Wasserschloss zu vererben. Usch HollmannЧитать онлайн книгу.
und streicht mit müder Handbewegung eine ergrauende Haarsträhne aus der Stirn.
„Mit knapp sechzig Jahren ist man doch eigentlich noch zu jung für Altersdepressionen. Die Leute denken immer, wenn man in einem so schönen Schloss lebt und keine Existenzangst haben muss, dann hätte man für immer und ewig das Glück an seiner Seite. Sie lesen in den bunten Blättern von unseren schönen Kleidern, von unentwegten prunkvollen gesellschaftlichen Ereignissen, von Glanz und Gloria, sie beneiden uns womöglich, dabei …“
Dahlmann unterbricht energisch.
„Schluss jetzt, Fürstin, darüber reden wir notfalls nach Ihrem Schönheitsschläfchen – jetzt ruhen Sie sich erst einmal aus.“
„Jaja, Dahlmann, ich gehorche!“
Die Fürstin greift nach dem Geländer und geht mit müden, kurzen Schritten endgültig nach oben.
Agnes Dahlmann bleibt in der Halle stehen, lauscht und wartet. Erst als sie hört, dass die Tür des Schlafzimmers geschlossen, noch ein Stuhl gerückt wird und dann Ruhe einkehrt, setzt sie sich in einen der Sessel vor dem Kamin und gibt sich ihren Gedanken hin:
Die Fürstin ist trotz ihres Standes nicht zu beneiden, auch wenn Außenstehende das vielleicht anders sehen, geht es ihr durch den Kopf. Wenn Weggi und ich nicht täglich um sie herum wären, liefe sie die meiste Zeit alleine durch dieses altehrwürdige Gemäuer. Die Verwaltung des Schlosses liegt bei Bovermann in guten Händen – sie ist die Fürstin und ich bin ihre Dahlmann, die Haushälterin – wir sind fast gleich alt, aber ich glaube, dass ich im Vergleich zu ihr den besseren Teil erwählt habe. Ich habe keine Depressionen und für mich gibt es handfeste Aufgaben. Ich bin manchmal sogar unentbehrlich, besonders, wenn es der Fürstin so schlecht geht wie jetzt. Claudia und Esther hängen an mir, als gehörte ich zur Familie – ich werde gebraucht und geliebt – Ob ich mit meinem Traumprinzen Richard glücklicher geworden wäre? Ist Claudia mit ihrem Michael eigentlich glücklich? Oder hat sie sich mit ihm nur arrangiert? Wer mag das gewesen sein, dem sie das erste Mal „Schmetterlinge im Bauch“ zu verdanken hatte?
Motorengeräusch reißt sie aus ihren Gedanken. Durch ein schmales Fenster neben der breiten Eingangstür sieht sie, wie ein unauffälliger Wagen vor der Gräfte anhält. Wagentüren öffnen und schließen sich mit dumpfem Geräusch, zwei Männer steigen aus. Mit eiligen Schritten überqueren sie die Brücke, laufen über den Kiesweg und steigen die alte Steintreppe empor.
Dahlmann stutzt. Sie kennt die Männer nicht. Ein Gefühl von Unbehagen steigt in ihr auf, dann hört sie, wie der Klingelzug betätigt wird. Widerwillig öffnet sie die Haustür einen Spalt weit. Einer der Männer trägt eine dunkle Sportjacke, bei dem anderen, einem sehr jungen Mann, fällt ihr der weiße steife Kragen eines Geistlichen auf.
Dahlmann hat plötzlich ein Gefühl, als presse ihr jemand mit harten Händen die Kehle zu. Mit rauer Stimme zwingt sie sich zu sprechen.
„Ja bitte?“
Der ältere der beiden hält ihr in Augenhöhe einen Dienstausweis hin, Dahlmann kommen Schriftzeichen und Stempel irgendwie bekannt vor, kann sie aber nicht einordnen.
„Verkehrspolizei“, hört sie eine unaufgeregte Stimme sagen. „Wir müssen die Fürstin von Wallburg sprechen.“ Eine zweite, sehr sanfte Männerstimme räuspert sich. „Mein Name ist Hilgert, ich bin Pastor – und wir kommen leider mit traurigen Nachrichten. Ist die Fürstin zu Hause?“
Dahlmann fühlt den Boden unter sich schwanken, als zöge jemand im Zeitlupentempo an der dicken Kokosmatte unter ihren Füßen. Mechanisch ziehen ihre Hände einen eisernen Schieber zur Seite – die Männer betreten die Halle.
„Die Fürstin hat sich gerade erst hingelegt, ich wecke sie ungern, es geht ihr momentan nicht gut“ flüstert sie halblaut.
