Dr. Norden Box 10 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
hat länger gedauert als gedacht, und schon…«
»Du hast den jungen Mann getroffen?«, unterbrach Daniel seine Frau.
»Habe ich dir das nicht heute Mittag am Telefon erzählt?«, fragte sie zurück und schob sich eine Strähne hinters Ohr. Sie stand am Schreibtisch, bückte sich und schob eine CD ins Laufwerk des Computers. »Ich könnte meine rechte Hand verwetten, dass ich es getan habe.«
»Tu’s lieber nicht.« Daniel war neben seine Frau getreten, nahm ihre Hand und küsste sie. »Es wäre schade um das schöne Stück. Wo es doch so geschickt ist…«
»Sprichst du aus Erfahrung?« Sie blinzelte ihm zu, und Daniel grinste, als die Bilder auf dem Bildschirm erschienen und seine Frau sich ein Stück vorbeugte. Vergessen war das anzügliche Gespräch, und ihre ganze Aufmerksamkeit richtet auf die Bilder.
»Das hier sind die Aufnahmen von Kevins Rückenmark«, erklärte sie ihrem Mann. »Du weißt schon, der Junge mit der unerklärlichen Schwäche in den Extremitäten.«
»Diesmal erinnere ich mich. Du hast gestern Abend von ihm erzählt.« Auch Dr. Norden beugte sich vor und studierte die Aufnahmen. »Siehst du das hier?« Mit dem Finger deutete er auf weiße Flecken im Rückenmark.
»Die müssten doch eigentlich dunkelgrau aussehen«, wusste Fee sofort, worauf ihr Mann anspielte. »Mal abgesehen davon, dass das Rückenmark leicht angeschwollen erscheint.«
»Das könnte an einer Flüssigkeitsansammlung liegen«, vermutete Daniel Norden. »Diese Veränderungen könnten eine Erklärung dafür sein, warum Kevin unter einer Störung des Nervensystems leidet«, zog er einen Schluss aus dem, was er sah, und klickte sich weiter durch die Bilder.
Fee hatte sich einen Stuhl an den Schreibtisch gezogen und verfolgte den Wechsel der Aufnahmen, während sie über diese Erkenntnisse nachdachte.
»Aber was könnte diese Entzündung ausgelöst haben?«, murmelte sie und stütze den Kopf in beide Hände. »Vielleicht eine Multiple Sklerose. Oder aber ein Tumor«, beantwortete sie ihre Frage gleich selbst. Beide Möglichkeiten waren nicht das, was man ermutigend nannte.
»Möglich«, räumte Dr. Norden ein. Doch er hatte noch eine andere Idee. »Wo waren Kevin und seine Mutter im Urlaub?«
»Irgendwo in Indien«, erinnerte sich Felicitas. »Woran denkst du jetzt?«, Sie wusste sofort, dass Daniel diese Frage nicht umsonst stellte.
»An Tuberkulose. Wenn ich mich recht erinnere, ist Indien das Land mit den meisten Tuberkulose-Fällen weltweit. Ich habe mich neulich erst mit einem Kollegen vom Robert-Koch-Institut über diese erschreckenden Zahlen unterhalten.«
An diese Möglichkeit hatte Fee noch gar nicht gedacht.
»Das könnte natürlich auch sein. Diese Alternative wäre mir bedeutend lieber. Tuberkulose hat eine bessere Prognose als die anderen beiden.«
Daniel hatte genug gesehen. Sein Magen knurrte, als er sich aufrichtete und seiner Frau dabei zusah, wie sie den Computer herunterfuhr und ausschaltete.
»Endgültige Gewissheit bekommt ihr erst, wenn ihr das Nervenwasser des jungen Mannes unter die Lupe nehmt«, erklärte er.
»Ich werde diese Untersuchung gleich morgen früh anordnen«, erwiderte Fee und schob den Stuhl an den Schreibtisch. Mit einem letzten Blick vergewisserte sie sich, dass alles in Ordnung war. »Und jetzt werde ich mit dir nach Hause fahren, um dich vor dem sicheren Hungertod zu bewahren.«
Sie ahnte nicht, dass sie mit dieser Ankündigung die Pläne ihres Mannes durchkreuzte.
»Nach Hause? Das überlebe ich nicht. Gibt es keine andere Möglichkeit?«, fragte Daniel und setzte eine Unschuldsmiene auf, die Fee sofort durchschaute.
»Moment mal. Hat nicht hier in der Nähe ein spanisches Lokal eröffnet?«, erinnerte sie sich an eine seiner Bemerkungen neulich.
