn oder den, der ihn befreien wollte, sofort in Stücke reißen würden.«

      Bei diesen Worten schauderte mich. Es wollte eine Ahnung in mir aufsteigen, daß es mit diesem angeblichen Wahnsinnigen eine ganz eigene und besondere Bewandtnis habe und daß es infolge meines Naturells und Temperaments ganz und gar nicht ausgeschlossen sei, ihm einen Dienst und Hilfe zu erweisen. Darum erkundigte ich mich nach ihm und fragte:

      »Wie alt ist er?«

      »Nicht viel über zwanzig Jahre.«

      »Noch so jung und schon so unglücklich? Wie traurig! Von wem hat er das Buch, von dem Du sprachst?«

      »Von seinem Vater.«

      »Wer war sein Vater? Natürlich ein Ussul?«

      »O nein. Er war ein Fremder; aber seine - - - seine - - - seine - - - Mutter war eine Ussul!«

      Er sagte das stockend. Es schien ihm nicht über die Lippen zu wollen. Schließlich drückte er es förmlich heraus. Sein bärtiges Gesicht nahm einen mehr tierischen als menschlichen Ausdruck an; seine Zähne knirschten, und er fuhr fort:

      »Warum soll ich es Euch nicht sagen! Ihr werdet es doch erfahren und hören! Sie war - - war - - - war meine Tochter!«

      »So ist er Dein Enkel?« entfuhr es mir in der Überraschung.

      »Ja.«

      »Und Du sperrst ihn ein?«

      »Ja, ich sperre ihn ein!« antwortete er in unendlich gehäßigem Tone.

      »Zu den Hunden! Die ihn zerreißen, wenn er zu fliehen wagt!«

      Da flammten seine zorneslodernden Augen zu mir herüber, und er rief, als ob man es in weite Ferne hören solle:

      »Sie mögen ihn zerreißen - - zerreißen! So wie der Zorn, der Grimm und der Kummer mich zerrissen haben, als ich vergeblich mit seinem Vater rang, mein Kind vor ihm und seinem Wahn zu retten! Ich habe nichts mit diesem Räudigen gemein. Er war der Sohn meiner Tochter, also Fleisch von meinem Fleische und Blut von meinem Blute. Aber dieses Fleisch und Blut ist gestorben; es lebt nicht mehr. Er ist mir also fremd, ja fremder noch als jeder Mensch, den ich nie gesehen habe. Die Hunde mögen ihn zerreißen - - zerreißen - - - zerreißen!«

      Er gab seinem Pferde einen Hieb, daß es vor Schreck zusammenzuckte und dann vorwärts stürzte. Er versuchte gar nicht, es zu zügeln; er kam uns weit voraus. Wir schauten ihm nach. Der Scheik sagte:

      »Nun ist er wieder ganz in Wut getaucht. Doch hat er recht. Es gilt die Erhaltung des Stammes und die Bewahrung der Religion vor wahnsinnig falschen Gedanken. Wenn die Räude des Dschirbani sich über andere verbreitet, bekommen die Ussul sehr bald so glatte Gesichter wie die unbehaarten Völker, die keine Männer, sondern lauter Weiber sind. Und wenn die Religion verpflichtet werden soll, zu lehren, daß wir Tiere im Leibe haben, so wird die Erde sehr bald zu einem einzigen großen Irrenhaus geworden sein!«

      Er dachte nicht daran, daß Halef und ich uns beleidigt fühlen konnten, weil wir doch auch zu den >unbehaarten Völkern< gehörten, >die keine Männer sind<. Seine Frau fühlte das heraus. Darum versuchte sie, die Sache abzumildern, indem sie einwand:

      »Du darfst nicht verlangen, daß alle Menschen grad uns für am schönsten halten. Es ist doch ganz natürlich, daß Leute, die den Schmuck des Haares nicht besitzen, nach und nach zu der Überzeugung gekommen sind, daß man nackte Gesichter vorzuziehen habe. Du weißt doch, daß es sogar Menschen gibt, die ihren Haarschmuck künstlich entfernen, indem sie sich scheren!«

