Mami Bestseller Staffel 3 – Familienroman. Jutta von KampenЧитать онлайн книгу.
blickte rasch auf und machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, ich werde überhaupt nicht heiraten!« antwortete er schroff und versuchte, es zu erklären.
*
Rainhart Arundsen stürzte sich mit wahrem Feuereifer in die Arbeit, als könnte er damit alles vergessen, was ihn bedrückte.
Aber die Gedanken kamen immer wieder. Abends, wenn er allein durch die stillen Räume des Gutes ging oder brütend an seinem Schreibtisch saß, nachts, wenn er nicht schlafen konnte. Und stets mußte er an die Folgen denken: Die anderen warten schon darauf, ihm den Erbanspruch streitig zu machen!
Er hatte nie darüber nachgedacht, weil vorher alles ganz selbstverständlich gewesen war. Er liebte Kathinka und wollte sie heiraten. Sie würden Kinder haben, ganz gewiß auch einen Sohn. Sie hatten sich auch schon einen Namen für den Erstgeborenen ausgedacht – damals, als sie sich verlobten und Kathinka voll wachsender Begeisterung mit Rainhart das Gut und die Ländereien durchstreifte und allmählich von allem Besitz nahm. Da hatte sie zum erstenmal über den Sohn gesprochen, den Rainhart sich wünschte. Er sollte Alexander heißen, und Kathinka hatte der Name sehr gut gefallen.
Wie lange ist das alles her? dachte Rainhart, als er eines Abends in seinem Arbeitszimmer saß und sich gedankenvoll eine Zigarette anzündete. Ihm kam es vor, als lägen Ewigkeiten zwischen jenen glücklichen Tagen und dem Heute. Und doch war nicht mehr als ein Jahr vergangen, seit er und Kathinka ihre Verlobung gefeiert hatten!
Damals hatte Rainhart Arundsen, der Herr auf Gut Arundsen, nie an die Klausel des Erbfolgesetzes gedacht, weil es für ihn keinen Zweifel gab, daß er eines Tages einen männlichen Erben haben würde, der später das Majoratserbe antreten würde. Er hatte vergessen, daß es eine Möglichkeit gab, ihn von dem geliebten Besitz zu vertreiben.
Jetzt mußte er unablässig daran denken. Und diese Vorstellung schmerzte ihn fast ebenso sehr wie der Kummer um seine verlorene Liebe.
Rainhart versank in dumpfes Brüten.
Wie soll es weitergehen, fragte er sich.
Es gab keinen anderen Ausweg als eine Heirat. Er mußte es endlich einsehen.
Arundsen erhob sich und trat ans Fenster.
Ich habe keine andere Wahl, dachte er. Entweder eine Ehe mit einer ungeliebten Frau oder Aufgabe des Besitzes, an dem mein Herz hängt.
Heiraten – irgendeine nette Frau, die ihm vielleicht Vertrauen und Zuneigung entgegenbrachte…
Ihn schwindelte.
Nein, es war unmöglich! Wie konnte er es wagen, einen anderen Menschen so zu enttäuschen!
Nein, ich kann und darf keine andere Frau an mich binden! sagte er sich in bitterer Resignation, und er wußte, was das für das Gut und für ihn bedeutete.
*
Es war das erste Mal seit jenem Ereignis, das Rainhart Arundsen aus der Bahn geworfen hatte, daß der Gutsherr einer Einladung Folge leistete.
Auf dem Wege zum Haus des Gemeindevorstands, der seinen Geburtstag feierte, fragte Rainhart sich mit spöttischer Belustigung, was wohl der Anlaß gewesen war, daß er diese Einladung nicht wie sonst abgelehnt hatte. Doch er fand keine Antwort auf diese Frage.
Es wurde an diesem Abend viel geredet, gelacht und noch mehr getrunken. Die anwesenden Damen saßen bald im Nebenzimmer bei einem starken Kaffee beisammen und unterhielten sich, während die Herren sich weiterhin an den Alkohol hielten.
Rainhart Arundsen hatte heute mehr getrunken als sonst, ohne eine Wirkung zu spüren.
Als ihm das ganze Stimmengewirr der lebhaft durcheinanderredenden Männer zu laut wurde, erhob er sich mit einer undeutlich gemurmelten Entschuldigung und trat hinaus auf den Balkon.
Es war eine sternenklare Nacht, deren feuchte Kühle Rainhart frösteln ließ. Der Mond stand kalt und bleich am Himmel, und in diesem Augenblick kam dem Majoratsherrn seine Einsamkeit wieder deutlich zum Bewußtsein.
»Es ist alles vollkommen sinnlos«, murmelte er halblaut vor sich hin.
