Mami Staffel 10 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
Sie hatte so viele kluge Bücher gelesen, und was nutzten sie in dem Moment, wo man wirklich einmal einen Rat brauchte? Natürlich hätte sie ihm das nicht erzählen dürfen, nicht jetzt und nicht so…
»Ach, Kristin… Glaubst du denn, ich bin wankelmütig? Ich habe mich in dich verliebt, und dachte, du seiest verheiratet und hättest ein Kind. Leider konnte ich trotzdem nicht darauf verzichten, dich wenigstens hin und wieder zu sehen. In der Buchhandlung. Als ich erfuhr, daß du frei bist, war es der glücklichste Moment, an den ich mich seit langem erinnern kann. Du mußt dir keine Gedanken machen. Stell mir alle Freundinnen vor, ich weiß genau, was ich will.«
»Ich… ach, ich weiß, daß ich albern bin.«
»Meinst du, das Essen kann noch etwas warten?«
»Ja.«
Er zog sie enger an sich und küßte sie endlich so, wie es sich Kristin erträumt hatte. Es war ihr, als löse sie sich auf in diesem Kuß, ihre Haut wurde heiß, ihre Beine trugen sie kaum. Sein Kuß war atemberaubend, im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie gingen eng umschlungen ins Wohnzimmer hinüber. Kristin hatte keinen Zweifel, daß es letztendlich sogar gut gewesen war, daß Marion geklingelt hatte. Sie hatte ihre Gefühle dadurch verraten, und Claudius war sofort darauf eingegangen, als habe auch er auf die richtige Gelegenheit gewartet.
Das Essen mußte noch lange, lange warten. Es war schon weit nach Mitternacht, als sie in der Küche standen und Steaks brieten. Der Salat sah inzwischen ein bißchen welk aus, doch das merkten sie nicht einmal. Sie konnte weder Augen noch Hände voneinander lassen und fütterten sich schließlich mit den besten Bissen, bis sie alles aufgegessen hatten und wieder ins Schlafzimmer zurückgingen.
»Ich kann jetzt nicht schlafen. Ich habe noch tausend Fragen…«
»Ich kann auch nicht schlafen, aber Fragen möchte ich nicht beantworten, nicht jetzt…«, gab Claudius zurück und begann zärtlich an Kristins Ohr zu knabbern.
Natürlich, Antworten konnten warten. Was sie wissen mußte, wußte sie längst. Seine Umarmung, seine Augen, alles verrieten Kristin, daß sie nun doch noch den Mann gefunden hatte, der zu ihr paßte und auch selbst genau wußte, was er wollte. Und das war unbegreiflicher-, glücklicher- und wunderbarer Weise sie.
Für Fragen würde noch viel, viel Zeit sein… Irgendwann, morgen, nächste Woche, nächstes Jahr…
»Kathrin, hilfst du mir bitte?« erklang eine Stimme hoch oben von der Leiter. Kathrin Berger drehte sich erschrocken um.
»Um Himmels willen, Marion! Du darfst doch nicht mehr da hinauf! Dafür bin ich jetzt da.« Kathrin ließ den leeren Schuhkarton fallen, dessen Inhalt sie gerade in ein Regal der Kinderschuhabteilung des Schuhhauses ›Kremer‹ einsortiert hatte.
Die Leiter am Hochregal des Lagers stand zwar fest, aber auf Kathrins Gesicht zeichnete sich ernsthafte Sorge ab. Vorsichtig stieg eine junge Frau die Sprossen herunter. An ihrem weiten Kleid war zu erkennen, daß sie schwanger war. Sie lächelte ein wenig verlegen und strich sich dann über ihren mittlerweile beträchtlichen Bauchumfang.
»Ich vergesse es immer wieder, weil ich mich doch so wohl fühle«, erwiderte Marion. »Aber du hast recht, ich sollte es nicht übertreiben. Wir brauchen noch die Sportschuhe von dort oben.« Sie wies mit der Hand auf die oberste Regalreihe.
»Kein Problem!« Behende erklomm Kathrin die Leiter und zog einen Karton nach dem anderen aus dem Fach. Sie stapelte sie übereinander und drückte das Kinn auf den obersten Karton. So tastete sie sich die Sprossen wieder herunter.
Marion schüttelte mißbilligend den Kopf. »Das sieht aber auch gefährlich aus. Nimm lieber nicht so viele Kartons auf einmal. Dir darf nichts passieren, damit ich pünktlich in den Wochenurlaub gehen kann.«
»Keine Sorge, ich bin ein sehr sportlicher Mensch«, winkte Kathrin lachend ab und stellte den Stapel Kartons auf den Boden.
