Dr. Norden Box 10 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Simon wollte schon widersprechen, als sich seine Chefin in die Unterhaltung einmischte.
»Warum sollte der Patient operiert werden?«, machte sie sich bemerkbar und trat an den Tisch.
Die Kollegen begrüßten sie mit leisem Murmeln. Nur Dr. Lammers starrte sie aus schmalen Augen an.
»Wie würden Sie eine Neurotuberkulose denn behandeln?« Er griff nach dem Laborbericht und hielt ihn ihr vor die Nase.
»Ach, da ist ja der Bericht meines Patienten, den ich in Auftrag gegeben habe.« Fee dachte nicht daran, seine Frage zu beantworten. »Schwester Anita sollte ihn auf meinen Schreibtisch legen. Sie wird eine Abmahnung bekommen, weil sie sich nicht an meine Anweisungen gehalten hat«, bluffte sie so überzeugend, dass Lammers nach einem Ausweg suchte.
»Dem kleinen Trostberg geht es schlecht. Da Sie nicht da waren, habe ich mich dazu entschieden, mich des Falles anzunehmen.« Er lauerte geradezu darauf, dass Fee den Fehler machte und ihn vor den Kollegen tadelte. Doch sie dachte nicht daran, ihm diesen Gefallen zu tun.
»Darüber unterhalten wir uns später unter vier Augen«, kündigte sie an, nahm ihm den Bericht aus der Hand und überflog die Auswertungen. »Leicht erhöhte Entzündungsmarker, viel zu viel Eiweiß und zu wenig Glukose«, las sie halblaut vor.
»Aufgrund dieser Ergebnisse habe ich das Labor nach dem Erreger suchen lassen«, erwiderte Dr. Lammers, um seiner Chefin zuvorzukommen. »Die Diagnose steht fest. Wir haben es mit einer Neurotuberkulose zu tun. Ein chirurgischer Eingriff mit nachfolgender Antibiotika-Therapie ist die Standardbehandlung in diesen Fällen.« Damit schien die Diskussion für den Kinderarzt beendet zu sein. Fees Einverständnis voraussetzend, wandte er sich wieder an die Kollegen, die er um sich geschart hatte. »Ich werde den Eingriff für morgen früh auf den OP-Plan setzen lassen. Sie wissen also Bescheid?«
Doch keiner der Ärzte machte Anstalten, ihm zuzustimmen. Alle Blicke ruhten auf der Chefin, die sich noch nicht zu dem geplanten Eingriff geäußert hatte.
Dr. Lammers bemerkte das Zögern und ahnte schon, woran es lag. Der Ärger brodelte in seinem Magen, und er wandte sich wieder an Felicitas.
»Was denn?«, schnaubte er und vergaß völlig, dass er nicht allein war mit seiner Chefin. »Sagen Sie bloß, dass Sie der OP nicht zustimmen?«
»Kevin ist in einer denkbar schlechten Verfassung. Deshalb denke ich über eine schonendere Alternative nach.«
»Wollen Sie ihn etwa gesundstreicheln?«, versuchte Volker zu scherzen.
Doch diesmal lachte keiner der Kollegen.
»Das wäre in der Tat nicht die schlechteste Lösung.« Fee tat ihm wenigstens den Gefallen und lächelte. »Aber ich glaube, ich habe eine andere Idee. Falls ich mich doch zu einem Eingriff entschließe, informiere ich Sie rechtzeitig. Meine Herren.« Ohne die Kollegen in ihre Pläne einzuweihen, nickte sie ihnen zu und verließ dann den Aufenthaltsraum. Obwohl sie sich bemüht hatte, Lammers nicht vor den Mitarbeitern bloß zu stellen, hatte sie keine Pluspunkte bei ihm gesammelt. Schon jetzt ahnte sie, dass seine Rache fürchterlich sein würde. Doch das spielte in diesem Moment keine Rolle. Die Interessen des Patienten standen über allem anderen.
*
Die Auseinandersetzung mit Volker Lammers hatte aber nicht nur Schattenseiten. Sie hatte Fee auch daran erinnert, dass sie vergessen hatte, ihren Mann an etwas zu erinnern. Das holte sie gleich im Anschluss nach und informierte Janine, den Patienten Urs Hansen wegen der möglichen Tuberkulosegefahr in ein separates Zimmer zu setzen.
