Liebeskunst. OvidЧитать онлайн книгу.
Derjenige täuscht sich, der glaubt, nur die fleißigen Ackerbauern und die Seefahrer müssten auf den rechten Zeitpunkt achten. Nicht immer darf man die Saat der Ceres den trügerischen Äckern, nicht immer das hohle Schiff dem grünlichen Wasser anvertrauen: So ist es auch nicht immer gefahrlos, nach zarten Mädchen zu angeln; oft wird, wenn man sich Zeit lässt, das Gleiche besser gelingen. [405] Wenn der Geburtstag oder die Kalenden37 nahe sind, die Venus mit Freuden auf den Monat des Mars folgen lässt, oder der Zirkus nicht wie vorher mit kleinen Figuren38 geschmückt ist, sondern die Schätze von Königen zur Schau stellt, dann verschiebe dein Werk; dann herrscht für dich düsterer Winter, dann bedrohen dich die Plejaden39, [410] dann taucht das Sternbild des zarten Böckleins40 ins Meerwasser. Dann ist es gut, nichts zu unternehmen. Wer sich jetzt auf die hohe See wagt, bekommt mit Mühe die treibenden Planken seines zerschmetterten Schiffes zu fassen. Anfangen darfst du jedoch an dem Tag41, als trauervoll der Alliafluss von Latinerwunden blutig war, [415] oder an dem geschäftsfreien siebten Tag, den der Jude regelmäßig feiert. Streng tabu sei für dich hingegen der Geburtstag der Freundin. Der Termin, an dem man etwas schenken muss, sei für dich ein schwarzer Tag!
Geschenke und Liebesbriefe
Magst du der Gefahr auch gut aus dem Wege gegangen sein, dein Mädchen wird dich dennoch plündern; eine Frau findet schon einen Kunstgriff, wie sie einen leidenschaftlichen Liebhaber rupfen kann. [421] Ein locker gegürteter Händler wird zu deiner kauflustigen Dame kommen, und du wirst dabeisitzen, wenn er seine Waren auspackt. Sie wird dich auffordern, diese zu besichtigen, so dass du als Sachverständiger erscheinst; dann wird sie dir einen Kuss geben und dich schließlich bitten zu kaufen. [425] Sie wird schwören, sich damit auf viele Jahre zufriedenzugeben, und sagen, jetzt brauche sie es dringend, jetzt kaufe man günstig. Wirst du vorschützen, du habest kein Geld dabei, um zu bezahlen, so fordert sie einen Scheck – und du bedauerst, dass du schreiben gelernt hast. Was dann, wenn sie durch einen angeblichen Geburtstagskuchen Geschenke erpresst [430] und, sooft sie etwas braucht, Geburtstag feiert? Was dann, wenn sie todtraurig über einen erlogenen Schaden weint und erdichtet, ein Edelstein sei ihr vom Ohr gefallen? Vieles erbitten sie leihweise, wollen es aber nicht zurückgeben. Du trägst den Verlust, und dein Schaden wird dir nicht einmal gedankt. [435] Um die gottlosen Künste der Dirnen aufzuzählen, würden mir keine zehn Münder mit ebenso vielen Zungen reichen.
Wachs, hineingegossen in geglättete Täfelchen42, möge zunächst das unbekannte Gewässer erkunden; lass ein Wachstäfelchen als deines Herzens Mitwisser den ersten Schritt tun. Lass es deine Schmeicheleien und aufgezeichnete Liebesworte überbringen. Füge auch reichlich Bitten hinzu, wer du auch sein magst! [441] Achill schenkte dem Priamus auf seine Bitte hin Hektors Leichnam; selbst der zürnende Gott lässt sich durch eine bittende Stimme erweichen. Versprich nur recht viel – denn was kosten schon Versprechungen? Reich an Versprechungen kann jeder Beliebige sein. [445] Hoffnung hält, hat sie einmal Glauben gefunden, lange Zeit vor; sie ist zwar eine trügerische, aber eine zweckdienliche Göttin. Hast du einmal etwas gegeben, so wird man dich mit gutem Grund sitzen lassen können; sie wird das Erhaltene mitnehmen und nichts verloren haben. Aber was du nicht gegeben hast, bei dem erwecke stets den Eindruck, als wolltest du es geben: [450] So hat ein unfruchtbarer Acker oft den Besitzer getäuscht. So lässt der Spieler nicht ab zu verlieren, um nicht zu verlieren, und der Würfel ruft die gierigen Hände immer wieder zu sich zurück. Das tut not, das ist deine Aufgabe: ohne Vorleistung zur Vereinigung zu gelangen. Um nicht umsonst gegeben zu haben, was sie gab, wird sie es weiterhin geben.
[455] So gehe denn ein Briefchen hin, in schmeichelnden Worten verfasst, es erforsche ihren Sinn und erprobe als erstes den Weg: So haben Schriftzeichen, die auf einem Apfel zu ihr kamen, Cydippe getäuscht, und ohne es zu wissen, wurde das Mädchen durch ihre eigenen Worte gefangen. Lerne die edlen Künste, ich ermahne dich, römische Jugend, [460] nicht nur, um ängstliche Angeklagte zu schützen! Wie das Volk, der gestrenge Richter und der erlesene Senat, so wird auch das Mädchen, durch Beredsamkeit überwunden, sich ergeben. Aber deine Kraft bleibe verborgen, trage deine Redekunst nicht zur Schau und nimm dich vor gesuchten Worten in Acht. [465] Wer – außer einem Wahnsinnigen – deklamiert vor der zärtlichen Freundin? Oft war Geschriebenes ein triftiger Grund für Hass. Deine Rede sei glaubwürdig, deine Worte vertraut, aber schmeichelnd, so dass du persönlich mit ihr zu sprechen scheinst.