Die beiden Männer sehen sich an, scheinen ratlos.
„Es ist leider unumgänglich, dass …“ Der mit dem weißen Stehkragen zieht seine Schultern hoch und wirft seinem Begleiter einen fragenden Blick zu.
Auch dessen Stimme scheint belegt, er räuspert sich.
„Wir müssen sogar um äußerste Eile bitten, es geht möglicherweise um Leben und Tod.“
„Ist etwas mit … Claudia?“ Dahlmann tastet nach einer Stuhllehne.
Die Männer nicken mit besorgtem Gesichtsausdruck.
„Aber die Fürstin …“
„Es ist in Ordnung, Dahlmann, ich möchte hören, was die Herren mir sagen müssen.“
Die Fürstin steht auf der untersten Treppenstufe, ihre rechte Hand umklammert den kunstvoll gedrechselten obersten Knauf des Geländers. Ihre Stimme klingt beherrscht und fordernd.
Die Männer treten näher.
„Fürstin, es fällt uns unendlich schwer, aber wir haben eine schmerzliche Nachricht zu überbringen. Offenbar waren Ihre Tochter Prinzessin Claudia, ihr Schwiegersohn Graf zu Lauenstein und deren beider Tochter Esther auf dem Flug nach Juist. Aus noch ungeklärten Gründen konnte das Flugzeug sein Ziel nicht erreichen – die Kriminalpolizei ermittelt momentan die Ursache des Absturzes, aber …“
Der mit der dunklen Sportjacke räuspert sich in äußerster Verlegenheit.
„Sind sie – tot?“
Die Frage der Fürstin kommt zögernd und beinahe tonlos.
„Nein, Ihre Tochter lebt, aber sie ist schwer verletzt – wir haben den Auftrag, Sie so schnell wie möglich zu ihr ins Krankenhaus zu bringen. Die Ärzte kümmern sich um sie, sie liegt auf der Intensivstation. Wir können nachempfinden, wie Ihnen zumute ist, aber es ist wohl Eile geboten … Fühlen Sie sich imstande, uns zu begleiten?“
Die Fürstin ist blass geworden, sie schwankt kaum sichtbar. Dennoch wendet sie sich mit fester Stimme an ihre Haushälterin.
„Dahlmann, bring mir eine Jacke oder …“
Sie steht noch immer auf der untersten Treppenstufe, die Knöchel ihrer rechten Hand, mit der sie sich am Geländer festhält, treten weiß hervor.
„Schnell, mein Kind, meine Claudia …“
Dahlmann fasst sich, sie atmet tief durch. „Ich komme mit.“
Ohne eine weitere Frage an die abwartenden Männer geht die Fürstin durch die Halle und schließt die noch immer geöffnete Terrassentür, durch die die schräg stehende Frühlingssonne die alten Steinfliesen zum Leuchten bringt. Dann lässt sie sich von der herbeieilenden Dahlmann in eine Jacke helfen, nimmt einen Schlüsselbund von einem dafür vorgesehenen Schlüsselbrett und geht zur Eingangstür.
„Gehen wir.“
Während der knapp halbstündigen Fahrt sitzen die beiden Frauen mit versteinertem Gesicht im Fond des Wagens. Die Fürstin sieht aus dem Fenster, ohne die Frühlingslandschaft wahrzunehmen. Unaufhaltsam und ohne hörbares Schluchzen rinnen Tränen über ihre Wangen und versickern im Jackenkragen. Agnes Dahlmann greift zuerst zögernd, dann beherzt zupackend die zitternden Hände der Fürstin und hält sie mit warmem Druck sanft fest, ihre eigenen Tränen zurückdrängend.
Auch die zwei Männer sprechen kaum. Der Fahrer mit der Sportjacke sieht nur ab und an besorgt in den Rückspiegel, die Fürstin beobachtend. Schließlich hantiert er an der Freisprechanlage seines Autotelefons und kündigt mit halblauter, sachlich klingender Stimme die Ankunft des Wagens in etwa drei Minuten an.
Am Krankenhauseingang werden sie von zwei Pflegerinnen erwartet. Die eine bietet der Fürstin ein rollstuhlähnliches Gefährt an, wird von dieser aber zur Seite gedrängt.
„Wo liegt meine Tochter?“
„Bitte folgen Sie uns auf die Intensivstation.“
Minuten später beugt die Fürstin sich über einen mit Bandagen und Tüchern verhüllten Körper. Claudia ist nur an der Flut blonder, zum Teil blutverklebter Locken zu erkennen. Ihr Gesicht ist durch Schwellungen und kleine Wunden