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Liebe ohne Widerruf. Reinhold StecherЧитать онлайн книгу.

Liebe ohne Widerruf - Reinhold Stecher


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       Der Habicht (Stubaier Alpen)

      Irgendwie geht uns eine Liebe ohne Widerruf gegen den Strich, wir möchten ausbrechen und uns freimachen von aller Bindung und der Stimmung folgen, uns selbst zum Maß aller Dinge machen. Jeder von uns hat Stunden, wo es ihm schwerfällt, das zu halten, was er im Leben übernommen hat. Aber nur die Liebe ohne Widerruf in Ehe, Erziehung, Beruf und Pflicht gibt unserem Dasein eine stille Größe und rückt es in die Nähe Gottes.

      Die kleinen Lichter genügen

      In den Worten, die Christus beim Letzten Abendmahl gesprochen hat, schwingt und bebt heute noch die tiefe Ergriffenheit nach, die Ihn erfasst hatte. Dieser Augenblick, da Er sich mit Seinen Jüngern am Tisch niederließ, war für Ihn ein ersehnter Höhepunkt Seines Lebens.

      Umso peinlicher ist der Misston, der gleich am Anfang in diese Stimmung fällt. Es heißt: „Es entstand aber auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen als der Größte gelten könne.“

      Wahrscheinlich ist die Sache bei der Wahl der Plätze zum Ausbruch gekommen. Platz und Rang sind im Orient eine wichtige Angelegenheit. Sei es gewesen, wie es will, der Vorfall zeugt von einer geradezu lächerlichen Kleinlichkeit und einer sehr irdischen Gesinnung und verrät, dass die Apostel das Wesentliche überhaupt nicht begriffen hatten. Und hier glaube ich, Christus etwas nachfühlen zu können – und alle Leser, die irgendwie mit Erziehung beschäftigt sind, werden dasselbe empfinden: Wenn man so erlebt, wie offenkundig alles Reden umsonst war, alles Bemühen vergebens, wenn man so gar keinen Erfolg sieht, dann breitet sich die große Lähmung aus. Es sterben in uns alle Quellen. Manche Formen von Misserfolg sind für uns wie ein Schlag.

      Aber wenn ich nun an den einsamen Mann denke, der da im Obergemach auf dem Sionsberg unter den streitenden Jüngern sitzt: Drei Jahre hat Er sie gelehrt, hat alles mit ihnen geteilt, ist mit ihnen übers Land gewandert und hat gesprochen, auf den Bergen und im Boot auf dem See, an langen, stillen Abenden und auf den weiten Wegen. Was hatte Er für Erfolge? Er hat sich um Menschen bemüht bis an den Rand der Erschöpfung. Tausende sind Ihm zu Dank verpflichtet. Was ist geblieben? Die zwölf hier – von denen einer ein Verräter ist und die anderen um Ränge streiten. Bedenken wir eigentlich, dass das Leben dieses einsamen Mannes Jesus von Nazareth – von außen gesehen – völlig erfolglos war?

      Wo Ihn die Massen umjubelten – bei der Brotvermehrung, bei Heilungen und am Palmsonntag –, da beruhte das meistens auf einem Irrtum, auf Missverständnissen. Nur kleine Lichter sind in seinem Leben aufgesteckt: eine arme Witwe, die im Tempel alles opfert, ein wirklich zerknirschter Sünder, die Dankbarkeit der Maria von Bethanien, die Begegnung mit Seiner Mutter, ein schlichter Glaube, ein Zöllner, der Unrecht gutmacht. Der große Erfolg bleibt aus. Auf bekehrte Massen hat Er umsonst gewartet.

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       Die Schlucht

      Der Blick auf den großen Einsamen unter den streitenden Jüngern hat doch Ihnen und mir etwas zu sagen. Warum erwarten wir uns eigentlich in unserem Leben so viel? Warum sind wir so oft enttäuscht, dass sich das große Glück und der sichtbare Erfolg nicht einstellen? Warum sagen wir so schnell: Es nützt sowieso nichts! Müssten wir uns nicht bemühen, die kleinen Lichter wahrzunehmen, die Gott uns an den Weg stellt? Die Freundlichkeit eines Unbekannten, einen herzlichen Gruß, eine Geste der Dankbarkeit, eine Regung menschlicher Güte, ein wenig Hilfsbereitschaft, das Erlebnis der Verlässlichkeit, ein gerechtes Urteil, eine ehrliche Anerkennung. Damit wollen wir zufrieden sein und uns nicht einbilden, wir müssten es besser haben als unser Meister.

