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Wasserschloss zu vererben. Usch HollmannЧитать онлайн книгу.

Wasserschloss zu vererben - Usch Hollmann


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arme Claudia.“

      Erst nach einigen Minuten und nachdem er sich einigermaßen gefasst hat, sieht er sie offen an.

      „Durchlaucht, Sie haben irgendwo auf der Welt zwei Enkelsöhne.“

      Agnes Dahlmann beobachtet die Fürstin, die wie erstarrt am Schreibtisch sitzt und sich mit zitternden Händen bemüht, den Brief wieder in das Kuvert zu schieben.

      „Ich hole Ihnen ihre Medikamente.“

      Mit diesen Worten erhebt sie sich von ihrem Stuhl und will den Raum verlassen, wird aber von der Fürstin zurückgehalten.

      „Ich werde zu beweisen versuchen, dass ich eine starke Frau bin, wie Claudia meint. Dahlmann, wirst du mir helfen? Harald, Sie auch?“

      Ihre Stimme zittert. Sie streckt bittend beide Arme aus.

      Harald ergreift ihre Hände.

      „Es wird mir um Claudias Willen eine Ehre und eine Verpflichtung sein, Fürstin.“

      Auch Agnes Dahlmann, sichtlich bewegt, nickt zustimmend und streichelt mit beruhigender Geste die Hände der Fürstin.

      „Dahlmann, welche Tabletten muss ich um diese Zeit nehmen? Ich werde mich mit Dr. Mittmann beraten, ob ich deren Einnahme nicht nach und nach reduzieren kann. Ich werde einen klaren Kopf brauchen.“

       7

      Wieder und wieder liest die Fürstin den Brief ihrer Tochter. Zu Claudias Tränenspuren kommen die der Mutter hinzu. Harald Wegener hat sich mit dem Versprechen, über die veränderte Situation absolutes Stillschweigen zu bewahren, verabschiedet. Auffallend nachdenklich und persönlich berührt hatte er sich zunächst einmal eine Zeit des Überlegens erbeten, um sich der Angelegenheit mit kühlerem Kopf widmen zu können.

      Agnes Dahlmann, wenn auch zutiefst erschüttert, findet eher in die Realität zurück und erkennt, was zu tun ist. Ehe weitere Tränenspuren Claudias Brief unleserlich machen, nimmt sie der Fürstin das Papier behutsam aus der Hand, legt es unter den alten Kopierer im Arbeitszimmer des Fürsten und lässt den Apparat drei Kopien anfertigen.

      „Fürstin, wir werden dieses Dokument dann und wann noch brauchen, deshalb muss es leserlich bleiben. Legen wir das Original lieber zur Seite und vertiefen wir uns in die Abschriften; auch Harald Wegener sollten wir eine Kopie zukommen lassen.“

      Die Fürstin lächelt. „Meine immer praktische Dahlmann.“

      Doch dann sitzen die beiden Frauen wieder traurig und schweigend nebeneinander und können den Blick nicht von den Zeilen wenden.

      „Durch welche Hölle ist mein armes Kind gegangen! Was muss sie für Qualen ausgestanden haben. Und sie hat mit niemandem darüber sprechen können – oder hat sie sich dir anvertraut, Dahlmann?“

      „Nein, Fürstin, auch ich bin völlig ahnungslos. Sie muss wirklich große Angst und tiefe Verunsicherung empfunden haben, sonst hätte sie sich doch Ihnen als Mutter anvertraut – eher jedenfalls als mir, obwohl sie zu ihrer ‚Dahma‘ in der Tat eine sehr innige Beziehung hatte.“

      Die Fürstin schüttelt den Kopf.

      „Dahlmann, du versuchst mich zu trösten, aber machen wir uns nichts vor: Mein Mann und – leider! – auch ich waren wohl wirklich etwas zu sehr im Gestern verhaftet, wir hatten für Claudias liberalere Ansichten oft kein Verständnis. Du hattest mehr Zugang zu ihr. Unsere Tochter hat uns nicht nur einmal unseren ihrer Meinung nach altmodischen Standesdünkel vorgeworfen. Und mein Mann hat seine überholten Ansichten – ja, es sind überholte Ansichten – bis zu seinem Tode beibehalten, aber ich für meinen Teil hoffe doch, mich weiterentwickelt zu haben. Natürlich hat auch Esther mit ihrer jugendlichen Unbekümmertheit dazu beigetragen – ach, ich vermisse dieses Kind so sehr, ich … und ich beneide die heutige Jugend, die sich von unserem überholten, unzeitgemäßen Ehrenkodex freimachen konnte.“

