Zeit für Liebe. Diana RichardsonЧитать онлайн книгу.
bewegt sich, ob durch Sex oder Überlebenswillen, durch Kunst, Sport oder Musik. Selbst wenn wir es versuchten, könnten wir diese Energie nicht unterdrücken oder ignorieren. Wir können nur lernen, sie auf intelligente und unbefangene Weise fließen zu lassen. Und obwohl Sex ein so weit verbreitetes Thema ist, gibt es Wenige, die einen Weg gefunden haben, eine erfüllende Sexualität zu leben oder Sex mit ihrem Herzen zu verbinden.
Untersuchungsergebnisse moderner Forschung haben gezeigt, dass eine „durchschnittlich“ sexuell aktive Person, wöchentlich zwanzig Sekunden orgasmische Ekstase erlebt, das sind neunzig Sekunden im Monat, und somit achtzehn Minuten im Jahr. Diese Berechnung basiert auf einem Orgasmus, der zehn Sekunden andauert. Und diese zehn Sekunden können für uns ja schon eine ziemliche weltbewegende Errungenschaft sein! Dann haben wir also in fünfzig Jahren sexueller Aktivität das Privileg, insgesamt ungefähr fünfzehn Stunden lang Ekstase zu erleben. Das ist erstaunlich – und erschreckend –, wenn man bedenkt, wie oft wir Liebe machen, und wie viel Zeit wir darüber hinaus damit verbringen, davon zu träumen und/oder uns den Kopf darüber zu zerbrechen!
Ganz offensichtlich sind Liebe und Sex für die meisten von uns keine wirklich erfüllende Angelegenheit. Sex ist nicht die beseelende, unschuldige, spirituelle Kraft, die er sein sollte und die uns in eine Welt voller Liebe und wahrer Leidenschaft bewegt. Er erfüllt uns weder auf einer tiefen Ebene, was uns die Kraft verleihen würde, unseren Alltag mit Enthusiasmus zu begegnen, noch hat er die Kraft, uns über den Druck und die Beschränkungen unseres Alltagslebens hinauszutragen.
Sexuelle Probleme zwischen Mann und Frau sind weit verbreitet, es gibt sexuellen Missbrauch, Frigidität, vorzeitige Ejakulation, Impotenz und sexuelles Desinteresse.
Sex und Intelligenz
Um dem entgegenzuwirken und die tiefe sexuelle Befriedigung zu erfahren, die wir eigentlich suchen, müssen wir einen intelligenteren Blick auf unsere Sexualität werfen. Wir sollten anfangen den Sex in einem neuen Zusammenhang zu sehen, aus einer anderen Perspektive.
Es ist gut, hinter die Ebene der Fortpflanzung zu blicken und aus dem Belohnungssystem von sofortiger körperlicher Lust auszusteigen. Dieser neue Blick wird uns frische Einsichten über die sexuelle Energie bringen – auf was sie am besten anspricht und wie wir Sex nutzen können, um die Liebe zwischen Mann und Frau stets neu zu gestalten. Die gute Nachricht dabei ist, dass Sex eine ungemein gesunde und stärkende Kraft ist, die wir genießen und zu unserem großen Vorteil nutzen können.
Sex in seiner höchsten Form trägt etwas Göttliches in sich. Er bringt uns dazu, wirklich „hier“ zu sein und die Unmittelbarkeit dieses Augenblicks zu spüren, in dem wir uns glücklich und wunderbar leicht fühlen. Es ist eine orgiastische biologische Ekstase, die aus dem dynamischen Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte entsteht und die unsere Seele nährt. Leider vertreten viele Religionen die Ansicht, Sex würde uns auf dem Weg zu Gott ablenken. „Ignoriere Sex um jeden Preis“, haben einige von uns gelernt – auch wenn wir in den Nächten feuchte Träume haben und tagsüber wie besessen vom Sex sind.
Das ist ein großes Missverständnis und ein großer Verlust für uns als menschliches Wesen. Wenn Sex auf Fortpflanzung und sofortige Belohnung reduziert wird und man seine Feinheit und spirituelle Bedeutung ignoriert, wird unsere Lebensenergie vergeudet, und das beeinträchtigt uns auf geistiger, körperlicher und seelischer Ebene.
Durch Tantra, der kosmischen Balance zwischen männlicher und weiblicher Energie, von positiv und negativ, dynamisch und empfänglich, können wir die Liebe in unser Leben einladen und es beseelen – innerlich wie äußerlich. Wir können lernen, über die Begrenzungen reiner Biologie hinauszuwachsen. Wir bekommen die Chance, zu unserer wahren Natur als Mann und Frau zurückzufinden, und die innere, spirituelle Sprache der Liebe zu entdecken: durch den körperlichen Akt des Liebemachens selbst.
Das ist ein anderes Bild von Sex als das, was uns vererbt wurde. Tantra gibt uns dieses neue Verständnis und eine völlig andere Vision vom Sex und dessen Funktion.
