Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
unvergänglich, einfach weil sie von ihrem Können und ihrem Geist belebt waren. Kristin de Bruhs hatte ein Lächeln, das ihn bezauberte und ihre Art, mit den großen und kleinen Kunden umzugehen, zeigte, wie gut sie sich auf Menschen verstand. Daß sie außerdem sehr hübsch war – nun, dagegen hatte er natürlich nichts. Ihre Liebe zu Büchern verband sie außerdem. Er war sicher, daß sie noch mehr Übereinstimmungen finden würden.
»Dann bis morgen?«
»Ja, bis morgen…«
Sie sah ihn an. Er schaute ihr einen Moment länger in die Augen, als es gut für sie beide war. Die Luft um sie herum begann zu knistern. Leider kam ein Kunde herein und zerstörte diesen unwiederbringlichen Augenblick.
Kristin hatte Mühe, wieder zu sich zu kommen. Sie mußte zweimal nachfragen, was der Kunde wollte, weil sie irgendwo im siebten Himmel schwebte, wo es bestenfalls Liebesromane gab. Er dagegen fragte nach dem Werk eines modernen deutschen Literaten, den Kristin sowieso nicht lesen mochte.
Nachdem der Kunde gegangen war, fiel ihr ein, daß auch Frederik noch auf sie wartete. Also schloß sie kurz ab, hängte das Schild ins Fenster, daß sie gleich zurück käme und ging nach hinten ins Büro.
Frederik spielte mit Johannes, Frau Schneider kochte Kaffee und betrachtete die beiden wohlgefällig.
»Frau Schneider erzählte mir, daß Johannes schon eine ganze Weile hier ist. Was ist mit Marion los?« fragte Frederik Kristin, nachdem er Johannes einen dicken Buntstift in die Hand gedrückt hatte.
»Sie ist ziemlich krank. Das heißt, jetzt ist das Schlimmste wahrscheinlich schon überstanden. Und sie wollte nicht, daß du es weißt. Sie wollte dich damit nicht belasten.«
»Aber das ist doch Quatsch! Ich meine, wie kommt sie darauf, daß sie mich nicht belasten darf? Ich hatte gedacht, wir waren uns über unsere Gefühle einig…«
»Das mußt du selbst mit ihr klären, Frederik. Ich kann dir nicht mehr sagen. Aber verstehen tue ich es schon. Sie hatte wohl Angst vor einer Enttäuschung. Immerhin handelt es sich nicht um einen Schnupfen.«
»Sie hat doch… nicht Krebs?«
»Bitte, Frederik, zwing mich nicht, darüber zu sprechen. Sie wird stocksauer auf mich sein.«
»Also ist es das. Du hättest sonst einfach nur nein sagen müssen.«
Kristin schwieg, womit sie seinen Verdacht natürlich bestätigte. Frederik war blaß geworden. Er rang sichtlich um seine Fassung. Aber Kristin spürte, daß es nicht die Frage war, ob er zu Marion halten sollte oder nicht, die ihn jetzt beschäftigte
»Meine… Tante ist an Krebs gestorben, als ich ein Junge war. Sie hat die letzten Monate bei uns gewohnt. Ich möchte jetzt wissen, wo Marion ist.«
Seine Stimme klang sehr klar und entschieden. Kristin bewunderte seine Haltung. Er zögerte nicht, auch jetzt zu Marion zu stehen, obwohl er wußte, was so eine Erkrankung bedeuten konnte. Für ein paar Sekunden bedauerte sie noch einmal sehr, daß nicht sie es war, die er liebte. In der Krise schien er stark zu sein. Aber ihr Herz hatte ihr schon einen anderen Weg gewiesen, und ihre Gefühle für Dr. Bachner waren ungleich stärker, als sie je für Frederik gewesen waren.
»Also gut. Sie liegt in der Uni-Klinik auf der Frauenstation. Die Operation ist schon vorüber, sie wartet nur noch auf die Ergebnisse.«
»Ich fahre gleich zu ihr. Und danach komme ich wieder und hole Johannes.«
»Aber dein Studium…«
»Ich wüßte erstens nicht, was jetzt wichtiger wäre, als euch zu entlasten und zweitens, Marion zu zeigen, daß sie sich auf mich verlassen kann. Das kann ich am besten dadurch, daß ich mich um ihren Sohn kümmere. Er muß sich an seinen neuen Vater gewöhnen. Und ich mich an ihn«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.
»Du bist schon ein toller Kerl, Frederik. Wenn Marion jetzt immer noch nein sagt, hat sie selber schuld.«
Kristin brachte Frederik zur Tür. Sie war aufgeregt und überlegte, ob sie Marion vorwarnen sollte. Aber das war vermutlich gar nicht so klug, denn ein Überraschungsbesuch nahm ihr die Möglichkeit, sich schon auf Abwehr vorzubereiten. Wenn Frederik einfach in der Tür stand, würde sie die wahren Gefühle verraten.