»Wirklich?«, spielte Daniel den Ahnungslosen. Doch das Funkeln in seinen Augen verriet ihn. »Das hatte ich ja ganz vergessen.«
Felicitas stand an der Tür und wartete auf ihn.
»Gib dir keine Mühe. Du bist ein schlechter Lügner!«
»Wirklich?« Daniel legte den Arm um ihre Schultern und wartete, bis sie die Tür von außen geschlossen und abgesperrt hatte. »Du bist aber die einzige, die mich durchschaut.«
»Wer weiß, vielleicht kannst ja nicht nur du meine, sondern ich auch deine Gedanken lesen«, lächelte sie ihn an. »Und ich glaube, ich weiß, was du nach dem Essen mit mir vorhast.«
Seite an Seite waren sie auf die Straße hinausgetreten. Die Dämmerung war der Dunkelheit gewichen, und die Straßenlaternen wiesen ihnen den Weg zum Wagen.
»Dann weißt du mehr als ich«, erwiderte Daniel. Doch auch auf diese neuerliche Lüge fiel Felicitas nicht herein.
»Du weißt, dass auf Lügen schwere Strafen stehen«, erinnerte sie ihren Mann, während sie darauf wartete, dass er ihr die Beifahrertür aufhielt.
»Ich kann’s kaum erwarten.« Daniels Lachen war rau, und er schlug die Wagentür zu, ehe seiner Frau ein passender Kommentar eingefallen war.
*
Auch an diesem Abend fiel die Tür der Zelle wieder hinter Urs Hansen ins Schloss. Doch diesmal sorgte dieses Geräusch nicht für Beklemmungen und Panikattacken. Endlich hatte er einen Plan, ein Ziel vor Augen.
Sein Mithäftling Lothar lag auf seinem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sah Urs dabei zu, wie er die Straßenkleidung gegen einen Trainingsanzug tauschte. Als er begann, Liegestütze zu machen, wurde Lothar ungeduldig.
»Mann, jetzt sag schon! Wie ist es gelaufen?«
Urs drückte sich hoch und sank wieder hinunter, auf und ab, ohne Pause, bis sein Atem schneller ging und feine Schweißperlen auf seine Stirn traten. Lothar machte Anstalten, sich auf seinem Bett aufzusetzen.
»Alles im Lot. Sie hat es gefressen«, verkündete Urs, kurz bevor sein Mitbewohner die Geduld verlor, und Lothar sank auf die Matratze zurück.
»Scheint, als hättest du eine Glückssträhne, was? Zuerst der Job als Schlosser draußen, damit du Freigänger werden kannst. Und jetzt auch noch freundschaftliche Kontakte zu einem Arzt.«
Doch Urs wollte sich nicht zu früh freuen.
»Noch hab ich kein Rezept in der Tasche. Ich muss den Alten erstmal überreden, mir das zu geben.«
»Ach, das wird schon«, winkte Lothar ab. »Den Husten nimmt dir jeder ab. Der Doc kann gar nicht anders, als dir das Zeug zu verschreiben. Sonst kannst du nicht arbeiten gehen.«
Urs rappelte sich vom Boden auf, griff nach dem Handtuch, das über der Stuhllehne hing, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Dein Wort in Gottes Ohr«, erwiderte er und ging zur Tür, um zu horchen. Als kein Geräusch an sein Ohr drang, ging er zu seinem Bett. Er schob es ein Stück zur Seite und kniete nieder. An einer Stelle löste er die Fußbodenleiste, und ein kleines Loch kam zum Vorschein, in dem Urs ein Päckchen versteckt hatte. Seine Finger zitterten, als er eine der Pillen aus der Alufolie schälte und in den Mund steckte. In Windeseile verstaute er das Päckchen wieder an seinem Platz und schob das Bett zurück an die Wand. »Wenn die Wärter mich nicht jeden Morgen beim Ausgang durchsuchen würden, wär’s einfacher.« Der junge Mann tat es seinem Mitbewohner gleich und legte sich auch auf’s Bett.
»Das Leben ist nun mal kein Ponyhof«, lachte Lothar. »Aber so, wie ich dich kenne, steckst du den Doc locker in die Tasche. Dann hast du erst mal ein paar Rationen, bis du eine andere Quelle aufgetan hast.«
Urs lag auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte an die Decke. Die Pille tat ihre Wirkung und ließ seinen Kopf zu Watte werden. Es gab nichts auf der Welt, was er mehr liebte als dieses Gefühl.
»Die andere Quelle hab ich schon. Die Alte, diese Fee, arbeitet in ´ner Klinik«, erklärte