Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
zuckte nur die Schultern und ging. Otmar musste mit seinen Problemen allein fertig werden.
Gleich am nächsten Tag nahm er sich Urlaub und fuhr nach München, um seine Schwiegereltern aufzusuchen. Die beiden begrüßten ihn freundlich, zeigten aber deutlich ihr Erstaunen über seinen unangekündigten Besuch. Dann fragten sie ihn, warum er denn Irene nicht mitgebracht habe, sie hätten sich so darüber gefreut, ihre Tochter wieder einmal zu sehen.
So erwies sich die Fahrt nach München als Fehlschlag.
*
Da Lauretta bestrebt war, in der kurzen Zeit, die sie noch in Maibach sein würde, Anselm möglichst oft zu besuchen, war ein Zusammentreffen zwischen ihr und Irene unvermeidlich. Irene bemühte sich zwar, Anselms Mutter auszuweichen, aber sie hatte nicht mit Anselms Hartnäckigkeit gerechnet.
Irene saß gerade mit Vicky im Aufenthaltsraum und versuchte, dem Kind den Unterschied zwischen einer Schnittmenge und einer Vereinigungsmenge klarzumachen. Da Vicky insgeheim darauf brannte, hinauszulaufen, um mit den anderen Kindern zu spielen, war diese Aufgabe nicht einfach. Irene zeichnete unermüdlich Kreise, Schnittlinien, bunte Dreiecke und Vierecke, als sie von dem hereinstürmenden Anselm unterbrochen wurde.
»Tante Irene! Mami ist gekommen. Heute bist du endlich einmal auch da und kannst sie kennenlernen. Komm mit mir.«
»Nein, Anselm. Ich habe jetzt keine Zeit. Ich muss mit Vicky …«
Doch Vicky hatte längst die günstige Gelegenheit genutzt und die Flucht ergriffen. So blieb Irene nichts anderes übrig, als Anselm in die große Halle zu begleiten, wo Lauretta sie erwartete.
Nun standen die beiden Frauen einander gegenüber.
Irene war betroffen über Laurettas Schönheit. Sie dachte, dass eine Konkurrenz mit Frau Nissel von vornherein zum Scheitern verurteilt sei.
»Geh hinaus spielen, Anselm«, befahl Lauretta. »Ich möchte in Ruhe mit Tante Irene sprechen. Ich habe gerade gesehen, dass ein kleines Mädchen hier vorbeigelaufen ist. Lauf ihm nach.«
Anselm fügte sich widerspruchslos diesem Befehl.
Irene sah ein, dass sie um ein Gespräch mit Lauretta nicht herumkommen würde. Sie schlug ihr daher vor, mit ihr in den Aufenthaltsraum zu gehen, wo sie ungestört sein würden, da sich alle Kinder draußen im Freien befänden.
»Ich weiß, dass Sie mir gegenüber keine freundschaftlichen Gefühle hegen«, begann Lauretta, »und das ist nur allzu verständlich. Trotzdem muss ich mit Ihnen sprechen. Natürlich gibt es für mein Verhalten keine Entschuldigung. Es wäre zu viel verlangt, wenn ich Sie bitten würde, mir zu verzeihen.«
Irene hörte mit wachsendem Staunen zu.
Lauretta sprach weiter: »Obwohl ich wusste, dass Otmar verheiratet ist, habe ich mir über seine Frau nie den Kopf zerbrochen. Das heißt, ich war ziemlich verärgert, als er mir erzählte, dass er geheiratet habe, aber ich habe es hingenommen, und es ist alles beim alten geblieben. Über Ihre Gefühle habe ich nicht nachgedacht. Außerdem habe ich angenommen, dass die Sache zwischen Otmar und mir immer geheim bleiben würde.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«, fragte Irene.
»Weil ich von Otmar gehört habe, dass Sie ihn verlassen haben, und weil mir das leid tut.«
»Wieso? Das müsste Sie doch freuen. Otmar ist jetzt frei.«
»Nein, das freut mich ganz und gar nicht. Einen Augenblick lang habe ich Schadenfreude empfunden, aber dann ist mir klargeworden, dass er sich in einem bedauernswerten Zustand befindet.«
»So?«, fragte Irene interessiert.
»Die Trennung von Ihnen hat ihn völlig niedergeschmettert, und deshalb …«
»Das glaube ich nicht. Das ist Unsinn«, unterbrach Irene sie mit einiger Schärfe.