*
Marion erschien jede Stunde endlos, während sie immer noch darauf wartete, daß ihr der Oberarzt das Ergebnis der feingeweblichen Untersuchung mitteilte. Das Schlimmste waren die anderen Patientinnen mit ihren Krankengeschichten. Einige erzählten, daß es bei ihnen zuerst auch ganz harmlos ausgesehen hätte, aber dann waren doch Metastasen entdeckt worden. Eine brüstete sich sogar damit, daß man ihr gerade die zweite Brust abgenommen habe, als sei das ein persönliches Heldenstück. So blieb sie lieber in ihrem Zimmer, als auf dem Flur herumzuspazieren oder in den Aufenthaltsraum zu gehen. Sie wollte keine Krankengeschichten mehr hören und auch nicht gefragt werden, warum sie denn hier sei.
Aber das Alleinsein hatte natürlich den Nachteil, daß sie viel Zeit zum Nachdenken hatte. Sie vermißte Johannes, aber auch an Frederik dachte sie unentwegt. War es richtig gewesen, ihm die Entscheidung für oder gegen sie zu nehmen? Hätte sie ihn ruhig damit belasten dürfen? Nun würde sie nie wissen, ob er stark genug gewesen wäre…
Sie hatte ihre Freundin. Kristin hatte ihr versprochen, sich um Johannes zu kümmern, wenn sie sterben müßte. Und genau das würde Kristin tun, darauf konnte Marion sich mit Gewißheit verlassen. Kristin tat zwar immer so, als nervte Johannes sie, aber wenn Marion sah, wie ihre Augen voller Zuneigung auf den Kleinen gerichtet waren, wußte sie, daß das nicht stimmte. Es war eine große Erleichterung, sich darauf verlassen zu können.
Es klopfte. Wahrscheinlich wieder eine Schwester, die Blut abnehmen, Puls fühlen oder Fieber messen wollte. Das teilte den Tag ein, mehr Abwechslung gab es im Moment nicht. Einige Schwestern waren auch wirklich sehr nett und schienen zu wissen, wie es in Marion aussah. Sie versuchten, ihr Mut zu machen und kannten auch genügend Fälle, wo alles gut ausgegangen war.
»Ja, bitte…«
Die Tür öffnete sich. Marion erstarrte.
»Du?«
»Ja, ich. Und ich sollte eigentlich böse sein, daß du glaubst, ich ließe dich im Stich.«
»Hat… Kristin dich angerufen?«
»Nein. Ich bin zu ihr gegangen. Sie hat mir auch nicht alles gesagt, nur, daß du krank bist. Und wenn es nichts Ernstes wäre, hättest du ja auch keine Hilfe gebraucht. Also, jetzt möchte ich vernünftig mit dir sprechen. Und glaub nicht, daß ich mich noch einmal wegschicken lasse.«
»Aber du hast keine Ahnung, was ich… habe.«
»Du wirst es mir ja gleich sagen. Ich vermute, daß es sich um etwas sehr Ernstes handelt. Sonst wäre es ja wohl nicht nötig gewesen, mich wegzuschicken. Ist es Krebs?«
Marion zuckte zusammen. Wie konnte er das so locker aussprechen?
»Ja. Ich habe… Brustkrebs.«
»Wie meine Tante. Meine Mutter hat sie gepflegt, bis sie starb.«
»Findest du es gut, mir das… zu erzählen?« fragte Marion mit zitternden Lippen.
Sie war so schrecklich empfindlich. Die Art, wie Frederik vom Tod seiner Tante sprach, erschien ihr grob.
»Ja, natürlich. Weil ich dir damit sagen will, daß ich mit Krankheit zu tun hatte. Ich habe jeden Tag bei ihr am Bett gesessen und ihr aus der Zeitung vorgelesen. Und ich war dabei, als sie starb. Ich habe keine Angst, Marion. Ich glaube sowieso nicht an den Tod als Ende allen Lebens. Auch darüber brauchen wir jetzt nicht zu sprechen, du wirst wieder gesund werden. Und alles, was ich dazu tun kann, werde ich tun.«
»Aber… hast du dir das auch gut überlegt? Ich meine, ich weiß noch nicht mal, ob ich noch eine Nachbehandlung brauche… Ich werde noch Angst vor jeder Untersuchung haben. Schon jetzt heule ich dauernd und bin gar nicht mehr ich selbst. Außerdem kennen wir uns doch kaum.«
»Wir