Anstandsfesseln. Carrie FoxЧитать онлайн книгу.
in der Hand.
»Lass dir Zeit beim Anziehen und mach die Tür hinter dir zu, wenn du gehst.«
Vanessa schloss verärgert die Wohnzimmertür hinter sich, denn sie erwartete die Möbelpacker.
Wie Ingo seinen Arbeitsplatz schon wieder verlassen hatte! Alles lag schlampig herum, ungeordnete Papierstapel und zerrissenes Kopierpapier mit verwischten Buchstaben. Hatte er schon wieder Diätjoghurt am Computer gegessen und herumgespritzt? Er hätte es weg wischen können. Sollte sie es etwa tun? Nein. Heute nicht! Heute räumte sie nicht hinter ihm her. Heute hatte SIE keine Zeit!
Einer der Möbelpacker stellte den großen Karton im Hausflur ab. Sein Begleiter hatte den großen Spiegel herauf getragen. Vanessa trat beiseite. Sie hatte Stunden zuvor den Flur ausgeräumt, alle Teile des kleinen Schuhschranks und die Hakenleiste vorerst in den Keller geschleppt, die Bilder von der Wand genommen und den Flur in einem hellen, sonnigen gelb gestrichen. Die Farbe roch frisch und war angenehm, ein Vanilleton mit einem leichten Tick ins Orange. Stimmungsaufhellend sollte sie sein, hatte Vanessa im Baumarkt erfahren. Ob das stimmte? Nachdem sie die Türen abgewaschen hatte und den hellen Laminat gereinigt, sah der Flur um einiges schöner aus. Das Schlüsselbrettchen leuchtete neu und hochglänzend. Fehlten nur noch die neuen Möbel. Vanessa hatte in einem Möbelhaus eine neue Garderobe mit einem zwei Meter hohen Spiegel und einen neuen Schuhschrank bestellt. Die Männer, die den großen Karton im Flur abgestellt hatten, waren eifrig dabei, die Möbel zusammen zu schrauben und aufzustellen. Das ging in Windeseile vonstatten und Vanessa war froh, das nicht auch noch tun zu müssen. Das Ausräumen und Streichen hatte ihre Kräfte fast aufgezehrt. Morgen hätte sie vielleicht sogar Muskelkater von der ungewohnten Arbeit, aber dennoch war sie stolz auf sich. Der Flur war wirklich schön geworden und der ganze Aufwand hatte sich gelohnt. Sie wollte Ingo damit überraschen. Wenn er heute Abend nach Hause käme, würde er große Augen machen.
»Unterschreiben Sie bitte den Lieferschein, er ist gleichzeitig Ihr Garantieschein.«
Und schon waren die zwei Männer mit dem Aufbau fertig und verabschiedeten sich freundlich.
Sie nahmen den Verpackungsmüll mit und trampelten lautstark die Holztreppe im Hausflur hinunter.
Vanessa schloss die Haustür, lehnte sich mit dem Rücken an und betrachtete den neuen Flur. Wie schön, wie elegant er jetzt aussah. Sie brauchte nur noch die Bilder an die Wand zu hängen. In den neuen weißen Rahmen sahen sie aus, als gehörten sie zu den weiß lackierten Möbeln als Set mit dazu. Zuerst hing sie das Bild ihrer Zwillingsschwester auf. Viola wollte am Nachmittag vorbeikommen, um sich den renovierten Eingangsbereich anzusehen. Vanessa freute sich auf ihren Besuch und das Gespräch bei einem heißen Kaffee. Dann nahm sie das Bild mit dem Spanienmotiv in die Hand. Ingo … flüsterte sie wehmütig. Was für eine schöne Zeit hatten sie in Spanien erlebt!
Vanessa ließ sich von dem Bild in Urlaubslaune versetzen. Der Sonnenschein auf dem Bild warf den Schatten der magentafarbenen Bougainville auf die Terrasse, auf der sie saßen. Es war zwei Jahre her, dass sie schöne Urlaubstage dort verbracht hatten. Damals waren sie täglich am Strand spazierengegangen, waren entspannt im Pool oder im Meer geschwommen und hatten sich gemeinsam von Strandmasseuren verwöhnen lassen. Am Abend waren sie essen gegangen und hatten dem vielfarbigen Sonnenuntergang zugesehen. An jedem so wundervollen Urlaubstag hatten sie langen und schönen Sex. Vanessa vermisste diese liebevollen Stunden. Sie vermisste Ingo, seine Zärtlichkeit, seine Nähe. Er fehlte ihr. Seine Zeit fehlte ihr. Nachdenklich stellte sie eine kleine bunte Blumenvase auf den Schuhschrank und steckte eine Rose hinein, die sie aus dem Garten mit nach oben genommen hatte. Eine einzelne rote Rose. Früher hatte Ingo ihr häufig einen üppigen Strauß voller roter Rosen geschenkt, zum Zeichen dass er sie liebte. Das tat er schon lange nicht mehr.
