Der kleine Fürst Jubiläumsbox 6 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
vor ungefähr neun oder zehn Jahren.«
»Ich weiß. Ich glaube, ich habe mich schrecklich benommen«, murmelte Charlotta. »Aber das Fürstenpaar war sehr nett – ihr Sohn war damals noch ziemlich klein, vier oder fünf, glaube ich. Er ist mir immer nachgelaufen. Und dann waren da noch zwei Kinder…«
»Anna und Konrad von Kant«, bestätigte Helena. »Anna ist zwei Jahre jünger als der kleine Fürst, Konrad ein Jahr älter.«
»Der kleine Fürst? Heißt er immer noch so?«, wunderte sich Charlotta.
»Diese Frage habe ich auch gestellt, als ich kürzlich auf Sternberg war«, lächelte Helena. »Ja, die Leute halten an diesem Namen fest. Christian ist übrigens ein sehr netter Junge geworden.«
»Omi, muss das wirklich sein?«, seufzte Charlotta.
»Ja«, erklärte Helena geradeheraus. »Robert fährt dich, das ist schon geklärt. Er übernachtet auch auf Sternberg.«
»Und wie willst du hier ohne uns zurechtkommen? Das geht doch gar nicht.«
»Vorsicht, Vorsicht – mach nie den Fehler, dich für unersetzlich zu halten!«, warnte Helena. »Ich möchte, dass du die Einladung annimmst, hörst du? Und am Sonntag, wenn du zurückkommst, wünsche ich mir einen ausführlichen Bericht von dir. Darauf freue ich mich jetzt schon, und deshalb bin ich bereit, ein paar Stunden auf dich und Robert zu verzichten.«
»Es sind mehr als ein paar Stunden«, bemerkte Charlotta, aber trotz dieses Einwands hatte sie ihren Widerstand bereits aufgegeben.
Es interessierte sie tatsächlich, Schloss Sternberg und seine Bewohner wiederzusehen – und wenn sie gleichzeitig ihrer Großmutter mit diesem Besuch eine Freude machen konnte, warum nicht?
»Also gut, ich fahre«, sagte sie und gab Helena einen Kuss. »Aber weitere Einladungen möchte ich nicht haben, Omi, die eine genügt.«
Als sie das Zimmer verlassen hatte, lächelte Helena. Sie hatte es immer gewusst, dass Charlotta eine Art Rohdiamant war, der nur noch den richtigen Schliff brauchte, um seinen Glanz erstrahlen zu lassen. Nun war es so weit. Marianne und Ludwig würden staunen, wenn ihre Tochter zu ihnen zurückkehrte – und vermutlich würden sie sie kaum wiedererkennen!
*
»Ludwig, meinst du, ich könnte von Samstag bis Sonntag einen kleinen Ausflug machen?«, fragte Armin. »Da ich ja ohnehin noch etwas länger bleibe…«
Ludwig dachte mit Schrecken an seine Tochter Sara. Wollte Armin etwa mit ihr…? Aber die nächsten Worte seines jungen Freundes beruhigten ihn in dieser Hinsicht. »Sofia von Kant von Schloss Sternberg rief mich an. Sie hat ein paar Gäste zu einem Abendessen am Samstag eingeladen – und da ich länger nicht auf Sternberg war, meinte sie, es wäre schön, wenn ich auch käme. Es ist ja nicht allzu weit bis dorthin, also würde ich gerne fahren, aber natürlich nur, wenn du es für vertretbar hältst, dass wir unsere Arbeit ein wenig ruhen lassen.«
»Aber natürlich ist das vertretbar«, erklärte Ludwig. »Grüß bitte herzlich auf Sternberg, meine Mutter steht mit Baronin Sofia und Baron Friedrich in regelmäßigem Kontakt.«
»Tatsächlich?«, fragte Armin. »Die Welt ist doch wirklich klein!«
»Sieh mal, wer da kommt!«
Armin drehte sich um und sah einen Wagen auf den Hof rollen. Gleich darauf stieg eine ihm bestens bekannte weibliche Person auf der Beifahrerseite aus, die ihn verschmitzt anstrahlte. Hinter dem Steuer hatte Peter von Isebing gesessen. »Rosalie!«, rief Armin. »Wieso wusste ich nicht, dass du kommst?«
Ludwig, Rosalie und Peter lachten. »Weil es eine Überraschung sein sollte«, erklärte Rosalie. »Was dachtest du denn?«
Peter stellte sie seinem Vater vor, dann umarmte Rosalie ihren Bruder.
