Rassismus. Achim BühlЧитать онлайн книгу.
sieht man einen Jungen in einem »Mao-Blaumann«, zu seiner Linken einen Jungen in Shorts mit schwarzer Hautfarbe. Neben dem »kleinen Chinesen« steht ein Junge in einem »Eskimo-Parka«. Die Bildunterschrift lautet: »Alle Kinder dieser Erde«. Wie bei Fouillée wird griechischen Kindern, die Lesen lernen, die Existenz von vier »Rassen« suggeriert, wobei für die »race rouge« hier das Inuit-Kind steht. Das Bild bzw. Ideologem von den vier »Rassen« begegnet uns indes keineswegs nur in Materialien aus dem 19. und 20. Jh. Beim Gang durch die Hochschule entdecke ich in einem Glaskasten ein Werbeplakat mit der Bildunterschrift: »Unternehmer werden mit Spaß am Spiel. Wirtschaft hautnah erleben beim Exist-prime-cup«. Zu sehen ist ein Bild von vier jungen Menschen, zwei Mädchen und zwei Jungen, die vor einem Computerbildschirm sitzen. Wie tief der Rassismus verankert ist, kann man daran erkennen, dass hier die Personenauswahl gar in vermeintlich antirassistischer Intention erfolgt. Der abgebildete Personenkreis soll unabhängig vom Geschlecht und der »ethnischen Herkunft« als gleichberechtigt konstruiert werden. Doch auch hier wird aufs Neue der »Rassegedanke« reproduziert: »race blanche«, »race rouge«, »race jaune« und »race noire« (»hautnah« erleben!), wobei es uns nicht sonderlich wundert, dass sich »die Blondine« im konzentrischen Mittelpunkt des Bildes befindet: die »race blanche« als die edelste »Ur-Rasse«, als die weiße Norm der Dominanzkultur.
Der Afrodeutschen Noah Sow ist beizupflichten, wenn sie die Meinung vertritt, Deutschland sei ein rückständiges Land bezüglich des Umgangs mit Rassismus. In Deutschland gibt es beispielsweise keine nennenswerte Bereitschaft, auf den Begriff »Rasse« als vermeintliche biologisch-genetische Größe zu verzichten und den Terminus »Rasse« nur als soziales Konstrukt im Kontext einer Rassismusanalyse zu benutzen. Noch immer existiert der Begriff »Rasse« in Art. 3 Abs. 3 GG. Trotz zahlreicher Stellungnahmen und Aufforderungen an die Bundesregierung ist der Terminus »Rasse« im Grundgesetz bis heute nicht ersetzt worden. Ein Grundgesetz ohne »Rasse« gibt es nicht. Dieser Tatbestand gilt indes nicht nur für das Grundgesetz; auch ein »rassefreies« Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) existiert nicht. In dem aus dem Jahr 2006 stammenden Gesetz heißt es gleich im ersten Paragrafen: »Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.« Ein im Sinne des AGG von Rassismus betroffenes Opfer, dem ein Arbeitsplatz mit der Begründung verweigert wird, dass die Kundschaft durch einen »Schwarzen« abgeschreckt werde, muss demzufolge erst einmal akzeptieren, dass es »Rassen« gibt, dass er/sie zur »Race noir« zählt, um eine Klage einreichen zu können. Dergestalt betrachtet muss das Opfer dazu bereit sein, sich rassistisch kategorisieren und damit aufs Neue diskriminieren zu lassen, um gegen eine Diskriminierung juristische Schritte einlegen zu können. Ist Deutschland (weiterhin) ein (zutiefst) rassistisches Land?
Es sei angemerkt, dass z. B. auch in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, die eine zeitgemäße Fassung des Hippokratischen Eides darstellen soll, bis heute das Wort »Rasse« benutzt wird, so heißt es hier:
»Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung.«
Bewegung gibt es bezüglich des Terminus »Rasse« in Deutschland allerdings auf Länderebene. So ersetzte im November 2013 das Bundesland Brandenburg in der Länderverfassung die Passage »wegen seiner Rasse« durch die Wortwahl »aus rassistischen Gründen«. Eine Diskussion diesbezüglich findet auf Länderebene auch in Berlin statt, bislang indes aber ohne Resultat.