      Auch ihr müsst einander

      die Füße waschen

      Beim Letzten Abendmahl kam es also trotz der tiefen Ergriffenheit des Meisters zu diesem lächerlichen und peinlichen Rangstreit der Jünger. Nun, wie hat Christus darauf reagiert? – Lesen wir weiter:

      „Da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab, nahm ein Linnentuch und band es sich um. Darauf goss er Wasser in eine Schüssel und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen. Und mit dem Tuch, mit dem er umgürtet war, trocknete er sie ab. Und danach sagte er zu ihnen:

       „Versteht ihr, was ich euch getan habe? Ihr ruft mich Meister und Herr – und mit Recht sagt ihr das, denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, müsst auch ihr einander die Füße waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe. Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt!“

      Was muss das für ein Mann sein, der auf so viel Egoismus und Eitelkeit so vornehm reagiert! Überlegen wir es uns gut – es ist Gott der Allmächtige, der hier schweigend mit der Waschschüssel hantiert! Die Allmacht neigt sich zu den schmutzigen Füßen, weil die Menschen die verbildeten Köpfe zu hoch tragen! Es genügt völlig, wenn wir den Blick auf diesem Bild ruhen lassen, das in zweitausend Jahren nichts von seiner Größe eingebüßt hat.

      Was Er tut, ist wahrhaftig nichts Besonderes. Es gäbe – gemessen an unserer tüchtigen Art, Weltprobleme zu meistern – für einen Welterlöser zwanzig Stunden vor Seinem gewaltsamen Tod sicher bedeutendere Dinge zu tun, als schmutzige Füße zu waschen. Was wäre nicht noch alles zu sagen und festzulegen und zu ordnen! Wie vieles wäre noch durchzuführen! Die Gutgesinnten von Jerusalem waren an jenem Abend zweifellos viel zu wenig geschult, organisiert und zu einer einheitlichen Aktion eingesetzt. Aber die kostbaren Minuten verrinnen – und der Sohn Gottes, dem dies alles zu bewerkstelligen sicher ein Leichtes gewesen wäre, wäscht Füße – ohne Hast und Aufregung, sicher sorgfältiger, als es damals die Sklaven zu machen pflegten.

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       Im Bergwald

      Und wir müssen versuchen, diesen Wegen der göttlichen Liebe nachzugehen und sie zu verstehen. Was wollte Er uns sagen? Vielleicht wollte Er sagen: Mein lieber Freund, wenn du den Eindruck hast, dass es in der Welt dunkel wird und die Nächte des Hasses, des Verrates und der Verlogenheit hereinbrechen, dann gilt nur mehr die schlichte Tat der Güte! Und dann muss die echte Liebe sparsam mit den Worten werden und vor allem – will Christus sagen –, vor allem darf der Liebe nicht leicht eine Sache zu klein und zu unbedeutend vorkommen! Und wenn du den Eindruck hast, dass die wohlmeinende Autorität nicht mehr ernst genommen wird, dann musst du darauf achten, dass sie nicht herrisch, pochend und befehlend, sondern vorbildlich tätig und dienend sein muss!

      Die Art und Weise, wie Christus Macht über Menschen ausübt, lässt uns einen Augenblick betroffen schweigen – und es kommt uns in den Sinn, wie anders wir das in unseren Lebensbereichen zu tun gewohnt sind. – Ich glaube, wir ahnen alle, dass dieser mit der Waschschüssel hantierende Gottessohn eindringlicher predigt, als wenn Er damals vor zehn Mikrophonen einen Vortrag über Autorität gehalten hätte.

      … einer wird mich überliefern!

      In den letzten Stunden, die Christus mit den Jüngern in jenem Obergemach auf dem Sionsberg in Jerusalem verbringt, jagen sich Licht und Schatten wie in einer stürmischen Mondnacht. Die sich überbietende Güte Gottes und die Fratze des Bösen, das Ja der Liebe und das Nein des Stolzes stehen nebeneinander, das dramatische Hell-Dunkel der Menschheitsgeschichte eilt dem Höhepunkt zu: „Jesus wurde in seinem Inneren erschüttert und beteuerte: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern!“

      Auch wenn wir heute in weitem Abstand diese Worte lesen, fühlen wir noch, wie der Schatten über den Tisch fällt, auf dem das Osterlamm liegt, dieses tausendjährige Symbol der erlösenden Hingabe Gottes: Er ist da, mit seiner ganzen kalten, harten Dämonie, der Schatten des Bösen. Wir kennen ihn auch – in uns – in den anderen – in unserer Zeit, in unserer Geschichte. Und


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