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Wo die Seele atmen kann. John EldredgeЧитать онлайн книгу.

Wo die Seele atmen kann - John Eldredge


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in dem ein Mensch etwas Schönes wahrnimmt, ist der Moment, in dem er erkennt, welches Geschenk das Leben ist.“15

      Schönheit erzählt uns auch etwas von Fülle und Überfluss.

      Zwei Tage bevor ich an den Yellowstone-Wasserfällen war, saß ich mit meinem Campingstuhl hoch über einem See, irgendwo in dem Teil der Rocky Mountains, der sich Wind-River-Range nennt. Ich verbrachte den ganzen Nachmittag dort und ließ die Schönheit der Natur auf mich wirken. Der See und die Granitfelsen waren wunderschön, aber noch mehr faszinierten mich die immergrünen Wälder an den Bergabhängen. Hier regnet es viel, die Bäume wachsen üppig und in saftigem Grün, der Wald erschien mir so dicht, als würden Millionen von Bäumen an diesen Hängen stehen.

      Es tat meiner Seele gut, den Blick auf diesem Grün ruhen zu lassen. Warum? Ich glaube, das hat mit der Wahrnehmung von Überfluss zu tun. Jeder einzelne Baum ist schon ein Wunder an sich. Hundert Bäume sind ein hundertfaches Wunder. Aber hier schaute ich auf eine unzählbare Menge an Bäumen, Zehntausende, die hoch aufragten, dicht an dicht, deren dunkles Grün von Kraft und Gesundheit zeugte. Der Anblick rührte etwas in meiner Seele an, was sehr tief, sehr verborgen ist, als sei es die Erinnerung an Eden.

      Bilder können Botschaften weitergeben, die direkt in die Seele hineinwirken. „Bei Matisse sehen wir, dass schöne Dinge uns immer einen Gruß aus einer anderen Welt übermitteln.“16 Für Christen sind das Grüße aus Gottes Welt, direkt aus seinem Königreich.

      Ein weiterer Grund, warum Schönheit uns so guttut, ist die Sicherheit, die sie uns gibt. Wenn wir etwas Schönem begegnen, gibt uns das innerlich die Gewissheit, dass Gottes Gnade immer noch da ist und unser Leben umgibt. Diese Zusicherung können wir gar nicht oft genug bekommen.

      Solange es schöne Dinge in der Welt gibt, existiert auch das Gute noch und es ist realer als alles Unheil, alle Ängste und das ganze Böse in der Welt. Schönheit ist ein Hinweis auf Überfluss und erinnert uns daran, dass von Gott eine Fülle von Gutem und von Leben ausgeht. Wenn wir Schönheit erleben, wissen wir gleichzeitig, dass Gott ein gutes Leben für uns hat. Es ist, als würde uns bestätigt, dass alles zu einem Happy End kommen wird. Der französische Impressionist Matisse „sagte immer wieder, er wolle Bilder malen, die so schön sind, dass man beim Betrachten alle seine Probleme vergisst“17.

      Schönheit ist eine sanfte Gnade. Sie ähnelt dem Wesen Gottes, sie schreit nicht herum und drängt sich nicht auf. Stattdessen umwirbt sie den Betrachter, besänftigt und lädt ein, sie ist liebevoll und zärtlich. Angesichts von Schönheit, die auf unsere Seele einwirkt, seufzen wir oft – dieses wohltuende, tiefe Seufzen des Herzens.

       Einfach mal ausprobieren

      Man muss keine weiten Reisen unternehmen, wenn man Schönes sehen will. Gott hat davon genug geschaffen und es über die ganze Welt verteilt, sodass wir einfach nur innehalten und schauen müssen. Schönheit findet sich überall, oft auch gerade in den kleinen, ganz normalen Dingen unseres Alltags. Natürlich sind die großen Naturschauspiele besonders beeindruckend – der Himalaja als höchstes Gebirge der Erde, das Masai-Mara-Reservat in Kenia mit seiner faszinierenden Tierwelt, die Niagarafälle in Kanada, die vielen tropischen Inseln mit ihren Palmenstränden, das alles sind auf jeden Fall lohnende Reiseziele. Aber die Schönheit der kleinen Dinge ist für die Seele nicht weniger heilsam, vielleicht sogar eher noch mehr, und zu dieser wohltuenden Quelle haben wir immer und überall Zugang (selbst in lauten und überfüllten Städten, wie mein Erlebnis aus dem Londoner Vorort St. Albans zeigt).

      Gestern fiel Schnee. Nur ein paar Zentimeter. In der Nacht wurde es dann ziemlich stürmisch. Als ich heute Morgen vor die Tür trat, um einen Spaziergang zu machen, fand ich es viel zu kalt und wäre am liebsten wieder ins Haus gegangen. Aber der morgendliche Spaziergang ist wichtig für mich, also zwang ich mich hinauszugehen.

      Wenn wir frieren, zieht sich der Körper zusammen, wir schließen den Reißverschluss bis unters Kinn und ziehen die Kapuze so weit wie möglich übers Gesicht. Körper und Seele schützen sich vor der Kälte der Welt und wir fühlen und verhalten uns ganz anders als im Sommer, wenn wir barfuß die Wärme genießen. Mit gesenktem Kopf stapfte ich den Bürgersteig entlang in der Hoffnung, dass der Wind nicht durch meine Jacke dringen würde.