»Die Überraschung ist wahrhaftig gelungen«, meinte Armin und fragte dann besorgt: »Wird das denn hier nicht zu eng, Ludwig?«
»Überhaupt nicht – Charly ist ja nicht da!«, erklärte Ludwig. »Und du weißt doch mittlerweile selbst, dass wir im Notfall einfach ein bisschen zusammenrücken. Ein zusätzlicher Gast findet bei uns immer noch ein Bett – und Marianne und ich waren sehr gespannt darauf, deine Schwester kennenzulernen.«
»Ist Mama im Haus?«, fragte Peter.
»Ja, sie wartet schon auf euch«, erklärte Ludwig.
Armin und er sahen Rosalie und Peter nach. »Er ist in sie verliebt«, raunte Ludwig Armin zu. »Wusstest du das?«
Armin lächelte. »Ich wusste bisher nur, dass sie in ihn verliebt ist«, gestand er. »Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht, Ludwig, umso besser!«
Sie wechselten einen verschwörerischen Blick, dann folgten sie dem jungen Paar ins Haus.
*
»Willkommen auf Schloss Sternberg, Charlotta«, sagte Baronin Sofia herzlich. »Du weißt sicherlich nicht mehr, dass wir einander schon einmal begegnet sind, oder?«
»Doch«, erwiderte Charlotta, »ich erinnere mich sogar sehr gut – ich bin einmal mit meinen Eltern hier gewesen, aber das ist schon ziemlich lange her, ich war noch ein Kind. Übrigens kannst du mich gern Charly nennen, Sofia, das tut ja sowieso jeder.«
Sofia betrachtete sie nachdenklich. »Aber der Name passt gar nicht mehr zu dir, will mir scheinen. Damals warst du ein sehr wildes Kind – ein verhinderter kleiner Junge, wenn ich mich recht erinnere.«
Charlotta errötete. »Das war ich bis vor kurzem immer noch. Aber meine Großmutter hat gesagt, sie will sich nicht schämen müssen, wenn ich ihren Bekannten und Freunden begegne.«
»Das hat sie gesagt?«, wunderte sich Sofia. »Das sieht ihr gar nicht ähnlich, finde ich.«
»Na ja, wenn du mich gesehen hättest«, lächelte Charlotta. »Da waren deutliche Worte wohl angebracht. Ich weiß auch nicht, warum ich darauf bestanden habe, immer wie ein Dorftrampel aufzutreten – ich glaube, zumindest in den letzten Jahren hatte das auch mit meiner Schwester Sara zu tun. Die schminkt sich sogar, wenn sie zum Einkaufen geht, und immer muss alles ganz genau zueinander passen. Das ist mir so auf die Nerven gegangen, dass ich wohl irgendwann beschlossen habe, das Kontrastprogramm zu ihr aufzustellen.«
Sie schwieg einen Moment, dann setzte sie hinzu: »Außerdem bin ich wohl von Natur aus ziemlich wild, und ich fand es als Kind immer sehr langweilig, mich wie ein Mädchen benehmen zu müssen. Das habe ich dann auch nicht getan – aber später eben auch nicht, als ich die wilden Jahre eigentlich hätte hinter mir lassen sollen.«
»Also, schämen muss sich deine Großmutter deinetwegen ganz sicher nicht, wenn du mir diese Bemerkung erlaubst«, lächelte Sofia. »Du siehst ganz bezaubernd aus, Charly.«
Die Röte auf Charlottas Wangen vertiefte sich. »Das höre ich in den letzten Tagen öfter – nachdem es zwanzig Jahre lang niemand gesagt hat, Sofia. Das ist eine sehr merkwürdige Erfahrung.«
»Aber doch keine unangenehme, oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Wie geht es Helena?«, erkundigte sich die Baronin. »Wir haben einige Male mit ihr telefoniert. Zu Beginn haben wir uns durchaus Sorgen um sie gemacht, aber wir hatten den Eindruck, dass sie auflebt, seit du bei ihr bist.«
»Ja, so ist es auch«, bestätigte Charlotta, »und das freut mich natürlich. Zum ersten Mal in meinem Leben mache ich mich nicht auf unserem Gut nützlich, sondern in einem gepflegten Haushalt, und jemand freut sich einfach darüber, dass ich da bin. Und dass sich mein Äußeres jetzt verändert hat, freut meine Omi auch. Der Arzt hat neulich gesagt, so gut hätte sie schon lange nicht mehr ausgesehen.«
»Dein Verdienst«, lächelte Sofia, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Aber du wirst ja nicht für immer bleiben, nicht wahr?«
»Nein, das kann ich nicht. Ich vermisse das Gut, und ich bin sicher, mein Vater vermisst mich auch, weil ich dort für vieles längst ganz allein zuständig