Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
Augen. Die Frau dagegen, die neben ihm auftauchte, sah so richtig verarbeitet aus. Der Rücken der bestimmt noch nicht Vierzigjährigen war bereits leicht gebeugt. Auf dem Arm trug sie ein kaum dem Säuglingsalter entwachsenes Kind, ein etwas größeres klammerte sich ängstlich an ihren Rock.
»Nanu, Frau Walkereit, schon wieder auf den Beinen?« fragte der Gutsherr, und resigniert kam es zurück:
»Was soll man tun, Herr Baron. Man muß aus dem Bett, ob man es verträgt oder nicht. Man kann doch nicht Mann und Kinder verkommen lassen.«
»Sie müssen an Ihren ältesten Kindern doch schon ganz nette Hilfe haben. Wo sind übrigens die Zwillinge?«
»Aus der Schule raus und rein in den Dienst, Herr Baron. Jetzt sind wir bloß noch elf.«
»Das klingt ja fast bedauernd. Seien Sie doch froh, daß Sie zwei Esser los sind. Was macht das Kleine?«
»Ist ein strammer Bursch«, blähte der Vater sich förmlich auf vor Stolz. »Trinkt wie ein Alter.«
»Dann ähnelt er seinem Vater«, tat Arvid lachend ab, während er eine Tüte aus der Rocktasche zog. »Nehmen Sie das Paket vom Wagen, Walkereit. Da ist so allerlei drin, was die Kinder gebrauchen können. Und, ihr Strolche, kommt mal her, streckt die Hände aus.
Na hört mal, sauberer könnten die auch sein«, verteilte er gerecht die Bonbons, ließ jedoch einige in der Tüte für die Kinder, die bei der Mutter waren. »Wie oft wascht ihr euch eigentlich, jede Woche einmal?«
»Aber nein doch, Onkel Baron«, protestierte es von allen Seiten. »Wir schrubben uns schon gerade genug.«
»Na, wenn man«, reichte er der Frau die Tüte hin. »Die stecken Sie den Kleinen da ins Mäulchen.«
Gudrun folgte dem allen mit großen Augen. War es doch eine neue Welt, die sich vor ihr auftat.
Zögernd trat sie auf die Frau zu und gab ihr den Schein, den diese mit Blitzesschnelle in der Schürzentasche verschwinden ließ.
»Vergelt’s Gott, gnädiges Fräulein.«
»O bitte, keine Ursache.«
Erschrocken hielt sie inne, als einer der kleineren Jungen in ein so mörderisches Gebrüll ausbrach, als wollte man ihn massakrieren. Und dabei hatte der Dackel Frech, der im Gig saß, doch nur nach der Hand geschnappt, die gewiß nicht behutsam mit ihm umgegangen war. Mißtrauisch sah der Vater seinen Sprößling an.
»Warum brüllst du denn so, he?«
»Der Hund hat mich gebissen.«
»Und was hast du ihm getan?«
»Nuscht, Vaterchen.«
»Was hast du ihm getan?« klang es nun schon drohender.
»Väterchen, so gut wie nuscht.«
»Was hast du ihm getan?« schwoll nun die Stimme an, was für die Kinder höchster Alarm bedeutete.
»Ich hab’ ihn doch man so ein bißchen bloß – auf die Schnauze – gehauen.«
»Aha! Damit du weißt, wie weh das tut …«, saß ihm die gewiß nicht kleine Hand im Gesicht. »Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz. Ich bin Tierheger, verstanden? Ehe ich zulasse, daß so eine arme Kreatur von euch gequält wird, zieh’ ich euch das Fell über die Ohren!«
Als wäre das seine wirklich in Gefahr, so rasch gab der Junge Fersengeld, und sein Vater fragte:
»Hab’ ich da nicht recht, Herr Baron? Würde der Herr Baron es mit seinem Sohn, wenn er einen hätte, nicht genauso machen?«
»Und wie ich das täte! Denn wie sagt ein menschenkundiger Weiser: Der kleine Tierquäler erwächst zu einem harten, grausamen Mann.«
*
»Sie sind ja so still«, sagte Arvid, als man wieder auf dem Wagen saß. »Hat Ihnen die muntere Familie etwa die Sprache verschlagen?«
»Ein Wunder wär’s aber nicht. Das geht da vielleicht turbulent zu! Wie die Frau das aushält, ist mir einfach unbegreiflich.«
»Sie ist ja nichts anderes gewohnt«, entgegnete er achselzuckend.
