Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3. Dirk van den BoomЧитать онлайн книгу.
war mit beidem zufrieden. Sie verstand Darius und aus diesem Verständnis erwuchs der eklatante Mangel an Überraschung.
Es musste lange im Prinzen gekocht haben. So lange und tief verborgen, dass es selbst Aume eine ganze Weile verborgen geblieben war, die alles sah, alles hörte und deren Erkennungsroutinen für menschliche Mimik und Gestik eine nahezu perfekte Qualität erreicht hatten. Doch dann, kurz nachdem sie sich endgültig zum Aufbruch entschlossen hatten, um das Elend nicht länger mit ansehen zu müssen, hatte er es angekündigt. Es war kein Vorschlag gewesen. Eine Entscheidung, nachvollziehbar, von klarer Motivation und dennoch unvorhergesehen für alle anderen, nicht zuletzt, da sie alle begriffen, wie dieser Schritt beide Männer ins Verderben zu führen in der Lage war.
»Mein Vater muss die Kontrolle verloren haben – entweder über sich oder über das Imperium, und ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist«, waren seine einleitenden Worte gewesen und es folgten weitere, eine Art Rechtfertigung, gewiss eine Erklärung, aber vor allem ein Weg, sich noch einmal selbst davon zu überzeugen, dass dieser Schritt der richtige war. Menschen brauchten das, so hatte Aume gelernt. Sie warben um Legitimation. Selbst brutale Diktatoren gierten nach ihr, einer höheren Bestätigung, die ihre persönlichen Motive vertretbar machten.
Aume fand das eher schwierig.
»Es ist gefährlich«, sagte Vocis unnötigerweise, offenbar erfüllt vom Beschützerinstinkt einer imperialen Soldatin, die von früh an darauf konditioniert worden war, ihr Leben für die Herrscherfamilie hinzugeben, egal welche Bedrohung sich ihr in den Weg stellen sollte. Sie konnte nichts dagegen tun, aller Selbstkontrolle zum Trotz, denn die Psychomechaniker der Ausbildungseinheiten verstanden ihr Geschäft. Noch mehr Sozialisation.
»Ich bin mir der Gefahr bewusst, aber ich kenne mich im Zentrum der Macht aus«, erwiderte Darius begütigend, wohl wissend, dass Vocis dieser Beruhigung zur Wahrung ihrer geistigen Stabilität bedurfte. »Ich nehme Sol mit, denn er hat Talente, die mir helfen werden.«
Sol nahm diese Bemerkung zum Anlass, selbstgefällig zu grinsen, das erste Mal seit geraumer Zeit, dass er zufrieden wirkte.
»Wie wollen Sie vorgehen?«, fragte Plastikk, wie stets an den praktischen Aspekten ihrer Absichten interessiert.
»Ich kenne Leute. Solche, die meinen Ansichten zugeneigt sind. Ich werde mit ihnen Kontakt aufnehmen. Und ich werde mit meinem Vater reden.« Er machte eine betonte Kunstpause. »Ob er nun will oder nicht.«
Das klang sehr entschlossen. Es klang vor allem endgültig. Aume kannte das spezielle Timbre, sie wusste, dass Menschen dann, unabhängig von ihrem Intelligenzgrad, keine weiteren Diskussionen wünschten. Also tat sie alles, um diesen ohnehin unausweichlichen Prozess zu beschleunigen.
»Ich werde euch ein passendes Schiff erstellen. Ich benötige einige Rohstoffe, aber das Problem können wir auf dem Weg lösen«, erklärte Aume ihre Unterstützung.
Darius nickte ihr dankbar zu. »Ich habe bestimmte Spezifikationen«, sagte er dann mit einem um Entschuldigung bittenden Unterton. »Ein kleines Schiff nur. Aber es sollte nicht unnötig auffallen. Es muss einen grünen Drachen tragen, das Wappen meiner Familie. Nur eine Geste, aber jedes Statement kann mir helfen, zur richtigen Zeit den richtigen Effekt zu erzielen.«
»Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Ich mache mich sofort an die Arbeit.«
»Und wir …«, sagte Plastikk. »Wir fliegen zu der Welt, auf der Dendh seine Flotte gebaut hat, zu den Koordinaten, die Vigil übermittelt wurden?«
»Das ist möglicherweise nicht das Gleiche«, hörten sie Thasris Stimme.
Aume zögerte mit einer Antwort. Das fiel nicht nur Plastikk auf, der misstrauisch die Stirn in Falten legte. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war aller Aufmerksamkeit auf Aume gerichtet, die nicht den Eindruck machte, als sei ihr dies besonders unangenehm. Dennoch merkte jeder sofort, dass sie noch eine Neuigkeit zu erklären hatte, eine, die von ihren bisherigen Annahmen abwich.
