Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt. Karl Kraus H.Читать онлайн книгу.
Seiner ersten Geliebten trägt man keine Enttäuschung nach. Besonders wenn man sie in der Turnstunde kennengelernt hat und es eine Kletterstange war.
Höchster Überschwang der Gefühle: Wenn du wüsstest, welche Freude du mir mit deinem Kommen bereitest – du tätest es nicht, ich weiß, du tätest es nicht!
Er wollte seine Geliebte zur Freiheit verurteilen. Das lassen sie sich schon gar nicht gefallen.
In der Liebe kommt es nur darauf an, dass man nicht dümmer erscheint, als man gemacht wird.
Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß.
Wenn’s einem kein Vergnügen macht, eine Frau zu beschenken, unterlasse man es. Es gibt Frauen, gegen die ein Danaidenfass die reinste Sparbüchse ist.
Man muss endlich wieder dahin kommen, dass man nicht mehr an der Krankheit, sondern an der Gesundheit einer Frau zugrunde geht.
So erhaben kann sich nie ein wertvoller Mann über ein wertloses Weib dünken wie ein wertloser Mann über ein wertvolles Weib.
Es ist die wichtigste Aufgabe, das Selbstunbewusstsein einer Schönen zu heben.
Der Losgeher hat nichts zu verlieren. Der andere nähert sich einer Frau nicht, weil er einen ganzen Lebensinhalt, den er zitternd trägt, aus der Hand fallen lassen könnte.
Das Tragische leitet seinen Ursprung von einem Bocksspiel her.
Eine Nachtwandlerin der Liebe, die erst fällt, wenn sie angerufen wird.
Sie lebte dem Gattungswillen entrückt, aber sooft sie liebte, selbst zu neuem Leben geboren. Sie war nicht zum Gebären geschaffen, sondern zum Geborensein.
Zuerst sieht man eine, der andere ähnlich sehen. Dann eine, die ähnlich sieht. Schließlich aber ist keine mehr da, und man sieht alles von selbst.
II. MORAL, CHRISTENTUM
Der Mann hat den Wildstrom weiblicher Sinnlichkeit kanalisiert. Nun überschwemmt er nicht mehr das Land. Aber er befruchtet es auch nicht mehr.
Die Gründer der Normen haben das Verhältnis der Geschlechter verkehrt: Sie haben das Geschlecht des Weibes in die Konvention geschnürt und das männliche entfesselt. So ist die Anmut vertrocknet und der Geist. Es gibt noch Sinnlichkeit in der Welt; aber sie ist nicht mehr die triumphierende Entfaltung einer Wesenheit, sondern die erbärmliche Entartung einer Funktion.
Als die Zugänglichkeit des Weibes noch eine Tugend war, wuchs dem männlichen Geiste die Kraft. Heute verzehrt er sich vor der Scheidemauer einer verbotenen Welt. Geist und Lust paaren sich wie ehedem. Aber das Weib hat den Geist an sich genommen, um dem Draufgänger Lust zu machen.
Das vom Mann verstoßene »Weibchen« rächt sich. Es ist eine Dame geworden und hat ein Männchen im Haus.
Der Philister verachtet die Frau, die sich von ihm hat lieben lassen. Wie gerne möchte man ihm recht geben, wenn man der Frau Schuld geben könnte!
Ein Bettler wurde verurteilt, weil er auf einer Bank gesessen und »traurig dreingeschaut« hatte. In dieser Weltordnung machen sich die Männer verdächtig, die traurig, und die Weiber, die lustig dreinschauen. Immerhin zieht sie die Bettler den Freudenmädchen vor. Denn die Freudenmädchen sind unehrliche Krüppel, die aus dem Körperfehler der Schönheit Gewinn ziehen.
Dass eine Kokotte nach sozialen Ehren strebt, ist eine traurige Erniedrigung; aber sie entschädigt sich wenigstens durch heimliche Freuden. Viel verwerflicher ist die Praxis jener Frauen, die durch den Schein eines Freudenlebens über ihre heimliche Ehrbarkeit zu täuschen wissen. Sie schmarotzen an einer sozialen Verachtung, die sie sich nicht verdienen; und das ist die schlimmste Art von Streberei.
Gretchen-Tragödie – welch ein Aufhebens! Die Welt steht stille, Himmel und Hölle öffnen sich, und in den Sphären klingt die Musik unendlichen Bedauerns: Nicht jedes Mädchen fällt so ’rein!
Liebe soll Gedanken zeugen. In der Sprache der Gesellschaftsordnung sagt die Frau: Was werden Sie von mir denken!
Wie eine lebensfähige Frau ihren faulen Frieden mit der Welt macht: Sie verzichtet auf die Persönlichkeit und bekommt dafür die Galanterien zugestanden.
Was doch die soziale Sitte vermag! Nur ein Spinnweb liegt über dem Vulkan, aber er hält sich zurück.
Im Orient haben die Frauen größere Freiheit. Sie dürfen geliebt werden.
Die Eifersucht des Mannes ist eine soziale Einrichtung, die Prostitution der Frau ist ein Naturtrieb.
Das Wesen der Prostitution beruht nicht darauf, dass sie sich’s gefallen lassen müssen, sondern dass sie sich’s missfallen lassen können.
Eine sittliche Prostitution fußt auf dem Prinzip der Monogamie.