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Seele auf Eis. Reiner LauxЧитать онлайн книгу.

Seele auf Eis - Reiner Laux


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in einem solch brachialen Polizeigriff genommen, dass sie nur gebückt, das Gesicht nicht erkennbar in Richtung Boden gedrückt, blind und geführt vor sich hin stolpern konnten, während die angehörigen Mütter und Frauen in die Kameras schrien, dass nur verhindert werden sollte, dass man ihre zerschlagenen Gesichter im Fernsehen sähe.

      Die Gefangenen wurden in Gefängnistransporter verfrachtet und in die entferntesten Gefängnisse nach Nordportugal verbracht, wo sie von ihren Angehörigen und allen lebensnotwendigen Zuwendungen abgeschnitten waren. Die Gefangenen und ihre Angehörigen kamen natürlich auch hier fast ausschließlich aus den unteren Schichten und kaum einer konnte sich eine 400 Kilometer lange und teure Fahrt in den Norden leisten – schon gar nicht zweimal die Woche.

      Wie drückte es am Abend ein Parlamentsvertreter im TV so schlüssig und wohlvertraut aus: „Der demokratische Rechtsstaat hat gezeigt, dass er nicht erpressbar ist.“

       2.Haftprozedere und Freiheitsliebe − korrupte Anwälte, psychisch gestörte Gutachter, feige Entscheider

      Nach 4 1/3 Monaten Auslieferungshaft in Portugal, 4 ¼ Jahren deutscher Untersuchungshaft und 3 Prozessen wurde ich in der ersten Februarhälfte 2000 in die zentrale nordrheinwestfälische Auswahlanstalt Hagen verlegt. Dort wird entschieden, in welcher nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt der Gefangene schließlich die verbleibende Strafhaft zu verbüßen hat.

      Im Gegensatz zu den vielen anderen Einweisungshäftlingen, die in dieser großen, sechsstöckigen Auswahlanstalt zehn bis achtzehn Monate ausharren und eine Reihe psychologischer Gespräche und Tests absolvieren mussten, musste ich mich dem nicht unterziehen, sondern wurde nach nur einem Gespräch in das finale Strafhaftgefängnis weitergeschickt. Dieses eine Gespräch führte ich mit dem Vorsitzenden der Hagener Spruchkammer, dem Psychologen Schmidt. Er versuchte zu ergründen warum ich mich nach „einer überschaubaren, gesunden Phase der Rebellion und Sinnsuche“ im Lauf der Jahre „nicht abgeschliffen“ und – „bei aller sensiblen Radikalität“ – nicht angepasst hatte, wie man es von einem Mann meiner Herkunft und meines Intellekts erwarten könnte. „Auch Joschka Fischer war ein Rebell, hat sich aber nach Jahren der Irrungen und Wirrungen eingefunden und ist heute Außenminister. Warum haben Sie die Kurve nicht bekommen?“

      „Weil ich ihre und Joschkas Kurve nicht bekommen und weder Regierungsdirektor noch Außenminister werden wollte“, lächelte ich freundlich.

      In seinem Gutachten kam Herr Regierungsdirektor Schmidt zu der Einschätzung einer „allgemeinen Sozialentwicklung, die von (jugendtümlicher) Unruhe, Experimentierfreudigkeit und Suche nach alternativen Möglichkeiten einer bohemienhaften Lebensgestaltung gekennzeichnet war – Gestaltungen des Lebens, die insgesamt ungewöhnlich sind, weil sie selten vorkommen und ein höheres Maß an Neugier und Unbeständigkeit zum Ausdruck bringen.“ (Psychologisches Gutachten)

      Ich hatte 4 1/2 Jahre, also länger als die Hälfte der zu verbüßenden Strafzeit, in Untersuchungshaft verbracht, und ich war nicht vorbestraft, womit ich nach dem üblichen Prozedere in den offenen Vollzug überstellt werden musste. Erwartungsgemäß entschied der Psychologe demgemäß, mich als Nichtvorbestraften in den offenen Vollzug zu schicken. Als er aber nochmals im Computer die Daten kontrollierte, stellte er fest, dass eine falsche Strafzeitberechnung vorgenommen worden war: Die gut dreizehn Monate hessischer Untersuchungshaft waren nicht angerechnet worden. Irritiert rief er bei der für die Strafzeitberechnung verantwortliche Rechtspflegerin in Köln an, um sich über den Sachverhalt aufklären zu lassen. Das Ergebnis: Mein erster Anwalt, der schon während des Prozesses gravierende Fehler begangen hatte und die entscheidende Revision sechs Tage zu spät einreichte, hatte – mit einer alten Vollmacht von mir ausgestattet – noch vor Ende des ersten Kölner Prozesses die Entschädigung für die erlittene Gießener Untersuchungshaft (20 DM pro Tag) eingefordert und erhalten, womit die dreizehn Monate Gießener U-Haft nach Aussage der zuständigen Rechtspflegerin abgegolten waren und von mir ein zweites Mal abgesessen werden musste.