Die Ladenglocke schellte. Eine Frau mit einem Mädchen an der Hand betrat das Geschäft und blickte sich suchend um.
»Geh nur und bediene die Kundin, ich sortiere in der Zwischenzeit die Sportschuhe ein«, sagte Kathrin.
Bereitwillig nahm Marion das Angebot an. Sie arbeitete gern in der Kinderschuhabteilung, aber bald schon würde sie die ersten winzigen Schuhe für ihr eigenes Kind aussuchen können. In dem Gedanken daran lächelte sie still. Dann fragte sie die Frau nach ihren Wünschen.
Ein wenig neidisch betrachtete Kathrin Marions stilles Glück. Einerseits wünschte sie sich ebenfalls die Harmonie einer Familie und glückliches Kinderlachen, andererseits gab es so viele schöne Dinge im Leben, von denen sie träumte: weite Reisen, modische Kleidung, teurer Schmuck – und elegante Schuhe, Schuhe, wie sie sie bisher in der Damenabteilung ›Elegant‹ des Schuhhauses verkauft hatte. Wenn nicht Marion und ihr Baby gewesen wären, würde sie auch jetzt noch diese wunderschönen Schuhe an elegante Damen mit viel Geld verkaufen…
Der melodische Klang des Türgongs riß sie aus ihren Träumen. Gleichzeitig hörte sie zwei aufgeregte Kinderstimmen, die sich gegenseitig zu übertönen versuchten. Stirnrunzelnd wandte sich Kathrin um. Der hochgewachsene Mann mit dem dunkelblonden Haar hob abwehrend die Hände, als müsse er sich gegen einen Schwarm wilder Bienen schützen.
»Bitte, Paps, du hast uns versprochen, daß wir diesmal selbst wählen können.«
»Jawohl, ich bin Zeuge«, krähte der kleinere der beiden etwa sechs und acht Jahre alten Buben. »Ich habe mir schon im Schaufenster welche ausgesucht.«
»Der Jens aus meiner Klasse hat auch solche Leucht-Turnschuhe, die sind echt cool. Warum dürfen wir nicht soetwas haben? Bitte, Paps, im Winter haben wir auch die ollen dunklen Stiefel genommen, die du uns gekauft hast. Jetzt will ich wählen.«
»Ich will aber auch wählen!« schrie der kleinere Junge dazwischen.
»Du bist still, Martin, ich bin der ältere!« herrschte der größere den kleinen an.
»Jetzt ist Schluß!« sprach der Vater ein Machtwort und lächelte gleichzeitig verlegen zu Kathrin. Diese hatte erstaunt und schweigend dem lauten Streit zugehört. Nun trat sie einen Schritt vor. Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie den Mann.
»Ich hoffe es, ich hoffe es!« stöhnte er. »Ich suche…«
»Wir wollen Leucht-Turnschuhe!« fiel der ältere Junge seinem Vater ins Wort.
»Kai, jetzt ist es genug!« Entnervt winkte der Mann mit dem Arm, als müsse er einen dicken Vorhang beiseite schieben. Kathrin zwinkerte ihm schmunzelnd zu und legte begütigend ihre Arme um die Schultern der Jungs.
»Nicht, wer am lautesten schreit, ist der Sieger«, sagte sie. »Wir sind nämlich nicht auf dem Fischmarkt, sondern in einem Schuhgeschäft. Zum Schuhkauf braucht man Zeit und Ruhe…«
»… die ich beides nicht habe«, warf der geplagte Vater ein.
»Wie wäre es, wenn sich euer Papa eine schöne Tasse heißen Kaffee genehmigt, den es im Wartebereich gibt, und wir suchen uns ganz in Ruhe ein Paar Schuhe aus, die ihr dem Papa dann vorführen könnt?«
Verblüfft schwiegen die drei und nickten. Während der Vater der beiden etwas zögernd hinüber zu den einladenden Polstersesseln ging, wo auch ein Kaffeeautomat stand, führte Kathrin Kai und Martin zwischen die Regalreihen.
»Soso, Leucht-Turnschuhe müssen es unbedingt sein«, sagte sie. »Ihr meint sicher diese, die hinten aufleuchten, wenn man auftritt?«
»Jaaa!« antworteten die Jungs wie aus einem Mund.
»Und warum unbedingt Leucht-Turnschuhe?«
»Damit man im Dunkeln gut erkannt wird«, erwiderte Kai.
»Aha! Das leuchtet mir ein. Aber das ist doch nicht der