»Es ist die Wahrheit«, beharrte Lauretta. »Mir ist es nicht leichtgefallen, hierherzukommen und mit Ihnen zu sprechen. Sie hassen und verachten mich, und das mit Recht. Ich hatte jedoch gehofft, dass ich einiges wiedergutmachen könnte, wenn ich Ihnen sage, dass Otmar Sie liebt und sich mit Ihnen versöhnen möchte.«
»Das sagen Sie mir?«, fragte Irene verwundert. »Ich verstehe nicht, wieso Sie daran interessiert sind, dass ich mich mit Otmar versöhne. Sie müssten sich doch freuen, dass ich mich von Otmar scheiden lassen will und er dann frei ist.«
»Ich erkläre Ihnen noch einmal, dass mich das nicht freut. Es klingt unmoralisch, aber ich hatte nie den Wunsch, Otmar zu heiraten.«
»Ich dachte … Lieben Sie ihn denn nicht?«
»Nein. Früher einmal habe ich ihn geliebt. Aber selbst damals war mir klar, dass wir niemals zusammenpassen würden. Otmar, mit seinen spießbürgerlichen, kleinlichen Anwandlungen … Verzeihung, ich wollte Sie nicht kränken.«
»Das kränkt mich nicht, obwohl ich fürchte, dass ich Otmars Ansichten in gewisser Weise teile. Eigentlich passt es gar nicht zu ihm, dass er eine Freundin wie Sie hatte«, meinte Irene versonnen.
»Eben«, stimmte Lauretta eifrig zu. »Es wäre mit mir und Otmar nie gutgegangen.«
»Warum haben Sie ihn dann weiterhin getroffen und sind sogar mit ihm auf Urlaub gefahren?«
»Ich gebe zu, dass das nicht richtig war. Irgendwie habe ich nie zur Kenntnis genommen, dass Otmar verheiratet ist und dass ich Ihnen damit weh tun könnte. Es war vor allem Anselm, der uns immer wieder zusammengeführt hat. Doch ich versichere Ihnen, jetzt ist zwischen Otmar und mir alles zu Ende. Ich werde in ein paar Tagen nach Frankreich fahren, um in Paris eine Filmrolle zu übernehmen.«
»Oh, Sie fahren wirklich nach Paris? Für lange?«
»Ja. Ich hoffe es zumindest. Wenn der Film gut wird, und davon bin ich überzeugt, steht meiner Karriere nichts mehr im Wege.«
Irene beneidete Lauretta um ihr Selbstbewusstsein. Aber sie gestand sich ein, dass Lauretta aufrichtig bemüht war, ihr zu helfen. Sie selbst hätte es nie über sich gebracht, hier zu erscheinen und eine Unterredung mit der betrogenen Ehefrau zu suchen.
Da durchzuckte sie ein plötzlicher Schreck. Anselm! Er hatte ihr doch anvertraut, dass seine Mutter ihn nach Paris mitnehmen wolle. Beklommen fragte sie Lauretta: »Und was geschieht mit Anselm? Haben Sie vor, ihn mitzunehmen?«
»Ursprünglich wollte ich es tun. Aber Frau von Schoenecker hat mir ganz entschieden davon abgeraten. Und ich sehe ein, dass ihre Argumente richtig sind. Ich weiß, dass ich nicht das Idealbild einer Mutter darstelle, doch ich habe Anselm wirklich gern und will nur das Beste für ihn. Deshalb werde ich ihn hierlassen.«
Man merkte Irene deutlich die Erleichterung an, die sie bei diesen Worten empfand. Das gab Lauretta Mut, die Bitte zu äußern, die sie auf dem Herzen hatte: »Eigentlich wollte ich hauptsächlich wegen Anselm mit Ihnen reden. Er hat mir mit einer solchen Begeisterung von Ihnen erzählt, dass ich davon überzeugt bin, dass er Sie sehr liebgewonnen hat. Und Sie haben ihn doch auch gern, nicht wahr?«
»O ja.«
»Ich wäre so erleichtert, wenn ich die Gewissheit hätte, dass Sie sich ab und zu um ihn kümmern würden und ihn in Sophienlust besuchen würden.«
»Das will ich gern tun.«
»Noch schöner wäre es allerdings, wenn Sie sich mit Otmar versöhnen würden. Dann könnte Anselm bei Ihnen wohnen und hätte eine richtige Familie.«
Irene seufzte. Sie hatte Mühe, die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, zurückzuhalten. Lauretta sprach genau das aus, was sie sich so sehr gewünscht hatte. Aber jetzt war es zu spät. Wenn sie geahnt hätte, dass alles so kommen würde, wäre sie bei Otmar geblieben. Doch woher hätte sie wissen sollen, dass Lauretta keinerlei Absichten auf Otmar hatte? Sie hatte angenommen, dass er und Lauretta sofort heiraten würden.
Diese Gedanken behielt Irene jedoch für sich. Laut sagte sie nur: »Es ist zu spät. Ich kann jetzt unmöglich zu Otmar zurück.«