Hinter ihm klappte eine Tür. »Was – was ist sinnlos?« fragte eine heisere Stimme.
Rainhart wandte sich um.
Doktor Langeloh, der Arzt, der die beiden angrenzenden Ortschaften betreute, trat mit unsicheren Schritten auf den Balkon heraus.
»Ist’s gestattet, Arundsen?« fragte er mit schwerer Zunge, »daß ich Sie in Ihrer einsamen Mondbetrachtung störe?«
»Sie stören mich nicht«, erwiderte Rainhart lächelnd.
»Das ist gut«, antwortete der Doktor. Er schwankte ein wenig. »Verzeihen Sie, Arundsen, ich bin betrunken«, stotterte er leise.
»Von denen da drinnen ist, glaube ich, keiner mehr nüchtern«, entgegnete Rainhart mit einem gedämpften Lachen.
»Ich weiß«, sagte der Doktor, »aber bei mir ist’s schlimmer. Ich trinke, um zu vergessen. Komisch, nicht?«
»Ich finde es nicht komisch«, antwortete Rainhart ernst. »Es gibt gewisse Dinge im Leben, mit denen man nur schwer fertig wird.«
»Sie auch – ja?« Langeloh hob den Kopf und blickte forschend zu dem Majoratsherrn auf. »Kann mir denken, was Sie bedrückt. Aber glauben Sie mir, Arundsen, so was geht vorüber! Bestimmt! Ich spreche aus Erfahrung. Immerhin bin ich fünfundfünfzig, und Sie sind höchstens dreißig.«
»Neunundzwanzig!«
»Na also! In dem Alter überwindet man vieles!«
»Ich glaube, das kommt auf den Menschen an. Wenn es sich um Dinge handelt, die einen bis ins Innerste getroffen haben, wird man vielleicht das ganze Leben lang nicht damit fertig.«
Warum spreche ich mit dem angetrunkenen Mediziner darüber? dachte Rainhart. Er hört wahrscheinlich nicht einmal zu.
Doch Doktor Langeloh schien genau verstanden zu haben, worauf Arundsen angespielt hatte. »Ich dachte nicht, daß es für Sie so schlimm war«, sagte er. »Ich habe Sie immer für einen Mann gehalten, der über gesunde Kräfte verfügt und den nichts umwerfen kann. Hab’ mich wohl geirrt, wie?«
»Anscheinend«, entgegnete Rainhart mit einem Unterton von Bitterkeit.
»Bei mir ist’s ebenso«, sagte der Doktor, und seine Miene verdüsterte sich. »Alle halten mich für einen bärbeißigen, robusten Landarzt, der Zimperlichkeit und Sentimentalität haßt. Manche behaupten sogar, ich hätte kein Herz. Meine Frau ist vielleicht die einzige, die weiß, daß das nicht stimmt.« Er schwieg und hielt sich mit einem tiefen Seufzer am Balkongitter fest. »Es macht mich nämlich krank, Arundsen, wenn ich sehe, daß ich manchmal nicht mehr helfen kann!« fuhr er dann mit schwerer Zunge fort. »Ich stehe am Krankenbett und weiß genau, daß alle Mittel, die ich verschreibe, nichts nützen, weil der Kranke zu spät zu mir gekommen ist. Oder weil der Fall hoffnungslos ist. Dann sage ich ein paar rauhe Worte, mit denen keiner etwas anfangen kann, während ich heulen möchte wie ein Schloßhund! Sehen Sie, so ein Waschlappen bin ich!«
»Sie haben einen schweren Beruf, Doktor«, sagte Rainhart langsam. »Ich kann mir vorstellen, daß es im Leben eines Arztes manche dunkle Stunde gibt.«
»Gibt es!« bestätigte Langeloh grimmig. »Heute war es wieder einmal soweit. Sie kennen doch Ulrike Eckhoff? Ein schönes, stilles und liebenswertes Geschöpf – aber krank – unheilbar krank. Heute kam der Untersuchungsbefund. Nichts zu machen.« Seine Stimme zitterte ein wenig.
Der Majoratsherr war verwirrt und tief betroffen. »Ulrike Eckhoff ist krank? Davon wußte ich nichts«, stammelte er.
Langeloh nickte grimmig. »Keiner hat’s gewußt. Das Mädchen ist sehr tapfer. Aber ich habe sie schon oft in meiner Praxis gehabt. Wir haben herumgerätselt, ohne die Ursache ihrer Erkrankung zu finden. Sie war bei mehreren Fachärzten, man hat sie wochenlang zur Beobachtung in der Klinik behalten. Und nun wissen wir es: todkrank, keine Rettung!«
»Was