»Ich denke, dass wir neue Informationen haben«, sagte die Schiffsintelligenz und sah Thasri an, die bestätigend nickte.
»Heraus damit!«, forderte ausgerechnet Holoban Kerr, und das mit einem gewissen Nachdruck. Ob es seine Worte waren oder die Erkenntnis, dass jede weitere Verzögerung nur unnötigen Unwillen heraufbeschwören würde …
Aume sprach Thasri an. »Die Kath haben Ihnen ein Geschenk zum Abschied gemacht.«
»Das stimmt. Ein Datenspeicher voller historischer Aufzeichnungen.« Die Wissenschaftlerin verzog ein wenig das Gesicht. »Redaktionell bearbeitet, nehme ich an.«
Wer seine Geschichte beherrschte, beherrschte alles. Aume war sich dieser Tatsache bewusst, also waren es die Kath auch. »Haben Sie schon Gelegenheit gehabt, sich davon das eine oder andere anzusehen?«
»Nur sehr oberflächlich. Viel interessantes Material, zum Teil in grandioser Detailfülle. Für die Historikerin in mir eine Goldgrube, in die ich mich stürzen und aus der ich niemals wieder auftauchen möchte, vor allem, wenn ich die Gelegenheit bekommen sollte, die dort gemachten Angaben mit Funden auf Kath-Welten in Zusammenhang zu bringen.« Thasri sah immer noch so kritisch drein, dass sie ihre Worte ein wenig Lügen strafte. »Ich kann einfach nicht alles für bare Münze nehmen. Ich benötige valide Verweise, die diese Daten bestätigen, sonst bleiben sie nur eine schöne Geschichte.«
»Geschichte besteht oft nur aus schönen Geschichten«, sagte Darius. »Ich darf das sagen, meine Familie war und ist ebenfalls ganz hervorragend in ›redaktioneller Bearbeitung‹.« Er sagte es mit dem notwendigen Grad an Bitterkeit, der half, die eigene Distanz zu dieser Praxis zu betonen.
»Die Kath tun nichts ohne Grund«, sagte Aume. Sie schaute bedeutungsvoll drein und dieses Bemühen verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Ich habe in der Tat etwas gefunden, was unser weiteres Vorgehen betrifft«, kündigte die Wissenschaftlerin an. »Ich habe Aume bisher keinen Zugriff gewährt.«
»Weil Sie mir misstrauen.«
»Oh ja.«
»Gut. Ich habe gelernt, dass blindes Vertrauen meist fatale Konsequenzen haben kann. Gewähren Sie mir nun Zugriff oder sollen wir uns auf Ihre Analyse verlassen?«
»Auch mir«, sagte Thasri lächelnd, »sollte niemand blind vertrauen. Nicht einmal ich selbst. Gerade beim Thema Kath besteht die Gefahr, dass ich mich von meiner eigenen Begeisterung allzu sehr mitreißen lasse.«
Sie holte den Datenspeicher hervor, hielt ihn in die Luft.
»Keine Ahnung, wie Sie zugreifen wollen, aber ich erlaube Ihnen Zugriff, Aume. Mal schauen, ob ich mich des Vertrauens der Kath als würdig erweise. Ich glaube, Sie standen auch einmal vor dieser Frage.«
Genau das war der Punkt. Aume nickte dankbar. Sie machte eine Geste, die für alle Passagiere den Zugriff symbolisierte, schloss die Augen, hob eine Hand in Richtung des Speichers, unnötiges Gewedel, aber wichtige nonverbale Kommunikation.
Alle lasen in ihrem Gesicht, das für sie wie ein offenes Buch den Prozess widerspiegelte, der nun ablief.
Aume fand, wonach sie suchte. Es war jetzt, da sie Zugang hatte, alles sehr offensichtlich.
»Ah. Jetzt habe ich es«, sagte sie laut.
»Ist es eine Erkenntnis oder eine Bearbeitung?«, fragte Plastikk, der seine berechtigten Zweifel an der Solidität der Realität hatte, das tief sitzende Misstrauen eines Mannes, der allein aufgrund dieser Eigenschaft auch ein guter Kandidat für das Geschenk der Kath gewesen wäre.
»Ich befürchte, eine Erkenntnis.« Aume seufzte. »Informationen über den Eiskern, auf dem Dendh begonnen hat, die Kollapsare zu bauen.«
»Die Koordinaten, die uns der Agent gegeben hat, waren falsch?«, fragte Vocis. Sie nahm aus guten Gründen immer das Schlechteste an, weil es meist das war, was auch passierte.
»Nein«, erwiderte Aume zu ihrer Überraschung fest. »Sie sind veraltet.«
»Weil sich die Sonnensysteme über die Epochen hinweg in der Galaxis