Die Phasen sexueller Energie
Die sexuelle Energie bewegt sich kreisförmig im menschlichen Körper, entlang innerer Kanäle, und man unterscheidet dabei zwei Phasen.
Die erste Phase und die Initialzündung sexueller Energie beginnt im Gehirn, bevor sie sich kreisförmig nach unten zu den Genitalien bewegt (siehe Abb. 1). Genauer gesagt, sondert die Hirnanhangsdrüse (Hypothalamus und Hypophyse) und die Zirbeldrüse (Epiphyse) Hormone ab, die das endokrine System im Körper kontrollieren, zu dem auch die Geschlechtsdrüsen zählen. Diese Hormone sorgen für sexuelles Wohlbefinden und dafür, dass wir bereit sind für den Geschlechtsverkehr. Dies ist die erste und absteigende Hälfte des Kreises – vom Gehirn zu den Genitalien. Sie ist als biologische oder reproduktive Phase der sexuellen Energie bekannt. Hier wird die sexuelle Energie, die wir durch Sex aufgebaut haben, durch den Orgasmus oder die Ejakulation ständig entladen.
Abb. 1 Biologische oder reproduktive Phase sexueller Energie
Das Geheimnis und Hauptinteresse von Tantra besteht darin, die sexuelle Energie im Körper zu belassen. Die sexuelle Energie wird nicht gewohnheitsmäßig im Orgasmus oder durch Ejakulation entladen, sondern bleibt im Körper und geht zurück in den inneren Kreislauf. Dadurch erhöhen wir unser orgasmisches Potenzial. In dieser zweiten und aufsteigenden Phase erhält die sexuelle Energie die Gelegenheit, wieder zurück zu ihrem Ursprung im Gehirn zu fließen, und so die „Meister“-Drüsen des Körpers, Epiphyse (Zirbeldrüse) und Hypophyse (Hirnanhangdrüse), zu revitalisieren und zu nähren. Diese Drüsen haben tiefen Einfluss auf unsere Gesundheit.
Es ist bekannt, dass sexuelle Aktivität zur Ausschüttung vieler Hormone und hormonähnlicher Substanzen führt, die den Körper positiv beeinflussen. Bereits in der Antike wurde Sex mit einer langen Lebensdauer und spiritueller Erleuchtung in Verbindung gebracht.
Wird die sexuelle Energie re-absorbiert und so zurück in den Körper geführt, wirkt Sex als eine revitalisierende, energetisierende Kraft. Dies nennt man die spirituelle oder schöpferische Phase des Sex (siehe Abb. 2); hier werden die Genitalien also als schöpferische Organe gesehen. Tantra ermöglicht es, den Zugang zu dieser zweiten Phase unserer kreativen sexuellen Energie zu bekommen, indem wir der Energie erlauben, sich nach innen und aufwärts zu bewegen. Wir erkennen, dass Sex dazu genutzt werden kann, lebendiger zu werden, nicht nur, um neues Leben zu erschaffen.
Abb. 2 Spirituelle oder kreative Phase schöpferischer Energie
Diese spirituelle Phase sexueller Energie entsteht, wenn Mann und Frau lernen, sich im Sex miteinander zu entspannen. Das ist das Gegenteil unserer bisherigen Erfahrung, dass Sex eine anstrengende, spannungsgeladene und unter Druck ausgeübte Aktivität ist. Wir glauben, je mehr wir beim Sex tun, umso mehr wird passieren und umso größer wird unsere „Belohnung“ sein. Wir denken kaum jemals daran, es uns leicht zu machen!
Was wir nicht begreifen ist, dass wahre sexuelle Ekstase Hand in Hand geht mit körperlicher Entspannung. Je mehr wir uns entspannen, desto mehr fühlen wir. Tatsächlich sind Ekstase und Anspannung diametrale Gegensätze; Anspannung erzeugt Hitze und Ruhelosigkeit, während Ekstase aus einer kühlen Haltung und aus einem inneren Einklang heraus entsteht. Anspannung engt ein und zieht zusammen, während Entspannung öffnet und ausdehnt. Anspannung erzeugt einen Höhepunkt, während Entspannung ein Tal erzeugt. Anspannung braucht Entladung, während Entspannung ermöglicht, etwas aufzunehmen.
Die Atmosphäre von Tantra ist Entspannung. Wenn wir uns also in unsere sexuelle Energie hineinentspannen, statt sie auf einen Höhepunkt zusteuern zu lassen, um sie dann zu entladen, entsteht daraus mehr Lebensenergie und mehr Liebe. Indem wir die sexuelle Energie durch Entspannung umlenken, können wir sie nach innen und nach oben leiten, wo sie automatisch vom Körper wieder aufgenommen und in den Kreislauf zurückgeführt wird (siehe Abb. 3).