Sophienlust Box 16 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
– selbst dann nicht, wenn sich durch Adoption oder ähnliche Möglichkeiten ein wirkliches Glück für ein Kind ergibt. Sein einziger Trost ist dann meist nur eine Hochzeitsfeier hier in Sophienlust. Aber unser Flugkapitän wird kaum um seines Töchterchens willen eine Ehe eingehen. Jedenfalls hatte ich nicht den Eindruck von ihm. Er sieht blendend aus und hat all die vielen hübschen Stewardessen seiner Luftlinie, von den hübschen Fluggästen weiblichen Geschlechts ganz zu schweigen. Warum sollte er es um einer einzigen Frau willen, mit allen übrigen Frauen verderben? Ich finde, zwei Postkarten sind für solch einen Mann schon eine echte Leistung.«
»Warum fällst du so ein summarisches Urteil? Er hat doch eben erst Lexis Mutter zu seiner Frau gemacht …«
»… nachdem er sie zunächst mit dem Kind hat sitzenlassen«, vollendete Wolfgang Rennert trocken. »Mag sein, dass er nichts von dem Kind gewusst hat. Doch immerhin hat er sich der Mutter gegenüber nicht gerade wie ein Gentleman betragen. Oder bist du anderer Meinung, mein liebe kleine Carola?«
»Wir kennen die genaue Vorgeschichte nicht und sollten nicht vorschnell urteilen. Vielleicht weiß Josi mehr.« Fragend sah Carola die junge Ärztin an.
Doch Josefa Klinger schüttelte stumm den Kopf. Der Käseauflauf schmeckte ihr plötzlich nicht mehr.
»Ärzte sind an die Schweigepflicht gebunden«, stellte Wolfgang Rennert fest. »Halten wir also den Daumen, dass der Herr Flugkapitän Lexi nicht vergisst, sondern in absehbarer Zeit eine hübsche Stewardess zu seiner Frau macht, die auch bereit ist, Lexi bei sich aufzunehmen. Aber das hört sich für mich wie ein schönes Märchen an, das niemals wahr werden wird. Macht nichts, dann bleibt Lexi eben bei uns. Es lässt sich leben in Sophienlust, nicht wahr, Carola? Du bist doch auch hergekommen, um niemals wieder fortzugehen.« Er küsste seiner geliebten Frau die Hand.
»Vielleicht heiratet Nick oder Henrik die Kleine? Wer kann das heute wissen?«, sagte Josefa Klinger leise, um zu einem neuen Thema überzugehen.
»Nick wird von Pünktchen mit Beschlag belegt. Ich weiß nicht, wie der Junge darüber denkt, aber für Pünktchen steht fest, dass sie einmal seine Frau sein wird«, wandte Carola ein. »Manchmal mache ich mir Sorgen wegen Pünktchen, denn sie hat sich in diesen Gedanken fest verrannt, viel zu fest für ein Kind von elf Jahren.«
»Sie sind beide noch Kinder, doch vielleicht wird die Geschichte mit der hübschen Stewardess Wirklichkeit«, meinte Wolfgang Rennert lachend.
Wenig später hoben sie die kleine, gemütliche Tafel auf. Josefa Klinger, die müde war, zog sich in ihr Zimmer zurück. Dort saß sie im bequemen Sessel und legte den Kopf gegen die Rückenlehne, um nachzudenken. Ohne ihr Zutun beschäftigten sich ihre Gedanken mit dem Flugkapitän Alexander Rethy.
Hätte ich mich um Lexi gekümmert, wenn ich ihren Vater nicht gekannt hätte, fragte sie sich und fand keine Antwort darauf. Eines hatte sich aus dem anderen ergeben. Vivian von Stöcken, das Kind und der Flugkapitän waren gleichzeitig in ihr Leben getreten. Doch wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, so musste sie sich eingestehen, dass manches für sie ein neues und anderes Aussehen gewonnen hatte, seit der Flugkapitän Alexander Rethy mit seinem Töchterchen an das Sterbebett Vivian von Stöckens gekommen war.
Josefa Klinger schloss die Augen. Deutlich sah sie das sonnengebräunte Gesicht des großen Flugkapitäns vor sich. Ja, sie konnte sich vorstellen,
dass die hübschen Stewardessen es auf einen solchen Mann abgesehen hatten! Wolfgang Rennert hatte kaum übertrieben.
Die Ärztin seufzte. Bisher hatte sie nie ans Heiraten gedacht. Sie stammte aus Weißrussland und hatte früh beide Eltern verloren. Durch Stipendien war ihr das Studium ermöglicht worden, das sie trotzdem teilweise hatte selbst verdienen und erhungern müssen. Vielleicht hatte die Leberentzündung sie auch deshalb so besonders schwer mitgenommen. Sie jedoch, daran gewohnt, auf sich selbst nicht die geringste Rücksicht zu nehmen, hatte gemeint, dass sie das Gesundwerden erzwingen könne. Doch ihr Chef, ein erfahrener alter Arzt, hatte gerade noch zur rechten Zeit erkannt, dass sie im Begriff war, sich einen Schaden fürs ganze Leben zu erwerben. Er hatte ein Machtwort gesprochen und ihr einen längeren Urlaub verordnet, den sie nun bei ihrer Freundin Carola auf Sophienlust erlebte.