      Mein Blick war auf den Weg vor mir gerichtet, als ich plötzlich entdeckte, wie schön der überfrorene Schnee aussah. Der nächtliche Wind hatte den Schnee zu einer Vielzahl winziger Dünen geformt. Nur wenige Zentimeter hoch bedeckten sie den Boden, als würde es sich um eine Satellitenaufnahme der Sahara handeln. Welle verlief hinter Welle, eine krumme Symmetrie winziger Grate, wie ein zu Eis erstarrtes Meer. Weil mir so kalt war und ich den Kopf gesenkt hielt, war mein Gesichtsfeld auf kaum mehr als einen Quadratmeter reduziert und ich befand mich nur unweit von meinem eigenen Vorgarten. Trotzdem hatte ich plötzlich das Gefühl, die Luftaufnahme einer endlosen Wüste und ihre ganze elegante Kargheit und die unendlich weite Schönheit zu sehen.

      Es stimmt wirklich: Schönheit umgibt uns von allen Seiten. Wie schön können die Muster aus Licht und Schatten sein, die das Sonnenlicht im Laub der Bäume zeichnet. Oder Form und Farbe von Baumrinde – es lohnt sich, stehen zu bleiben und einmal einen Baumstamm aus der Nähe zu betrachten. Die Sonnenstrahlen, die morgens ihren Weg auf unseren Küchentisch finden. Die Maserung des Holzfurniers. Der Gesang der Vögel in Nachbars Garten. Das Gewebe eines Stoffes. Das weiche Licht einer Kerze. Die unendlichen, kreativen Muster, die der Frost entstehen lässt.

      Heute Morgen waren die Grashalme gefroren. Sie erinnerten mich an winzige gläserne Gladiolen oder eine kalligrafische Darstellung von Feen. Wasser ist immer faszinierend, in jeder seiner Erscheinungsformen. Der Wassertropfen, der an einem Grashalm hängt. Wasser, das von Blatt zu Blatt tropft. Auch ein einzelnes Blatt ist aus der Nähe betrachtet ein Wunderwerk, von Adern durchzogen, die eine feine Maserung entstehen lassen. Wie schön kann eine Wiese sein, wenn der Wind in den Halmen spielt. Oder ein Maisfeld, ein Weizenfeld – was auch immer gerade angebaut wird. Die funkelnden Sterne und der Mond mit seinen ständig wechselnden Phasen. Regennasse Straßen der Stadt bei Nacht, Wassertropfen auf der Windschutzscheibe.

      Ganz zu schweigen von den Gesichtern der Menschen in ihrer unendlichen Vielfalt und Schönheit. Und dann gibt es auch noch Blumen und Blumenvasen, Musik, Kunst und so viele andere schöne Dinge, mit denen wir unser Zuhause schmücken.

      Wenn wir davon ausgehen, dass Schönes wirklich für die Seele heilsam ist, dass es uns wohltut und unseren Blick für die Güte Gottes schärft, dann machen folgende beiden Vorschläge Sinn:

      Erstens: Empfangen wir dieses Geschenk mit angemessener Wertschätzung! Halten wir inne und erlauben wir der Schönheit, uns zu dienen. Ich erlaube diesem Schönen, mich im Herzen zu berühren. Viel zu oft registrieren wir nur kurz, dass etwas schön ist, und wenden uns sofort wieder ab, wie ein Spaziergänger, der einen Geldschein auf dem Weg sieht und sich nicht danach bückt. Halt, wir wollen ihn aufheben! Wir öffnen unser Inneres und nehmen die Schönheit auf, als Geschenk, als Gnade. Damit geben wir auch der Liebe Gottes die Möglichkeit, uns zu berühren, ihrer Sanftheit und ihrer grenzenlosen Güte.

      Wir sind im Alltag oft sehr unter Druck. Wir zeigen das nicht nach außen, aber innerlich sind wir häufig angespannt – wir müssen die Aufgaben des Tages schaffen, dürfen uns nicht ablenken lassen, sind ständigem Lärm ausgesetzt. Wenn sich uns plötzlich etwas Schönes zeigt, dann ist es Zeit, eine Pause einzulegen und ganz bewusst zu entscheiden: Ich empfange jetzt dieses Geschenk. Wir machen unser Herz weit und lassen das Schöne herein, denn wir wollen Gott darin begegnen. Oft bete ich: Danke für diese Schönheit. Ich nehme sie mit meinem Herzen auf und damit nehme ich dich auf, in dem Schönen, durch das Schöne kommen deine Liebe und Güte und dein Leben zu mir.

      Dieser bewusste Akt des Empfangens ist der Schlüssel.

      Oft ist das der Inhalt meiner einminütigen Pause. Ich nehme etwas Schönes bewusst wahr, lasse es auf mich wirken und atme tief durch. Dann steigt wieder dieses gewisse Seufzen auf.

      Zweitens: Wir können uns gezielt mit Schönem umgeben. Darauf war auch die an der Harvard-Professorin Scarry während eines besonders trostlosen


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