Nicht zu unterschätzen ist, dass der Rassismus sich auch im Kontext von Wörtern, Namen sowie Symbolen und Bildern manifestiert. Geht es um Benennungen von öffentlichen Institutionen und Straßen, so lässt sich bereits »vor der eigenen Haustür kehren«. Rassismus ist kein Phänomen, das sich irgendwo im (verbalen) Niemandsland abspielt. Reflektiert der Autor sein eigenes soziales Umfeld, so ist die im Jahr 2009 erfolgte Umbenennung der TFH Berlin in »Beuth Hochschule für Technik Berlin« anzuführen. Zum Zeitpunkt der Namensgebung muss es den Akteuren der Benennung bekannt gewesen sein, dass es sich bei Christian Peter Wilhelm Beuth (1781–1853) nicht nur um einen Reformer des preußischen Gewerbewesens handelte, sondern auch um ein bekennendes Mitglied der im Jahr 1811 gegründeten Deutschen Tischgesellschaft, die sich durch ihre starke antisemitische Grundhaltung auszeichnete. Zu den Texten, die im Kreis der Gleichgesinnten vorgetragen wurden, gehörte u. a. Achim von Arnims (1781–1831) antisemitischer Text »Über die Kennzeichen des Judentums«. Der Zweck des Textes bestand neben der »antisemitischen Belustigung« der Mitglieder in der Agitation für den Ausschluss der Juden aus den eigenen Reihen, was laut Arnim auch die »Absonderung« sogenannter »heimlicher Juden« einschließen sollte. Die Rede geht in ihrem mittleren Teil in einen Knittelvers über, der sich u. a. der Rassifizierungstechnik der Animalisierung (vgl. Kap. 2.6.1) bedient und den Bogen zu antisemitischen NS-Propagandafilmen spannt. Da heißt es:
»Der Ritter ruft: Was machst Du Katz [gemeint ist ein Frankfurter reicher Jude, d. Verf.]? / Der Jude sprach: Da läuft ein Ratz [eine Ratte, d. Verf.] / Und wirklich war zu dieser Zeit / Die ganze Stadt der Ratten Beut, / Die in dem Judenschmutz geheckt. / Der Jud hätt sich so gern versteckt / Wie eine Ratt im Loche klein / Er möchte gern unsichtbar sein […].«
Der Knittelvers endet mit der Zwangstaufe des Juden, wobei noch vermerkt wird: »Ein wenig Schläge obenrein, / Das soll ihm zum Gedächtnis sein.« Es ist einer der wohl schlimmsten antisemitischen Texte der deutschen Romantik, zumal er den eliminatorischen Hass des Autors erkennen lässt.
Zu den Befürchtungen des Tischgenossen Beuth zählte die Vorstellung, dass die Juden in Preußen rechtlich gleichgestellt würden und somit auch Landbesitz erwerben könnten. Ein des Beschneidens unkundiger christlicher Geistlicher, so Beuth, müsste sich dann gar der Aufforderung stellen, den Sohn eines jüdischen Gutsherrn zu beschneiden. Beuth tröstete sich mit den Worten, dass »das Verbluten und Verschneiden manches Judenjungen die wahrscheinliche und wünschenswerte Folge davon sei«. Bereits die Statuten der Deutschen Tischgesellschaft sprechen Bände über die Gesinnung ihrer Mitglieder. Einzuladen, so hieß es, seien nur »Wohlanständige«, worunter Männer »von Ehre und guten Sitten und in christlicher Religion geboren« verstanden wurden und keine »Philister«, als dessen Verwandte Clemens Brentano (1778–1842) – ebenso Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft – die Juden bezeichnete.
Die Statuten der Tischgesellschaft zielten auf die Diskriminierung von Juden, ihren Ausschluss aus dem öffentlichen Leben; die Mitglieder teilten nicht nur ihren antifranzösisch-preußischen Patriotismus, sondern auch ihre Judenfeindschaft, die sich bei Arnim und Beuth deutlich dem Sprachduktus des eliminatorischen Antisemitismus annäherte. Mitglieder der Deutschen Tischgesellschaft forderten die Verweigerung der Staatsbürgerrechte, ja gar die Verbannung der Juden. Ein Vorbild für Studierende an einer deutschen Hochschule kann Christian Peter Beuth folglich nicht sein. Für wechselseitigen Respekt an einer Universität mit hohem Migrationsanteil, heterogener Religionszugehörigkeit sowie einer Mischung aus säkularen und nicht-säkularen Studierenden steht Beuth gerade nicht.
Die »Beuth Hochschule für Technik Berlin« befindet sich im Wedding, einem Berliner Ortsteil des Bezirks Mitte, unweit des sogenannten »Afrikanischen Viertels«, das durch seine ungewöhnlichen Straßennamen wie Togostraße, Kameruner und Swakopmunder Straße auffällt, die deutsche Kolonialgeschichte offenbaren. Bis heute werden dabei auch Schlüsselpersonen des deutschen Kolonialrassismus geehrt: Gustav Nachtigal (»Nachtigalplatz«), Franz Adolf Lüderitz (»Lüderitzstraße«) und Carl Peters (»Petersallee«). Letzterer gründete im Jahr 1884 die »Gesellschaft für Deutsche Kolonisation«; auf seine Aktivitäten ist die Kolonie »Deutsch-Ostafrika« zurückzuführen. Die offen rassistischen Einstellungen von Carl Peters (1856–1918) sind alles andere als ein Geheimnis, zumal bereits Ende des 19. Jh.s die Spitznamen »Hänge-Peters« und »blutige Hand« kursierten. Die Verflechtung von Antisemitismus und antinegridem Rassismus bzw. Kolonialrassismus bringt der sozialdemokratische Vorwärts im Februar 1899 in der Charakterisierung von Peters als grimmigem »Arier« zum Ausdruck, »der alle Juden vertilgen will und in Ermangelung