Vanessa seufzte und dachte an ihre Schwester. Wenn sie doch endlich mit ihr reden könnte! Kaum hatte sie an ihre Schwester gedacht, klingelte ihr Handy. Typisch, wie oft hatten sie den gleichen Gedanken zur selben Zeit.
»Hey, Schwesterlein!«
»Hallo, Vanessa. Du, ich muss dir heute absagen, ich schaffe es nicht, zu dir zu kommen.«
Vanessas Lächeln entglitt ihrem Gesicht.
»Na toll, jetzt lässt du mich auch noch im Stich.«
Das hatte ihr gerade noch gefehlt, dass ihre Zwillingsschwester sie versetzte. Sie hätte so viel mit ihr zu besprechen gehabt. Wie enttäuschend das war. Vanessa fühlte sich nun erst recht im Stich gelassen. Die Absage verstärkte die Einsamkeit, die sie mit Ingo erlebte noch weiter.
»Also entschuldige mal, ich kann echt nichts dafür. Ich habe hier so viel Arbeit, weil sich Juppi krank gemeldet hat. Und was heißt überhaupt AUCH? Wer denn noch?«
»Ingo hat auch keine Zeit für mich. Und jetzt auch noch du. Du bist genau wie er! Arbeit, Arbeit. Ich höre immer nur Arbeit Eine schöne Schwester bist du!« Vanessa schrie erbost ins Telefon. Doch gleichzeitig fiel ihr selbst auf, wie unbeherrscht sie war. Sie hatte ihre Schwester angeschrien. Das durfte sie nicht, sie war ihre einzige Vertraute. Schnell musste sie es wieder rückgängig machen.
»Oh Viola, tut mir leid, ich wollte dich nicht…«
»Was ist los mit dir?«, unterbrach Viola Vanessas angefangene Entschuldigung.
»Tut mir leid, Sorry. Ich weiß nicht, was gerade in mich gefahren ist.« Vanessas Stimme zitterte, ihre Hand ebenso. Sie presste das Handy an ihr Ohr. In so einem Stimmungstief hatte sie sich vorher noch nie befunden.
»Hey komm mal wieder runter! Was ist denn passiert?« Viola schien auf die mentale Entgleisung ihrer Schwester einzugehen und zeigte Verständnis. Vanessa hatte auch nichts anderes erwartet, schließlich war Viola auch eine Freundin. Trotzdem atmete sie erleichtert auf.
»Vanessa! Beruhige dich bitte. Ich kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Ich kann sonst morgen den Laden nicht öffnen.«
»Ja, ich verstehe es. Sorry wegen vorhin. Wir finden einen anderen Tag, okay?«
»Ich rufe dich morgen wieder an, wenn ich weiß, was mit Juppi ist. Ob er kommt oder nicht.«
»Bis Morgen, Viola.« Vanessa beendete das Gespräch.
Da stand sie, alleine gelassen mit ihrem schönen Werk. Mit dem sauberen und neuen Flur, den sie stolz hatte zeigen wollen. Und plötzlich fühlte sie sich einsam, verlassen von Mann und Schwester und es zerriss sie innerlich. Tränen stiegen in ihre Augen, aber es gelang ihr, sie zu unterdrücken. Stark sein, jetzt nur nicht losheulen. Sie sollte lieber anfangen, das Essen zu zubereiten, bevor Ingo nach Hause kam, anstatt sich von solchen schwerwiegenden Gefühlen übermannen zu lassen!
Vanessa holte tief Luft, zwang sich zur Ruhe und ging in die Küche.
Halb sechs, Ingo müsste gleich zur Tür herein kommen. Vanessa ging ihren hausfraulichen Tätigkeiten nach und deckte den Tisch. Sie stellte zwei Gläser und Teller darauf und legte das Besteck seitlich der Teller hin. Dann hörte sie, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Ingo schmiss seine Schlüssel wie immer auf den Schuhschrank. Na warte… Vanessa eilte in den Flur.
»Ingo, siehst du nicht, dass der Schrank neu ist?« Sie war wirklich geladen und kurz vor der Explosion ihrer Gefühle, deswegen konnte sie sich kaum noch beherrschen, ihm nicht ihre Wut entgegen zu schleudern.
Ingo sah sie entgeistert an. Verstand er sie etwa nicht?
»Warum schmeißt du deinen Schlüssel schon wieder da hin?« Vanessas Augenbrauen zogen sich zusammen. Bemerkte Ingo denn gar nichts? War er auch noch blind geworden?
Erst jetzt sah er sich um.
»Entschuldige«, sagte er verdattert. »Was hast du hier eigentlich gemacht?« seine Antwort klang weder liebevoll noch interessiert. Er sah noch nicht einmal