Nimmt sie das Geschriebene nicht an und schickt es ungelesen zurück, [470] so hoffe, sie werde es noch lesen, und bleibe deinem Vorsatz treu. Mit der Zeit kommen störrische Jungstiere vor den Pflug, mit der Zeit lernen Pferde, sich den geschmeidigen Zaum gefallen zu lassen. Ständiger Gebrauch scheuert einen eisernen Ring durch, ständiger Kampf mit der Scholle richtet die krumme Pflugschar zugrunde. [475] Was ist härter als Stein, was weicher als Wasser? Trotzdem höhlt das weiche Wasser den harten Stein. Sogar Penelope wirst du mit der Zeit besiegen – bleibe nur beharrlich! Du siehst: Troia fiel zwar spät, aber es fiel. Hat sie es gelesen und will sie nicht antworten, so zwinge sie nicht dazu; [480] sorg nur dafür, dass sie von dir immer neue Schmeicheleien zu lesen bekommt. Hat sie erst einmal lesen wollen, wird sie auch auf das Gelesene antworten wollen; diese Dinge kommen schrittweise, in ihrem natürlichen Rhythmus. Vielleicht wird zu dir sogar zuerst ein abweisender Brief kommen, mit der Bitte, sie nicht mehr zu belästigen. [485] Doch worum sie bittet, das befürchtet sie; worum sie nicht bittet, das wünscht sie: nämlich, du mögest beharren. Lass nicht locker, und du wirst endlich deinen Wunsch erfüllt bekommen.
Sonstige Annäherungsversuche
Lässt sie sich liegend auf einem Polster herumtragen, so tritt verstohlen zur Sänfte deiner Dame, und damit kein lästiger Lauscher deine Worte vernimmt, verbirg sie, [490] soweit du kannst, listig unter doppeldeutigen Zeichen. Oder wenn sie unbeschäftigt in der weiträumigen Säulenhalle spazierengeht, so halte auch du dich dort auf, geh bald voraus, bald folge ihr nach, bald beeile dich, bald schlendre langsam dahin. [495] Schäme dich auch nicht, an einigen zwischen euch liegenden Säulen entlangzugehen oder auch Seite an Seite mit ihr zu wandeln. Sie soll auch ja nicht ohne dich in all ihrer Schönheit im Halbrund des Theaters sitzen. Das beste Schauspiel für dich wird sie auf ihren eigenen Schultern mitbringen. Nach ihr wirst du dich umschauen dürfen. Sie wirst du bewundern dürfen. Rede viel mit den Augenbrauen, viel durch Zeichen. [500] Klatsche Beifall, wenn der Mime eine Mädchenrolle tanzt, und sei jedem Liebhaber gewogen, der dargestellt wird. Steht sie auf, so steh auf; solange sie sitzt, bleib sitzen. Verliere deine Zeit je nach der Laune deiner Dame.
Männliche Schönheitspflege
[505] Aber finde kein Gefallen daran, das Haar mit der Brennschere zu kräuseln, und reibe dir die Schenkel nicht mit rauem Bimsstein glatt. Überlass das den Eunuchen43, die heulend Mutter Cybele mit phrygischen Melodien ansingen. [509] Nachlässige Schönheit steht Männern. Theseus, der nie an der Schläfe eine einzige Haarnadel trug, war doch hinreißend für Ariadne. Phaedra liebte den Hippolytus; dabei war er ungepflegt. Die Göttin liebte den Waldmenschen Adonis. Durch Sauberkeit errege dein Körper Wohlgefallen, lass ihn auf dem Marsfeld bräunen. Die Toga sei gut passend und ohne Flecken. [515] Die Zunge am Schuh stehe nicht vor,44 die Zähne seien frei von Belag, und der Fuß schwimme nicht schlotternd in zu weitem Leder. Der Haarschnitt entstelle nicht deine Frisur zu Stacheln, Haar und Bart seien von kundiger Hand geschnitten. Lass die Nägel nicht vorstehen, lass sie sauber sein, [520] und aus den Nasenlöchern stehe dir kein Härchen hervor. Auch soll der Mund nicht übel riechen, der Atem nicht widerlich sein, und unter der Achsel soll nicht der stinkende Bock, der Herr der Ziegenherde, hausen. Alles Übrige überlass den lockeren Mädchen oder Leuten, die keine rechten Männer sind und um Männer buhlen.
Bacchus und Ariadne
[525] Doch wohlan, Bacchus ruft seinen Seher: Auch er unterstützt die Liebenden und ist der Flamme gewogen, die ihn selbst erwärmt. Das Mädchen von Cnossus45 irrte besinnungslos an unbekannten Sandstränden umher, wo die Wasser des Meeres an die kleine Insel Dia branden; und kaum vom Schlaf erwacht, in gürtellosem Gewande, [530] mit nacktem Fuß, ihr blondes Haar ohne Band, rief sie den tauben Wogen zu: »Du grausamer Theseus!« Und ein Tränenregen benetzte ihre zarten Wangen, die ein besseres Los verdient hätten. Sie schrie und weinte zugleich, aber beides stand ihr gut, die Tränen taten