      Der Herr Psychologe und Regierungsdirektor stellte daraufhin bedauernd fest, dass „angesichts des jetzigen Vollstreckungsstandes die Einweisung in den offenen Vollzug verfrüht“ sei, und überwies mich, bis zur „Klärung der endgültigen Strafzeitberechnung“ in den geschlossenen Vollzug nach Remscheid. Natürlich hätte der Herr Regierungsdirektor mich trotz der von mir nicht verursachten Unklarheiten in den Offenen Vollzug schicken können.

      Am Nachmittag nach dem Entscheidungsgespräch erschien der Vorsitzende der Spruchkammer überraschend mit dem Rechtsexperten der Anstalt in meiner Zelle. Beide wiesen mich nochmals gemeinsam auf das „mandantenschädigende, allein auf den eigenen Vorteil bedachte geldgierige Verhalten“ und „ungeheuerliche Verantwortungsversäumnis“ meines damaligen Anwalts Feiner hin und rieten mir dringend, den Anwalt zu verklagen. Abgesehen davon, dass ich fast so viele Schulden habe wie Griechenland, war mir natürlich klar, dass es einfacher ist, mit nackten Händen einen Aal in trübem Brackwasser zu fassen, als einen Rechtsverdreher erfolgreich vor Gericht zu bringen. Mein erster Rechtsanwalt Feiner, dessen Auftrag es naturgemäß war, meine Gefängniszeit so kurz als möglich zu gestalten, hatte sie, objektiv wie subjektiv, erheblich verlängert.

      „Wissen Sie, Herr Laux“, hatte mir Feiner einst bei unserer ersten Begegnung vor vielen Jahren anvertraut, „80 % aller Anwälte sind korrupt und orientieren sich ausschließlich an ihrem eigenen Wohl, statt an dem ihrer Mandanten. Sie versäumen wichtige Termine, reichen Schriftstücke zu spät ein, beraten ihre Mandanten irreführend, und verlängern künstlich sinnlos gewordene Verfahren, nur um noch mehr Geld aus den Mandanten zu schlagen.“ − Als ich damals mit ungläubigen Augen gelauscht hatte, war ich davon überzeugt gewesen, er selbst würde sich nicht zu diesen 80 % Prozent zählen.

      Eine andere sich harmonisch ins Bild dieses „Rechtsanwalts“ fügende Begebenheit: Als ich, noch während des laufenden Verfahrens, über meinen zweiten Anwalt eine Anzeige wegen uneidlicher Falschaussage gegen den Denunzianten Gaumeier gestellt hatte, ließ sich Gaumeier in dieser Sache durch die Anwaltskanzlei Feiner vertreten. Wie ich der Akte entnehmen konnte, hatte „mein Anwalt“ Feiner einen Schriftverkehr, in Vertretung, sogar eigenhändig abgezeichnet, bevor ihn mein ermittelnder Kriminalbeamter Nachtigall auf eine anwaltliche Interessenskollision hinwies und Feiners Kanzlei darauf das Mandat niederlegte.

      Mein Kölner Rechtsanwalt Fuchs, − der letztlich mein einziger Anwalt war, der diesen Namen verdient −, war hingegen, im krassen Gegensatz zu Feiner, ein aufrichtig kämpferischer Alt-68er-Anwalt, der sein ehrliches, oftmals selbstloses Engagement in einen desillusionierten, knorrigen Sarkasmus hüllte. Er arbeitete seit dem Ende des Prozessverfahrens 1999 unentgeltlich für mich, da es für ihn „eine Frage der Ehre“ war, gegen die fortwährenden Ungerechtigkeiten der staatlichen Organe gegen mich vorzugehen.

      Statt bei einer rechtzeitig erfolgten, korrekten Strafzeitberechnung, die mein Anwalt Feiner aus niederen egoistischen Motiven verhinderte, im Februar 2000 von der Einweisungsanstalt Hagen direkt in den offenen Vollzug verbracht zu werden, von wo aus ich nach spätestens drei Monaten in die Freiheit entlassen worden wäre, musste ich nun, da ich mich mittlerweile im geschlossenen Vollzug befand, durch das Prozedere des geschlossenen Vollzugs gehen, das erneute psychologische Begutachtung nötig machte und, im Falle einer positiven Bewertung, zunächst nur Wochenendurlaube vorsah und erst dann die Verlegung in den offenen Vollzug. Daran änderte auch nichts, dass meine Beschwerde gegen die Strafzeitberechnung nach einer Ablehnung durch das Landgericht Wuppertal in der letzten Instanz vom Oberlandesgericht Düsseldorf nach Monaten anerkannt und die über dreizehnmonatige Gießener Untersuchungshaft angerechnet wurde, unter der Voraussetzung, dass ich die von meinem früheren Anwalt eingeforderte Entschädigung zurückzahlte.

      Ich kam in den sogenannten Lockerungsvorgang und die Anstaltsleitung versicherte mir, dass ich noch vor dem 2/3-Entlassungszeitpunkt des 9. 4. 2001 in den offenen Vollzug verbracht würde, um meine 2/3-Entlassung sicherzustellen – falls das psychologische Gutachten positiv ausfallen würde.

      Zur Information: Als sogenannter Ersttäter, also jemand der nicht vorbestraft war, erhielt ein Gefangener, wenn er sich denn nichts Gravierendes während der Haft zu Schulden kommen ließ, automatisch die sogenannte


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