      »Die sind eben wahnsinnig! Vollständig verrückt und übergeschnappt!« beteuerte er im Tone größter, unerschütterlichster Überzeugung. »Hier bei uns hat das zu gelten, was wir für schön halten. Was andere denken, geht uns nichts an. Und da sind wir, die wir das Volk regieren und über sein Glück und Wohl zu wachen haben, verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Räude, um die es sich hier handelt, nicht weiter verbreitet werde. Von der Verwüstung, die so ein Mensch, wie der Dschirbani ist, in der Religion anrichten kann, will ich gar nicht sprechen, weil dies Sache des Sahahr ist, der die Verpflichtung übernommen hat, alles, was mit dem Gottesdienst zusammenhängt, vor Beschmutzung und Verfälschung zu schützen.«

      »Aber es ist sein Enkel, gegen den er wütet! Das Kind seines eigenen Kindes!« klagte sie, von Mitleid bewegt.

      »Um so höher ist es ihm anzurechnen!« versuchte er sie zu widerlegen. »Einen besseren Beweis von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit kann es gar nicht geben!«

      Er wandte sich zu mir und fuhr fort, auf sie deutend:

      »Wir sind immer einig, sie und ich, in allen Stücken, nur in diesem einen nicht. Ich behaupte mit dem Sahahr, daß der Dschirbani unschädlich zu machen sei, sie aber nimmt ihn stets in Schutz. Man hat sie sogar im Verdacht, daß ihm die Flucht nicht so oft gelungen wäre, wenn sie ihn nicht dabei unterstützt hätte.«

      Da machte Taldscha eine ihrer gebieterischen, zum Schweigen auffordernden Armbewegungen und sprach:

      »Seine Mutter war meine Freundin von ihrer frühesten Jugend an und ist es geblieben, bis sie starb. Sie war jünger als ich, und ich betrachtete sie ebenso als Schützling wie als Freundin. Ich hatte sie lieb, sehr lieb, und nahm mich ihrer an, als sie verstoßen wurde. Sie starb vor Sehnsucht und vor Herzeleid, und nun sie tot ist, lenke ich meine Liebe auf den über, den sie uns hinterlassen hat. Interessierst Du Dich für solche Dinge, Effendi?«

      »Sogar sehr!« antwortete ich. »Fast möchte ich Dich bitten, mir noch mehr von diesem Dschirbani zu erzählen.«

      »Es gibt keine lange Erzählung, mit der ich Dich da ermüden könnte. Die Sache ist sehr kurz und sehr einfach. Es kam ein fremder Mann in unser Land, der aus Dschinnistan stammte und gar nicht die Absicht hatte, bei uns zu bleiben. Der sah meine Freundin und gewann sie lieb, sie ihn ebenso. Ihretwegen beschloß er, bei uns zu bleiben. Um Ussul werden zu können, mußte er, wie Du weißt, mit einem Ussul kämpfen und ihn besiegen. Das geschah, und zwar sehr leicht, denn der Dschinnistani war zwar unbehaart und von kleinerer Körpergestalt als wir, aber so stark, gewandt und geschickt, daß ihm die rohe Kraft seines Gegners nicht widerstehen konnte. Sobald er Ussul geworden war, begehrte er meine Freundin von ihrem Vater zur Frau. Dieser verweigerte sie ihm, und zwar aus körperlichen und geistigen Gründen. Der Sahahr schien ihm an sich schon nicht geneigt zu sein. Sodann behauptete er, als Sahahr der Ussul verpflichtet zu sein, einer körperlichen Entartung des Stammes in jedem, also auch in diesem Falle entgegenzutreten. Und schließlich war er mit den Menschheitszielen, von denen der Dschinnistani nicht nur sprach, sondern förmlich schwärmte, nicht einverstanden. Der Letztere versicherte, daß die Menschheit nur durch Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, durch Liebe und Güte, vorwärts kommen könne. Der Sahahr aber haßte das; er haßt es auch noch heut. Er bezeichnet es als Feigheit, als Dummheit, als Verweichlichung, und ist der Ansicht, daß die Ussul an dieser Menschheitsliebe, falls sie bei uns überhand nähme, unbedingt zugrunde gehen würden.


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