»Danke für die Info!«, erwiderte die ehemalige Krankenschwester und drehte sich zum Fenster um. Aus dem Augenwinkel hatte sie eine Bewegung bemerkt. »Ich glaube, da kommt er eh schon. Und Dési ist nur ein Stück hinter ihm.«
»Sehr gut. Bitte sagen Sie schöne Grüße«, bat die Ärztin und beendete das Telefonat, um sich wieder ihrer Arbeit und in erster Linie der Behandlung von Kevin Trostmann zu widmen.
Janine legte auf und hatte gerade noch Gelegenheit, ihre Kollegin Wendy anzustupsen.
»Da kommt unser hoher Besuch!« Mit dem Kopf wies sie in Richtung Tür, die sich gleich darauf öffnete.
Dicht gefolgt von Dési betrat Urs Hansen den Flur der Praxis Dr. Norden. Er blieb so dicht vor dem Eingang stehen, dass Dési ihn um ein Haar umgerannt hätte. Doch daran schien er sich nicht zu stören und sah sich suchend um.
»Kommen Sie nur näher. Wir beißen nicht«, lächelte Janine freundlich und winkte den jungen Mann zu sich.
Zögernd folgte er der Aufforderung.
»Mein Name ist Urs Hansen. Ich habe einen Termin beim Doc.«
»Du bist also Urs«, tönte eine Stimme hinter ihm. Sie gehörte niemand anderem als Dési, die sich an den Namen erinnert hatte, den ihre Mutter am Abend zuvor erwähnt hatte.
Urs fuhr herum und funkelte Dési an.
»Woher weißt du das?«, fauchte er.
»Na, du hast es doch gerade selbst gesagt.« Dési gelang es nicht, sich ein Lachen zu verkneifen.
Einen Augenblick lang sah Urs Hansen so aus, als wollte er sich auf sie stürzen. Doch dann besann er sich und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
»Sorry, du hast natürlich recht«, räumte er am Tresen stehend ein. »Aber wenn du schon meinen Namen weißt, kannst du mir deinen auch verraten«, verlangte er.
»Ich bin Dési Norden. Meine Mum hat uns von dir erzählt«, verriet sie, und plötzlich ging Urs ein Licht auf.
»Ach, sieh mal einer an.« Seine Augen wurden schmal, während er sie eingehend musterte. »Das ist ja mal eine interessante Neuigkeit.«
Dési sah ihn aus großen Augen an. Sie wusste nicht recht, was er mit dieser Bemerkung meinte, zumal der Unterton in seiner Stimme irgendwie bedrohlich wirkte. Doch das Lächeln, das um seine Lippen spielte, sprach eine andere Sprache. Die Arzttochter suchte noch nach einer lustigen Antwort, als Janine befand, dass es genug war mit der Plauderei.
»Bevor ihr eure intimsten Geheimnisse austauscht, würde ich gern die Daten von Herrn Hansen aufnehmen und ihn dann wegen des Verdachts auf Tuberkulose in ein separates Zimmer bitten«, erklärte die Assistentin in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Einen Moment lang ruhten Urs’ Augen noch auf Dési. Dann wandte er sich ab und trat an den Tresen.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, erklärte er und füllte den Patientenbogen aus, den Janine ihm reichte.
Wendy, die die Unterhaltung schweigend verfolgt hatte, wandte sich an Dési.
»Meine Güte, du hast dich ja ganz schön gemausert«, lobte sie die jüngste Tochter der Familie Norden, die sie eine Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. »Groß bist du geworden.Wenn das so weitergeht, hast du mich bald eingeholt.«
Janine sah hinüber zu ihrer Kollegin.
»Ich will dir ja deine Illusionen nicht rauben, aber ich fürchte, das ist bereits passiert.«
Wendy seufzte.
»Das liegt daran, dass ich inzwischen in einem Alter bin, in dem man wieder schrumpft.« Sie zwinkerte Dési zu. »Du kannst schon mal im Wartezimmer Platz nehmen. Dein Vater hat gleich Zeit für dich.«
»Sie sind die Beste!«, lächelte Dési. »Und es macht gar nichts, dass Sie schrumpfen. Kleinsein hat viele Vorteile. Ich spreche aus Erfahrung.« Sie winkte den beiden Assistentinnen zu und machte sich auf den Weg ins Wartezimmer.
Wendy sah ihr nach.
»Das war jetzt nicht unbedingt das, was ich hören wollte«, gestand sie.
»Mach dir nichts draus. So ist die Jugend von heute eben. Schonungslos offen«, amüsierte sich Janine sichtlich und nahm das Blatt entgegen, das Urs inzwischen ausgefüllt hatte. Sie legte es beiseite und stand auf, um den jungen Mann in ein leer stehendes Untersuchungszimmer zu bringen.
»So,