Der kleine Fürst Staffel 5 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
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»Jetzt zum Wochenende wollt ihr mit dem Dach anfangen?«, fragte Lili verwundert, als Kalli am frühen Freitagabend mit seinen Kollegen anrückte.
»Sonderschicht, kriegen wir extra bezahlt vom Chef«, erklärte Kalli. »Wir setzen euch einen neuen Dachstuhl drauf – und wir machen ihn ein bisschen höher als den alten, dann gibt es nämlich unterm Dach noch Platz für zwei oder drei zusätzliche Zimmer. War die Idee von deiner Frau Mahler – die ist echt ’ne tolle Frau.«
»Aber das geht nicht«, stammelte Lili, »das ist doch viel zu teuer, Kalli! Das können wir niemals abarbeiten.«
»Müsst ihr auch nicht. Sie hat gesagt, du tust so viel für sie, das kann sie dir mit Geld sowieso nicht bezahlen.«
Sie standen jetzt allein, seine Kollegen bereiteten alles vor, um das Gerüst aufzustellen, das sie für die Arbeiten am Dach brauchten.
»Das geht nicht«, wiederholte Lili. »Sie kann nicht so viel Geld für uns ausgeben. Ich muss ihr das sagen.«
»Lass das sein«, riet Kalli. »Sie macht das auch für sich, Lili. Sie ist allein, sie hat keine Familie, sie bereitet sich damit auch selbst eine Freude.«
Sie erkannte sofort, dass seine Worte viel Wahres enthielten, und so nickte sie nach einer Weile
zögernd. In diesem Augenblick sprang die Haustür auf, und ihre Geschwister stürmten heraus, gefolgt von den Eltern. »Macht ihr das Dach, Kalli?«, fragte Patrick aufgeregt.
»Ja, endlich!«, erklärte Kalli lachend. »Und jetzt muss ich an die Arbeit, wir wollen ja bis morgen Abend möglichst viel geschafft haben.« Er begrüßte die Eltern Ganghofer, bevor er sich zu seinen Kollegen gesellte, um ihnen zu helfen.
Danach staunte die gesamte Familie, in welcher Geschwindigkeit die Männer das Gerüst aufbauten. Lili aber hatte vor allem Augen für Kalli, der gelenkig hinauf- und hinunterturnte und sichtlich Freude an seiner Arbeit hatte. Sie liebte ihn heimlich, aber bisher hatte sie sich dieses Gefühl nie eingestanden, war sie doch der Ansicht gewesen, dass ihre Familie sie noch auf Jahre hinaus brauchen würde. Nun fragte sie sich zum ersten Mal, ob ihr Leben vielleicht doch noch nicht so vorgezeichnet war, wie sie bisher angenommen hatte.
Vielleicht konnte sie das Kochen ja wirklich noch von Grund auf lernen – und …
»Das haben wir dir zu verdanken, Lili«, sagte ihre Mutter leise in ihre Gedanken hinein.
Lili schrak zusammen und errötete, wie so häufig. »Aber nein, Mama«, wehrte sie ab. »Die Frau Mahler ist einfach eine sehr großzügige Frau, das hat mit mir nichts zu tun.«
Frau Ganghofer wusste es besser, doch sie widersprach ihrer Ältesten nicht. Aber sie tat etwas, was sie schon sehr lange nicht mehr getan hatte: Sie nahm Lili in die Arme und drückte sie an sich. »Du bist die beste Tochter, die man sich wünschen kann«, sagte sie. »Der Kalli weiß schon, warum er sich in dich verliebt hat.«
»Mama!« Noch mehr Blut schoss Lili ins Gesicht. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Ich habe Augen im Kopf, Kind«, war alles, was ihre Mutter daraufhin erwiderte – und dazu lächelte sie so, dass ihr müdes Gesicht mit einem Mal wieder viel jünger wirkte.
Lili lächelte auch.
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Widerwillig stellte Clara fest, dass der russische Graf nicht nur tadellose Manieren hatte, sondern auch fesselnd zu erzählen wusste. Zudem war er intelligent, gut informiert, und nicht wenige seiner Bemerkungen bewiesen, dass er Sinn für Humor hatte. Und natürlich sah er großartig aus mit seinen kohlschwarzen Augen und dem scharfen, männlichen Profil. Wäre nicht diese blöde Geschichte mit dem Bild gewesen, hätte sie ihn sicherlich attraktiv gefunden.