»Fühlt sich auf ihre Art sogar noch glücklich dabei. Zumal sie von dem Mann gut behandelt wird, keine Prügel von ihm kriegt.«
»Na, wo gibt’s denn so was!« entrüstete Gudrun sich, und er lachte.
»Das kommt in den besten Familien vor. Haben Sie in Ihren Kreisen noch nichts davon gehört?«
»Daß sich die Gatten streiten, ist wohl in den meisten Ehen üblich, aber prügeln? Würden Sie das etwa bei Ihrer Frau …?«
»Wenn sie es verdient, ohne weiteres. Dann hätte sie wenigstens Grund, sich scheiden zu lassen. Und nicht wegen seelischer Grausamkeit, wie es heute ja zum guten Ton gehört, sondern wegen körperlicher.«
»Na, Sie Barbar!«
»Ja, sagen Sie mal, warum empören Sie sich eigentlich?« fragte er schmunzelnd, und sie sah ihn verdutzt an, mußte dann aber über sein verschmitztes Gesicht lachen, und der Friede war hergestellt.
Sie fuhren nun eine kurze Strecke am Waldrand entlang, dann bogen sie ein in den grünen Dom. Herrlich prangten die jungen Blätter der Laubbäume, der Boden war von Frühlingsblumen überwuchert.
Plötzlich hielt der Wagen mit einem Ruck, so daß Gudrun erschrocken zusammenfuhr. Doch dann wurden ihre Augen ganz groß und weit. Denn keine zehn Meter vom Wagen entfernt, bemerkte sie einen Hirsch, der über die Straße wechselte, ein Rudel Hindinnen hinter sich. Kein bißchen ängstlich war der König des Waldes. Stolz trug er den Kopf mit dem herrlichen Geweih, verschwand dann langsam im Gehölz, und das Pferd durfte weitertraben, das bisher so ruhig verharrt hatte, als wüßte es, daß man kein Wild vergrämen durfte. Auch die Hunde hatten nicht Laut gegeben, obwohl sie vor Aufregung an allen Gliedern zitterten.
»War das schön«, sagte Gudrun so recht aus Herzensgrund. »Und so gar keine Angst hatten die Tiere.«
»Vorläufig haben sie auch keinen Grund dazu«, erklärte Arvid. »Denn der schlaue Bursche hat gewissermaßen den Kalender im Kopf. Weiß daher, daß es noch Schonzeit ist, und die Hindinnen vertrauen ihm blindlings.«
»Und wann dürfen die Tiere … Wie nennt man ihre Art überhaupt?«
»Rotwild.«
»Wann darf es geschossen werden?«
»Von Ende Mai bis Oktober.«
»Darf der Jäger dann alles abschießen, was ihm vor die Flinte kommt?« fragte sie naiv.
»Nein, mein Fräulein, solche Amokläufer sind wir Jäger nun wirklich nicht.«
Weiter konnte er nichts erklären, da das Forsthaus erreicht war und der Oberförster in der Tür sichtbar wurde.
»Weidmannsheil!« grüßte er aufgeräumt. »Warum lacht der Herr Baron denn so herzlich?«
»Über meine dumme Frage«, gab Gudrun Antwort. Mit einem Satz war sie vom Wagen und begrüßte den Forstmann, der ihr von Hörgishof her bekannt war, wo es öfter dienstlich für ihn zu tun gab.
»Potzkeilerzahn, wir werden ja immerzu hübscher, meine kleine Gnädige«, strich er sich schmunzelnd den angegrauten Jägerbart. »Wie hält man das bloß aus.«
»Wer, ich?«
»Nein, die Mannsleut.«
»Die laufen vor mir davon«, legte sie den Kopf schief und blinzelte den Grünrock an. »Keiner begehrt mich zum Weib.«
»Na, das wäre! Sind die denn alle blind?«
»Eben nicht. Sie beherzigen den weisen Spruch:
Begehre nie ein Glück zu groß
und nie ein Weib zu schön,
sonst