Josefa Klinger fühlte sich glücklich auf Sophienlust. Sie hatte hier nie Langeweile, denn die Kinder waren dankbar und begeistert, wenn sie sich mit ihnen beschäftigte. Sie las ihnen Geschichten vor und malte Bilder mit den Kleinen, wofür ihr die Kinderschwester Regine herzlich dankbar war. Manchmal nahm Josefa Klinger auch auf einem Spaziergang ein Grüppchen Kinder mit, oder sie half am Nachmittag den Größeren bei den Schulaufgaben.
Trotzdem fühlte sich Josefa Klinger neuerdings manchmal vereinsamt. Auch hielt sie oft nach dem Postauto Ausschau, in der Hoffnung, dass es ihr eine Karte von Alexander Rethy bringe. Und wenn Lexi, die sich besonders an sie angeschlossen hatte, sie sehnsüchtig nach dem Vater fragte, dann schlug ihr das Herz bis zum Hals herauf, weil sie nicht wusste, was sie dem Kind antworten sollte.
»Was ist mit mir?«, flüsterte Josefa Klinger in die Dunkelheit des kleinen Zimmers hinein. »Ich habe mich doch nicht etwa in ihn verliebt?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. Nein, für die Liebe war im Leben einer Ärztin, wenn sie erfolgreich sein wollte, kein Raum. Bisher hatte sie immer nur gearbeitet und nur daran gedacht, ihr Studium und die Medizinalassistentenzeit so rasch wie möglich hinter sich zu bringen. Nun war sie schon das zweite Jahr Assistenzärztin. Nein, jetzt durfte ihr so etwas wie Liebe nicht in die Quere kommen! Noch dazu die Liebe zu einem Flugkapitän, der sie sicherlich schon wieder vergessen hatte, wie er möglicherweise auch Lexi nach und nach aus dem Gedächtnis verlieren würde. Ein Dauerauftrag bei der Bank regelte die monatlichen Verbindlichkeiten für das Kind, und mehr Sorgen hatte er nicht!
Josefa Klinger stellte plötzlich fest, dass sie auf Alexander Rethy wütend war – wütend, weil er sie aus ihrem inneren Gleichgewicht gebracht hatte, wenn das auch durchaus nicht seine Schuld und wahrscheinlich nicht einmal seine Absicht gewesen war.
*
Am nächsten Tag erhielt die junge Ärztin einen Brief von einem Kollegen, dem Oberarzt Dr. Fred Wellner, der ihr launig vom Betrieb in der Klinik berichtete und durchblicken ließ, dass sie von ihm nicht nur bei der Arbeit vermisst werde.
Wenn ich überhaupt jemals heirate, so muss es ein Arzt sein, beschloss Josefa Klinger trotzig. Fred Wellner käme vielleicht infrage. Er hat sich schon öfter um mich bemüht. Aber ich halte es für möglich, dass er es nicht ernst meint, sondern mich nur gern mag, so ganz unverbindlich und allgemein. Er ist ehrgeizig und möchte einmal ein eigene Klinik haben. Ein Vermögen besitzt er nicht, also wird er nach einer Frau mit Geld Ausschau halten. Dass ich keinen Centbesitze, dürfte ihm bekannt sein, denn von meinem Gehalt als Assistenzärztin zahle ich jetzt noch die letzten Schulden aus der Studienzeit ab, wenn das auch glücklicherweise bis Ende des Jahres geregelt sein wird.
Immerhin – der Brief des Oberarztes hatte ihr ein wenig von ihrer inneren Sicherheit wiedergegeben, und dafür war sie dem Kollegen von Herzen dankbar, wenn er es auch nie erfahren würde.
Alexander Rethy kam unangemeldet, doch machte das in Sophienlust keinem etwas aus. Er habe Zeit – fünf volle
Tage –, und er wolle in Maibach im Gasthof ›Zum Bären‹ wohnen, erklärte er, um niemandem Mühe zu verursachen.
Josefa Klinger war verwirrt, als er ihr plötzlich gegenüberstand. Ihr erster Gedanke war, dass sie glücklicherweise am Tag zuvor beim Friseur gewesen war. Dann fiel ihr ein, dass sie sich umziehen müsse, denn das alte grüne Kleid war alles andere als vorteilhaft.
Alexa ging dem Vater langsam entgegen. »Guten Tag, Vati.«
Alexander Rethy hob sie auf seine Arme. »Grüß dich, kleine Maus. Freust du dich denn gar nicht, dass ich da bin?«
»Du fährst ja doch gleich wieder weg. Nick und Henrik sagen, Flugkapitän zu sein ist etwas Feines. Aber ich finde es dumm, dass du einer bist. Ich glaube, ich würde keinen Mann heiraten, der immer bloß weg ist und mal ’ne Karte schreibt.«
»Stimmt, Lexi, ich hätte öfter schreiben sollen«,