Aber genau dieser Punkt sorgte bei ihr für weitere Verärgerung: Er war höflich zu ihr, bemühte sich immer wieder, sie ins Gespräch zu ziehen, aber als Frau schien er sie nicht einmal wahrzunehmen – als fände er sie nicht im Mindesten attraktiv. Eine solche Behandlung war sie nicht gewöhnt, und sie
missfiel ihr in höchstem Maße. Er versuchte ja nicht einmal, mit ihr zu flirten, warf ihr keine bewundernden Blicke zu – schien ihre Schönheit nicht zu bemerken. Schlimmer noch: Statt sie zu bewundern, scherzte er mit den beiden jungen Mädchen, die ebenfalls zu Besuch auf Sternberg waren, Sabrina von Erbach und Laura von Wredeburg. Beide sahen reizend aus und gingen bereitwillig auf Graf Leonids Scherze ein.
Er war eben, dachte Clara mit erneut aufflammendem Zorn, doch nur ein ziemlich bornierter Mann. Wenn er es schon nötig hatte, mit zwei Teenagern zu flirten …
Leonid hatte unterdessen seinen ganz speziellen Spaß an der Situation. Clara von Bethmann war bezaubernd. Je länger er in ihre vor Zorn sprühenden Augen sah, desto besser gefiel sie ihm, ohne dass er sich das freilich hätte anmerken lassen. Sie ärgerte sich sichtlich, dass es ihr so gar nicht zu gelingen schien, ihn zu beeindrucken, und das erhöhte sein Vergnügen beträchtlich, so dass er noch ein bisschen mehr mit Sabrina und Laura flirtete, die daran ihr unschuldiges Vergnügen fanden.
Zugleich stellte er jedoch auch fest, dass er aufpassen musste, seine übliche Distanz aufrecht zu erhalten, denn zwischendurch begann er davon zu träumen, wie es wäre, Clara in den Armen zu halten und diese herausfordernd sinnlichen Lippen zu küssen. Ob sie dann ihren Widerstand gegen ihn aufgeben würde? Würden ihre Augen sanft werden? Würde sie seinen Kuss erwidern?
Die Stimme der Baronin drang in sein Bewusstsein. Er riss sich zusammen und verscheuchte die träumerischen Trugbilder.
»Was wollen wir denn morgen unternehmen?«, fragte Sofia, der die unterschwelligen Spannungen nicht entgangen waren. Die Jugendlichen schienen sich gut zu amüsieren, aber zwischen Clara und dem Grafen brodelte es. Sie konnte nur hoffen, dass bis zum Sonntag alles gut ging. Es wäre sehr unschön gewesen, wenn es während dieses Wochenendes noch zu einem handfesten Streit zwischen den beiden gekommen wäre.
»Können wir nicht mal wieder ein Picknick machen?«, fragte Anna. »Das Wetter ist doch jetzt so schön geworden – und Herr Wenger hat gesagt, dass einige Pferde Bewegung brauchen. Wir könnten bis zu unserer Lieblingslichtung reiten, alle miteinander!«
Zu Sofias Verwunderung fand dieser Vorschlag einhellige Zustimmung, und so atmete sie auf. Fast alle Menschen, die sie kannte, wurden friedlich, sobald sie auf einem Pferd saßen, also würde am nächsten Tag schon alles gut gehen. Sie konnte ja dafür sorgen, dass Clara und Leonid beim Picknick weit voneinander entfernt saßen.
»Was ist mit dir?«, fragte der Baron leise. »Du machst so ein nachdenkliches Gesicht. Fühlst du dich nicht gut?«
»Alles in Ordnung!«, behauptete sie. »Ich war nur in Gedanken.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Wenig später löste sich die Gesellschaft auf. Zu ihrer Erleichterung zog sich Clara umgehend in ihre Suite zurück.
Je weniger sie und Leonid aufeinandertrafen, desto besser!
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Marie-Luise Falkner, die junge Köchin auf Schloss Sternberg, nahm die Herausforderung an. »Natürlich kann ich bis morgen ein ordentliches Picknick auf die Beine stellen!«, erklärte sie, als Eberhard Hagedorn ihr die Pläne für den nächsten Tag unterbreitete. »Hat das etwa jemand bezweifelt?«
Er hatte gewusst, dass ihr Ehrgeiz geweckt sein würde. »Natürlich nicht, Marie, aber wenn Sie es früher gewusst hätten, wäre es sicher einfacher vorzubereiten gewesen.«
»Aber wenn die Aufgabe schwerer ist, macht es auch mehr Spaß, sie zu lösen.« Sie hatte bereits den abwesenden Blick, den er von ihr kannte, wenn ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete. »Ich kann mich jetzt leider nicht mehr mit Ihnen unterhalten, Herr Hagedorn, sondern muss mich sofort an die Arbeit machen.«
Mit einem zufriedenen Schmunzeln verließ er die Küche wieder. Er war ganz sicher, dass ihr Picknick keine Wünsche offenlassen würde.
Als er sich anschickte, die Eingangshalle zu durchqueren, um noch einmal im Salon nach