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Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.

Sophienlust Staffel 14 – Familienroman - Elisabeth Swoboda


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Mund und rief laut und schallend: »Inge!«, und immer wieder »Inge!«

      Natürlich wusste er, dass er kein Recht zu dieser Anrede hatte. Aber war das in dieser Situation überhaupt wichtig? Vielleicht lag Frau Hellbach irgendwo allein und hilflos im Wald. Vielleicht war sie gestürzt, hatte sich ernsthaft verletzt.

      Schreckliche Vorstellungen quälten Christian. Irgendwie fühlte er sich schuldig an der ganzen Sache. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er nicht hierhergekommen wäre. Doch dann hätte er auch nicht die Möglichkeit gehabt, Inge Hellbach beizustehen, ihr nach Kräften zu helfen.

      So weit Christian sehen konnte, war im Wald alles still und friedlich. Es bewegte sich kaum ein Ästchen im Wind. Nur das Murmeln einer Quelle war zu hören.

      Vielleicht bin ich in die falsche Richtung gegangen, überlegte der junge Mann. Vielleicht sollte ich umkehren, sollte auf der gegenüberliegenden Seite des Tales mein Glück versuchen.

      Doch dann ging er trotzdem weiter. Er zweigte vom Weg ab, stieg über eine Geröllhalde zu einer kleinen Anhöhe empor. Von dort oben hatte man einen wundervollen Blick über die ganze Gegend, doch Christian sah nichts davon. Seine Augen suchten das weite Gelände nach einer schlanken blonden Frau ab. Würde er sie finden? Würde er ihr sagen können, dass sie nicht allein war, dass er zu ihr hielt?

      Christian stieg weiter bergan, erreichte eine Schutzhütte. Die roh zusammengezimmerten Stämme waren schon etwas verwittert. An der verrußten Feuerstelle lagen einige angebrannte Holzstücke.

      Rasch wollte der junge Mann weitergehen, als er ein leises Wimmern hörte. Es klang wie das ängstliche Weinen eines Kindes. Vorsichtig trat Christian in das Innere der Blockhütte. Es war dunkel darin. Er brauchte einige Sekunden, ehe seine Augen etwas zu erkennen vermochten.

      In einer Ecke kauerte eine Gestalt auf dem schmutzigen Erdboden. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Krampfartiges Schluchzen schüttelten den zarten Körper.

      »Inge!« Erschüttert trat Christian näher. Er kniete neben der jungen Frau nieder, die ihn jedoch überhaupt nicht zu bemerken schien. Ihre Haltung veränderte sich nicht.

      Sanft legte der junge Mann den Arm um die zitternde Gestalt. Er zog mit leisem Druck ihre Hände herunter und erschrak. Inge Hellbachs Körper glühte im Fieber. Ihre Augen waren verschwollen, ihr Blick war irr.

      »Mein Gott, Sie dürfen nicht hierbleiben. Ich werde Sie in die Klinik bringen. Sie sind krank!«

      Inge schien die beruhigende Stimme nicht wahrzunehmen. Sie weinte unaufhörlich, krümmte sich wie ein Wurm. Speichel floss ihr aus dem Mund, das blonde Haar hing wirr um ihren Kopf. Die hübsche junge Frau bot einen schrecklichen Anblick.

      Christian fasste nach dem Puls. Er raste. Würde das Herz dieser Belastung überhaupt gewachsen sein? Angst erfasste den jungen Mann. Er musste handeln, und zwar möglichst rasch.

      Doch was konnte er tun? Hier oben in der Einsamkeit des Waldes gab es kein Telefon. Er konnte kein Taxi rufen, keinen Arzt um Hilfe bitten. Er war ganz allein auf sich selbst angewiesen.

      Christian Gentsch spürte erst jetzt die Strapazen des mühevollen Aufstieges. Seine Füße schmerzten, seine Glieder waren schwer wie Blei. Trotzdem würde er sofort den Rückweg antreten müssen. Aber nicht allein. Er würde Inge Hellbach auf seinen Armen ins Tal hinunterbringen, würde dafür sorgen, dass sie in ärztliche Behandlung kam.

      »Ganz ruhig sein, es wird schon wieder alles gut«, murmelte er, während er die Kranke vom Boden aufhob. Sie war nicht schwer, aber sie wehrte sich gegen das Wegbringen. Deshalb keuchte Christian vor Anstrengung. So liebevoll und beruhigend er auch auf Inge einredete, sie hörte es nicht. Es war, als lebe sie in einem Wahn des Schreckens und der Angst. Immer wieder schrie sie laut und gellend auf, warf sich mit aller Kraft herum und versuchte auf die Beine zu kommen.