      Dahlmann hört geduldig zu, unterbricht die Selbstanklagen der Fürstin nur ab und an mit beschwichtigenden Worten und versucht sie zu trösten. Aber im tiefsten Inneren stimmt sie zu: Das Fürstenpaar auf Schloss Wallburg hatte die Veränderungen der Zeit nicht wirklich wahrgenommen. Sie waren auf eine zwar liebenswürdige, aber eben doch altmodische Art sogar ein bisschen schrullig geworden – der Fürst, wesentlich älter, mehr noch als seine Frau. Sie pflegten wenig gesellschaftlichen Umgang, nahmen Einladungen nur selten und widerwillig an, verschlossen sich völlig den modernen Medien, hatten – wann immer möglich – Schulveranstaltungen aller Art gemieden und Claudia lieber eine großzügige Spende für irgendwelche angeblich notwendigen An- oder Umbauten innerhalb der Schule gegeben, um selber zurückgezogen in der Abgeschiedenheit ihres vertrauten kleinen Kosmos bleiben zu können.

      Claudia hatte sich deswegen öfter bei Agnes Dahlmann beklagt. Ob sie, Dahlmann, nicht einmal mitkommen wolle zu einem Schulfest. „Du könntest eines von Mamas Kleidern und ihr Pelzcape anziehen und als meine Mutter auftreten, das würde kein Mensch merken, denn es kennt sie ja niemand. Aber ich könnte dann endlich auch einmal mit einem Familienmitglied glänzen.“ Natürlich hatte Dahlmann abgewinkt, aber sie hatten sich kichernd ausgemalt, welche Frisur und welcher Schmuck für so einen Auftritt infrage gekommen wäre und ob der Direktor sie ehrfürchtig mit Handkuss oder mit Hofknicks und „Durchlaucht“ begrüßt hätte.

      „Ach, Dahma, so krank und alt sind meine Eltern doch nicht, dass sie meinen, sich schon zu Lebzeiten aus der Welt verabschieden zu dürfen.“

      Ja, sie, Agnes Dahlmann, war tatsächlich diejenige gewesen, der Claudia sich anvertraut hatte. Sie erinnerte sich zum Beispiel an das Gespräch einige Wochen vor Claudias Abreise nach Amerika. Als sie von ihrem „Seitensprung“ erzählt hatte und von der Tatsache, dass sie erstmalig „Schmetterlinge im Bauch“ gefühlt hätte.

      „Wer mag das wohl gewesen sein?“

      Als hätte die Fürstin ihre Gedanken erraten, richtete sie plötzlich eine Frage an ihre Haushälterin.

      „Dahlmann, hast du eine Ahnung, wer der Vater dieser Kinder sein könnte? Was muss das für ein Mensch sein, der es zulässt, eine junge Frau in solche Seelenqualen zu stürzen, dass sie ihre Kinder zur Adoption freigibt? ‚Um sein eigene Familie zu schonen‘, steht in Claudias Brief. Ob der womöglich seiner Frau nicht beichten mochte, dass er ihr untreu gewesen war? Und zwar mit Folgen? Fällt dir jemand ein, der vielleicht sogar hier, in Claudias Umfeld, verheiratet war und mein Kind verführt haben könnte?“

      Kopfschüttelnd verneint Dahlmann die Frage, obwohl der Gedanke sie ebenfalls beschäftigt. Von wem hätte sich die selbstbewusste Claudia überhaupt ‚verführen‘ lassen? Von einem Klassenkameraden? Von einem Burschen aus dem Dorf? Wer hatte damals auf Schloss Wallburg gearbeitet? Sollte etwa Kurt Bovermann, der Verwalter …?

      Dahlmann kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nein, Bovermann, heute fast sechzig Jahre alt, war auch in seiner Jugend kein Verführertyp. Fleißig und rechtschaffen und grundehrlich, wie er war, hatte der Fürst ihn eingestellt, und noch heute gilt er als eher wortkarg, schüchtern und nahezu menschenscheu.

      Und Wegener, der Gärtner? Den sie Onkel Weggi nannte? Unsinn – der gab sich Claudia gegenüber eher väterlich, fürsorglich. Aber sein Sohn, Harald? Der fast gleichaltrige Spielkamerad aus Kindertagen, der sich damals schon zu einem gut aussehenden, attraktiven Jurastudenten entwickelt hatte? Der heute, als Anwalt, zum ersten Mal den privaten Bereich auf Schloss Wallburg betreten und dem Claudia sich erst vor ein paar Monaten anvertraut hatte?

      Nein! Ausgeschlossen! Der war damals noch nicht verheiratet und hätte es außerdem nie zugelassen, seine und Claudias Kinder per Adoption in die Hände fremder Menschen abzugeben, nur um die Gesundheit des Fürstenpaares zu schonen und einen gesellschaftlichen Skandal zu vermeiden.

      Oder gab es einen Stallburschen, der tollkühn genug gewesen wäre, sich Prinzessin Claudia zu nähern? Der ihr ein Gefühl wie „Schmetterlinge im Bauch“ vermittelt hätte?

      Plötzlich und unvermittelt geht ihr ein Name durch den Kopf: Baron


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