      Der Weg war steil, steinig und an vielen Stellen glitschig. Mehr als einmal verlor Christian das Gleichgewicht, drohte zu stürzen. Doch er fing sich immer wieder. Er schwitzte, japste nach Luft, drohte zusammenzubrechen. Und doch schaffte er es, ins Tal zu kommen.

      Spaziergänger hatten inzwischen einen Krankenwagen herbeigerufen, der Inge am Waldrand in Empfang nahm. Mit Blaulicht ging es in rasender Fahrt ins Krankenhaus.

      Christian Gentsch saß neben der Trage, erschöpft und ausgepumpt. Lieber Gott, hilf ihr, lass sie nicht sterben, flehte er in Gedanken.

      *

      Das melodische Bimbam der Türglocke schallte laut durch die Ferienwohnung. Norbert Hellbach hörte es, doch er dachte gar nicht daran, seinen Platz an der Bar zu verlassen. Vor ihm stand eine leere Flasche. Seine Augen waren glasig, sein Gesicht aufgedunsen.

      Jetzt läutete auch noch das Telefon. Der Dirigent starrte böse hinüber. Dann griff er zu einer neuen Flasche, öffnete den Schraubverschluss und setzte die Flasche an die Lippen.

      Das Klingeln wurde unüberhörbar. »Hört auf!«, schrie Norbert Hellbach wütend. »Ich will, dass hier Ruhe herrscht!« Er schleuderte die leere Flasche in Richtung Telefon. Das Geschoss traf nicht, aber trotzdem verstummte der Apparat.

      Norbert grinste zufrieden. Auf wackeligen Beinen torkelte er gleich darauf durch den Flur, drückte die Klinke der Wohnungstür herunter. »Sieh an, der junge Vater«, höhnte er, als er Christian Gentsch erblickte.

      »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass man Ihre Frau ins Krankenhaus bringen musste. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Man musste hochwirksame Beruhigungsmittel spritzen. Jetzt schläft sie.«

      Natürlich bemerkte der Student sofort, in welchem Zustand der Dirigent war. Sicher erfasste er den Sinn dieser Nachricht überhaupt nicht.

      Norberts nächste Worte bewiesen es. »Alles nur Getue«, kreischte er aufgebracht. »Inge will mit Gewalt etwas durchsetzen. Kann sie ja! Ich stehe euch nicht im Wege. Ich bin mit der Scheidung einverstanden.«

      Der Dirigent war so laut, dass der Student rasch die Tür schloss und Norbert in den Flur schob. Wieder meldete sich das Telefon.

      »Lass es klingeln«, lallte Norbert Hellbach.

      »Vielleicht ist es das Krankenhaus.« Christian Gentsch hatte bereits den Hörer in der Hand. Angstvoll presste er ihn ans Ohr. Die Situation war grotesk. Er sorgte sich um eine junge Frau, die er gestern noch gar nicht gekannt hatte. Um die Frau eines anderen. Und dieser andere wusste nichts Besseres zu tun, als sich sinnlos zu betrinken.

      Schwankend trat Norbert Hellbach neben den jungen Mann. »Es ist meine Agentur, das weiß ich. Heute Nachmittag ist im Kurhaus ein Konzert. Sicher glaubt man, dass ich es vergessen habe.«

      »Man wartet auf Sie«, flüsterte Christian und legte die Hand über die Sprechmuschel.

      »Soll man ruhig ohne mich anfangen.«

      »Aber Sie haben einen Vertrag. Man wird Sie mit einer Konventionalstrafe belegen.«

      »Soll man doch. Es ist mir gleichgültig. Vielleicht dirigiere ich überhaupt nie wieder. Vielleicht zähle ich nur noch die Flaschen.« Er torkelte wieder zur Bar.

      »Tut mir leid, aber Herr Hellbach ist krank«, sagte Christian in den Apparat. Es hatte tatsächlich keinen Sinn, dass der Dirigent zu der Veranstaltung ging. Er konnte ja kaum noch stehen.

      »Was bin ich?«, schrie Norbert Hellbach und kam sofort zurück. »Krank? Das könnte Ihnen so passen. Ich fühle mich pudelwohl. Das können Sie auch Inge sagen. Ihr albernes Getue hat mich nicht um den Verstand gebracht.«

      »Vielleicht können Sie morgen …«

      »Nein. Ich laufe ihr nicht nach. Sie hat mich verlassen. Also muss sie schon zurückkommen, wenn sie etwas von mir will.«

      Christian Gentsch schüttelte den Kopf. Es hatte tatsächlich keinen Sinn, sich weiter mit Norbert Hellbach zu unterhalten. Dieser Mann wusste nicht mehr, was er sagte. Vielleicht würde er morgen begreifen, wie unmöglich er sich benommen hatte. Morgen, wenn die Zeitungen darüber berichten würden, wie unzuverlässig der große Künstler war.

      *


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